Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:"Wir dürfen so nicht weitermachen"

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Wie geht es weiter mit der "Zeitenwende" in der deutschen Armee? Kanzler Olaf Scholz und seine zuständige Ministerin Christine Lambrecht werben für ihre neue Sicherheitsstrategie - und bilden eine ganz eigene Verteidigungsallianz.

Von Daniel Brössler, Berlin

Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, der sich an diesem grauen Mittwochmorgen in einem Businesshotel an der Landsberger Allee tief im Berliner Osten bietet. Unter Anzugträger mischen sich Uniformierte in vielen Farben. Auf dem Weg zum Konferenzsaal ist für die gemischte Schar eine Ausstellung vorbereitet. Die Firma Schmidt & Bender zeigt Präzisionsgewehre, die Kollegen von Diehl präsentieren ein Modell ihres begehrten Flugabwehrsystems Iris-T SLM. Wer mag, kann auch gleich das Munitions-Handbuch des norwegischen Herstellers Nammo mitnehmen. Willkommen bei der Berliner Sicherheitskonferenz, einem in früheren Jahren nicht übermäßig öffentlichkeitswirksamen Branchentreff.

Neun Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konstatierten Zeitenwende ist das anders. Nicht nur Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich angesagt, sondern auch der Kanzler selbst. Beide bilden, das ist auf der Insider-Konferenz zu besichtigen, so etwas wie ein Verteidigungsbündnis.

Bei der Generaldebatte vergangene Woche hatte Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz Scholz Wortbruch vorgeworfen, weil der Wehretat nicht wie zugesagt steige und das Ziel der Nato, zwei Prozent der Wirtschaftskraft in die Verteidigung zu stecken, weiter verfehlt werde. Auch Lambrecht steht unter Druck, weil vom 100-Milliarden-Euro-Vermögen noch nichts in der Bundeswehr angekommen ist und es an allem fehlt, vor allem auch an Munition.

Vertreter der Bundesregierung sehen sich in Erklärungsnot

"Es kommt auf glaubwürdige Kampfkraft an", mahnt Celeste Wallander, Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium für internationale Sicherheitsfragen, während einer Podiumsdiskussionen. Es sind Worte, die sich nicht explizit an die Adresse der deutschen Gastgeber richten, aber spürbar sehen sich die Vertreter der Bundesregierung vor dem internationalen Publikum in Erklärungsnot. So bekundet der Grünen-Politiker Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, feierlich: "Ich bin überzeugt, dass in drei bis fünf Jahren die 100 Milliarden Euro ausgegeben sein werden." Deutschland werde seine Zusagen an die Allianz einhalten.

"Die Zeichen stehen auf Zeitenwende", beginnt Lambrecht dann ihre Rede, in der sie sich nicht lange mit dem vorbereiteten Text aufhält. Lambrecht hebt nach Monaten der Kritik an zu einer Art Plädoyer in eigener Sache. Es müsse sich viel ändern und es werde sich viel ändern, sagt sie. Lambrecht verweist auf die Waffenhilfe für die Ukraine und den deutschen Beitrag zur Verstärkung der Ostflanke.

"Uns Deutschen ist es wichtig, dass unsere Alliierten wissen, sie können sich auf uns verlassen. Wir sind treue Partner und vor allem auch sehr engagierte Partner", beteuert die Ministerin. Das Angebot, Polen mit dem Patriot-System bei der Luftverteidigung zu unterstützen, "wenn es gewünscht ist", wiederholt sie - wiewohl die polnische Regierung schon hat wissen lassen, dass sie das Angebot gerne dankend an die Ukraine weiterleiten würde.

Von "einer sehr, sehr schwierigen Situation" spricht die Ministerin

Auch über die europäische Luftverteidigung spricht Lambrecht ein Weilchen. Sie sei dem Kanzler dankbar, dass er das Thema aufgegriffen habe. Schon 15 Staaten hätten sich angeschlossen. Das sei der "Spirit" der Zeitenwende, schwärmt Lambrecht und merkt dann offenbar selbst, dass das Publikum da noch etwas interessiert. "Sie alle lesen natürlich die Zeitungen. Es ist nichts Neues, dass die Bundeswehr über viele, viele Jahre vernachlässigt wurde, dass sie über viele, viele Jahre zusammengespart wurde und wir in einer sehr, sehr schwierigen Situation auch sind", kommt sie zum Punkt. "Aber damit muss Schluss sein. Wir dürfen so nicht weitermachen", ruft sie.

Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen sei keine "gegriffene Zahl", sagt Lambrecht, sondern entspreche dem Bedarf, um etwa Ersatz zu beschaffen für das Kampfflugzeug Tornado, Lücken zu schließen bei schweren Transporthubschraubern und um "endlich Funkgeräte anzuschaffen, die interoperabel sind". Das viele Geld sei wichtig, sagt Lambrecht noch, aber ebenso wichtig sei, verkrustete Strukturen aufzubrechen etwa in der Gesetzgebung. Für manchen höre sich das vielleicht nach "Klein-Klein" an, aber wenn künftig in der Bundeswehr 20 Prozent aller Aufträge "freihändig" vergeben werden könnten, dann sei "das eine Befreiung".

Es gehe bei der Zeitenwende in der Bundeswehr "um viel mehr als nur um ziemlich viel Geld", knüpft wenig später der Kommandierende der Zweier-Allianz Scholz-Lambrecht genau da an. "Von der Beschaffung bis zur Ausrüstung, von der Strategie bis in die Einsätze brauchen wir mehr Entscheidungsfreude, mehr Risikobereitschaft und effizientere Strukturen", fordert der Kanzler.

"Wir sprechen hier über die größte Investition in unsere Streitkräfte seit ihrem Bestehen", sagt Scholz über das 100-Milliarden-Vermögen. Die ersten Lieferverträge sollten noch in diesem Jahr geschlossen werden, versichert er. Das betreffe den Kauf von F-35-Kampfflugzeugen, die Nachrüstung von Schützenpanzern Puma und die Beschaffung von Überschneefahrzeugen.

Die Botschaft, auf die vor allem die Uniformierten im Saal warten, platziert Scholz auch. "Der Kernauftrag unserer Streitkräfte ist die Landes- und Bündnisverteidigung - die Verteidigung der Freiheit in Europa", stellt er klar. Kein Aggressor dürfe "jemals daran zweifeln, dass wir fest entschlossen sind, jeden Alliierten und jeden Zentimeter des Bündnisgebietes mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften zu verteidigen".

Nach dem Auftritt ist Scholz mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Abendessen verabredet. Es soll nach dem Anschlag auf Nord Stream um eine stärkere Rolle der Nato beim Schutz von maritimer Infrastruktur gehen, insbesondere von Pipelines. Auch da will Deutschland, kündigt Scholz an, künftig mehr tun.

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