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Coronavirus:Wie wahrscheinlich ist ein bundesweiter Lockdown?

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Bayern ist vorgeprescht, andere Bundesländer ziehen mit Ausgangsbeschränkungen nach. Was das für die Bürger bedeutet und wie es weitergehen könnte - die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Leila Al-Serori, Jana Anzlinger, Oliver Das Gupta, Benedikt Peters und Lilith Volkert

Das Coronavirus breitet sich in Deutschland weiter aus, obwohl Politiker die Bürger seit Tagen auffordern, soziale Kontakte zu vermeiden. Am Sonntag wollen die Ministerpräsidenten und das Kanzleramt gemeinsam über weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens entscheiden. Im Raum stehen bundesweite Ausgangssperren. Schon jetzt hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder weitreichende Ausgangsbeschränkungen verhängt, andere Bundesländer ziehen nach. Was man dazu wissen sollte:

Zu welchem Zweck darf man das Haus noch verlassen - und zu welchem nicht?

In Bayern gilt ab Mitternacht für die kommenden 14 Tage: Menschenansammlungen sind verboten. Dienstleister wie Friseure sowie Bau- und Gartenmärkte müssen schließen, Supermärkte bleiben aber offen. Söder sicherte die Lebensmittelversorgung zu. Außer bei sterbenden Menschen und bei Geburten sind Besuche in Kliniken und Pflegeeinrichtungen verboten. Außerhalb dieser Einrichtungen sind Besuche bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen und die Wahrnehmung des Sorgerechts erlaubt. In Restaurants und Gaststätten soll es nur noch Speisen zum Mitnehmen geben. Arztpraxen bleiben geöffnet, Physiotherapie ist nur im Notfall erlaubt, Ergotherapeuten und Logopäden müssen geschlossen bleiben. Arbeitgeber sind angehalten, Home-Office zu ermöglichen, aber es ist auch erlaubt, zur Arbeit zu gehen. Explizit weiterhin erlaubt ist neben dem Arbeitsweg und dem Einkauf, spazieren zu gehen oder draußen Sport zu treiben, sofern Abstand zu anderen gehalten wird. Ein Passierschein ist in Bayern nicht notwendig.

In anderen Ländern sind die Regelungen strikter. In Italien etwa ist strittig, ob man noch Joggen oder Fahrradfahren darf. Die Italiener müssen vor dem Gang nach draußen ein Formular ausfüllen und begründen, warum sie rausgehen - und im Falle einer Kontrolle den Behörden glaubhaft machen, dass der dortige Eintrag der Wahrheit entspricht. Sonst drohen hohe Strafen. Auch in Frankreich sind Passierscheine notwendig. In Spanien und Italien sind außerdem Spaziergänge untersagt. Was bei einer bundesweiten Ausgangssperre erlaubt bliebe und was nicht, ist noch unklar.

Welche Regelungen gelten in anderen Bundesländern?

Auch Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hamburg haben am Freitag verschärfte Maßnahmen angekündigt. In Baden-Württemberg sind künftig Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen mit mehr als drei Personen nicht mehr erlaubt, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte. Ausnahmen gebe es für Familien und Paare.

In Rheinland-Pfalz werden alle Gaststätten geschlossen und Versammlungen von mehr als fünf Menschen untersagt. Als Grund nannte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), dass sich nicht alle Menschen an die seit Mittwoch geltenden Maßnahmen gehalten hätten. Im Saarland werden ab Freitagabend Restaurants für Gäste geschlossen, eine entsprechende Verfügung hat Ministerpräsident Tobias Hans angekündigt. Eine Ausgangsbeschränkung für Bürger soll ebenfalls gelten, Spaziergänge aber weiterhin möglich sein. Das Saarland grenzt an das französische Corona-Risikogebiet Grand Est. Hamburg untersagt Ansammlungen von mehr als sechs Personen, Ausnahmen gelten für Familien und Gruppen von Berufstätigen. Restaurants sollen ebenfalls geschlossen werden.

Wie wahrscheinlich ist eine Ausgangssperre in ganz Deutschland?

Vor wenigen Tagen klang es noch so, als käme die Bundesrepublik um Ausgangssperren herum. Mitte der Woche allerdings begann sich das Blatt langsam zu wenden. In ihrer Regierungsansprache am Mittwoch vermied Kanzlerin Merkel zwar das Wort "Ausgangssperre". Sie sagte aber, die Bundesregierung werde stets neu prüfen, "was womöglich noch nötig ist".

Nun hat die Bundesregierung noch einmal ihren Ton verschärft. Kanzleramtschef Helge Braun sagte dem Spiegel, im Hinblick auf die Frage der Ausgangssperren sei der morgige Samstag entscheidend: "Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen." Aus Sicht der Bundesregierung setzen sich zu viele Menschen über die bisherigen Regeln hinweg, zum Beispiel, indem sie im öffentlichen Raum in Gruppen unterwegs sind. Zeigt sich dieses Bild auch am Wochenende, dann könnten bundesweit Ausgangsbeschränkungen kommen. Am Sonntagabend will Kanzlerin Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder in einer Telefonkonferenz beraten, dabei soll es um diese Frage gehen. Das Vorpreschen einiger Bundesländer ist ein weiteres Indiz dafür, dass auch in anderen Bundesländern verschärfte Maßnahmen kommen könnten.

Was sollen die Maßnahmen bewirken?

