Süddeutsche Zeitung

EU-Asean-Gipfel:China ist nicht dabei, aber immer präsent

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Die Staaten der EU wollen stärker mit den Ländern Südostasiens zusammenarbeiten. Was das mit der wachsenden Angst vor einseitigen Abhängigkeiten zu tun hat.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Es ist nicht so, als gäbe es in der eigenen Nachbarschaft nicht genügend Problemländer, mit denen sich die EU beschäftigen muss. Da ist Russland, das die Ukraine überfallen hat. Da ist Ungarn, ein EU-Mitglied, das die Union ständig erpresst und blockiert. Und da sind etliche andere Staaten, die sich nicht so verhalten, wie man sich das in Brüssel vorstellt, von Serbien bis zur Türkei.

Ein Land bildet allerdings, was das Problempotenzial angeht, eine eigene Kategorie: China. Es hat etwas Zeit - und wohl auch Druck aus den USA - gebraucht, aber inzwischen schwingt die Frage, wie Europa mit Peking umgehen soll, in Brüssel praktisch immer mit. China ist, wie die Amerikaner sagen, der "Elefant im Raum", ein großes, unangenehmes Ding, über das man vielleicht nicht immer offen reden will, das aber trotzdem nicht verschwindet.

Das war zum Beispiel am Mittwoch so. In Brüssel fand der erste EU-Asean-Gipfel statt. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Unionsländer trafen sich einen Nachmittag lang mit ihren Kollegen aus den Staaten, die des Verbandes südostasiatischer Nationen ( Asean) angehören: Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Nur zwei Repräsentanten fehlten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schaute Fußball in Katar, und von der Putschistenjunta in Myanmar war niemand eingeladen worden.

Seit dem Überfall auf die Ukraine wächst Europas Interesse an Asean

Und obwohl China weder teilnahm noch in der Agenda erwähnt wurde, war es bei dem Gipfel höchst präsent. Die Gespräche über mehr Handel zwischen Europa und den Asean-Staaten, die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zehn Milliarden Euro in der Region zu investieren, die Bekenntnisse zu Stabilität, Sicherheit, zur territorialen Integrität aller Länder und zu einer "regelbasierten internationalen Ordnung" - all das zielte auch auf China, das Taiwan mit Krieg droht und im Südchinesischen Meer Gebietsansprüche erhebt.

Das Interesse der EU an der Asean-Region ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine stark gewachsen - ebenso allerdings die Skepsis gegenüber Peking. Moskaus Krieg hat den Europäern nicht nur gezeigt, wie groß und politisch gefährlich ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas ist. Er hat sie auch daran erinnert, dass die Abhängigkeit einiger europäischer Volkswirtschaften - allen voran der deutschen - von chinesischen Rohstoffen, Produkten und Märkten noch weit größer und problematischer ist.

Die EU will daher nun in Asien "diversifizieren": Brüssel strebt weitere Handelsabkommen mit den Asean-Staaten an, die Zusammenarbeit bei erneuerbarer Energie soll wachsen. Die zehn Milliarden Euro für Investitionen stammen aus einem EU-Topf namens Global Gateway, der dazu da ist, die gewaltigen Summen zu kontern, die Peking in der Welt verteilt. Die Hoffnung in Brüssel ist, dass die Asean-Länder die EU als verlässlichen neuen Partner sehen und sich nicht nur an China binden.

Auch im Verhältnis zu einem der ältesten Partner Europas - den USA - spielt China mittlerweile eine zentrale Rolle. Das hat zum einen damit zu tun, das US-Präsident Joe Biden die Europäer dazu drängt, den Wettbewerb der politischen Systeme mit dem diktatorischen Regime in Peking aufzunehmen. Es hat aber auch damit zu tun, dass Washington mit Blick auf Chinas wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg Entscheidungen trifft, die negative Folgen für Europa haben.

US-Politik mit Nebenwirkungen

Das ist der Fall beim sogenannten Inflation Reduction Act (IRA), den der US-Kongress im August verabschiedet hat. Das Gesetz gibt einen mittleren dreistelligen Milliardenbetrag für Steueranreize und Subventionen frei, unter anderem um die erneuerbaren Energien in den USA auszubauen und den Verkauf von Elektroautos zu fördern. Einerseits ist der IRA also ein ernsthaftes Klimaschutzgesetz. Andererseits sieht das Gesetz aber vor, dass von den Zuschüssen und Steuernachlässen nur Unternehmen oder Produkte profitieren, die ganz oder zum Teil in den USA produzieren oder die dort montiert wurden.

Biden will auf diese Weise die heimische Industrie stärken - aber eben auch die Vormachtstellung Chinas bei vielen grünen Technologien brechen. Das Gesetz sei ausdrücklich "antichinesisch" gemeint, heißt es in Brüssel. Eine Nebenwirkung ist jedoch: Die Klauseln im IRA, die chinesische Hersteller benachteiligen, diskriminieren auch europäische Firmen. Die EU befürchtet daher, dass europäische Konzerne Fabriken in die USA verlegen, um dort staatliche Beihilfen zu bekommen.

Die europäische Antwort darauf ist zweigleisig. Zum einen verhandelt Brüssel derzeit mit Washington, um in die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz Ausnahmeregelungen einzufügen, sodass europäische Konzerne nicht diskriminiert werden. Dazu, so heißt es in der EU, gebe es in Amerika Bereitschaft, sofern das Gesetz im Kern weiter antichinesisch bleibe.

Zum anderen aber arbeitet die EU-Kommission an einem eigenen Geldtopf mit dem Namen "Europäischer Souveränitätsfonds", aus dem Europa seine einheimischen klimafreundliche Industrie finanziell unterstützen könnte. "Wir müssen Europas öffentliche Investitionen erhöhen, um den Übergang bei der Energie zu beschleunigen", schrieb von der Leyen am Mittwoch in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der Union, die das Thema am Donnerstag bei einem EU-Gipfel in Brüssel besprechen wollen. Durch einen solchen Fonds könnten Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden, die Europa durch das