Bund und Länder versuchen mit allen Mitteln, die Corona-Pandemie in Deutschland einzudämmen. Die Zahl der Infizierten steigt jedoch weiter an, es besteht die Sorge, dass die aktuellen Maßnahmen - etwa die Schließung vieler Geschäfte und von Sport- und Spielplätzen - nicht ausreichen. Krankenhäuser könnten dann bald damit überfordert sein, alle Patienten, bei denen Covid-19 einen schweren Verlauf nimmt, zu versorgen. Eine Ausgangssperre wäre ein weiterer, drastischer Versuch, dieses Szenario zu verhindern.

Wo gibt es bereits Ausgangssperren?

Mehrere europäische Länder haben bereits seit geraumer Zeit eine Ausgangssperre verhängt, wobei die nicht überall so genannt wird. So spricht die österreichische Regierung von einer "Ausgangsbeschränkung". Die Bürger und Bürgerinnen sollen seit vergangenem Wochenende zuhause bleiben, sich nicht versammeln und nur in folgenden Fällen auf die Straße: unaufschiebbare Arbeit, Betreuung anderer Menschen, um Lebensmittel einzukaufen oder um sich kurz die Beine zu vertreten. In Italien, Spanien und Frankreich ist die Bewegungseinschränkung strenger geregelt.

Auch in Deutschland haben außerhalb von Bayern und dem Saarland einzelne Gemeinden bereits die Bewegungsfreiheit eingeschränkt: In Leverkusen dürfen die Bewohner seit Freitag nur mehr alleine oder mit Menschen, die im selben Haushalt leben, auf die Straße gehen. Ähnlich geregelt hat das Freiburg. In Freiburg gilt ab Samstag ein sogenanntes Betretungsverbot für öffentliche Orte bis zum 3. April. Wer sich im Freien aufhalten möchte, darf das noch allein, zu zweit oder mit Personen, die im eigenen Haushalt lebten. Man darf zudem weiterhin zur Arbeit oder zum Arzt gehen sowie Lebensmittel einkaufen.

Gibt es Menschen, für die die Maßnahme nicht gilt?

Wenn es um Freizeitbeschäftigungen geht, müssen sich alle an die Ausgangssperre halten. Ausnahmen gelten vor allem für diejenigen, die beruflich dafür zuständig sind, die sogenannten kritischen Infrastrukturen am Laufen zu halten. Diese Infrastrukturen umfassen acht Sektoren und 30 Branchen. Die eigenen vier Wände verlassen können also diejenigen, die dafür sorgen, dass Strom, Wasser und die Heizung weiter funktionieren. Ebenso dürfen die Menschen weiter zur Arbeit gehen, die im Gesundheitsbereich beschäftigt sind oder dabei helfen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln und Bargeld gewährleistet ist. Das gilt auch für Einsatzkräfte wie Polizei und Feuerwehren. Zu den kritischen Infrastrukturen werden auch die Medien gezählt. Für alle anderen dürfte gelten: Der Gang nach draußen ist nur dann erlaubt, wenn es zwingend notwendig ist, etwa zum Einkaufen im Supermarkt oder für Gänge zum Arzt.

Welche rechtliche Grundlage gibt es?

Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes sieht vor, dass die Behörden in Deutschland Maßnahmen verhängen dürfen, um Ansteckungen zu vermeiden. Eine Behörde "kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind", heißt es dort. Diese Regelung läuft bestimmten Grundrechten zuwider, etwa dem der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz) und dem der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz). Paragraf 28 Infektionsschutzgesetz geht aber auch darauf ein. Diese Grundrechte dürften im Ernstfall eingeschränkt werden, heißt es dort. Dennoch gibt es einige Juristen, die die Verhängung von Ausgangssperren kritisch sehen. Es komme etwa darauf an, wie umfassend diese Sperren seien.

Was passiert mit denjenigen, die eine Ausgangssperre ignorieren?

Wenn die Ausgangssperre mit dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) begründet werden kann, würden Verstöße nicht als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat gewertet. Statt Belehrungen und kleineren Geldstrafen wie beim Falschparken würde der Staat das Ignorieren der Maßnahmen dann drastisch ahnden. Mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe werde bestraft, wer sich vorsätzlich über die Ausgangssperre hinwegsetzt oder einen vorher definierten "Krankheitserreger verbreitet", so heißt es im Infektionsschutzgesetz in § 74.

Welche gesundheitlichen Nachteile kann eine Ausgangssperre haben?

Tagelang kaum vor die Türe gehen zu können, ist auch für rundum Gesunde mit Familie eine Herausforderung. Mit wenig Bewegung, Langeweile, vielleicht auch noch nicht ausgelasteten Kindern droht mit der Zeit der "Lagerkoller". Die Angst um den Arbeitsplatz oder die Gesundheit kann zudem starken Stress auslösen. Opferschutzeinrichtungen warnen in diesem Zusammenhang vor einem Anstieg von häuslicher Gewalt.

Allein lebende, oft ältere Menschen werden durch Ausgangsbeschränkungen sozial völlig isoliert. Richtig hart treffen Ausgangsbeschränkungen Menschen, die zu Depressionen neigen, da sie die Spirale aus Inaktivität und Stimmungsverschlechterung verstärken. Experten empfehlen deshalb, auch innerhalb der eigenen vier Wände körperlich aktiv zu bleiben und über Telefon oder Internet Kontakt zu anderen Menschen zu suchen.

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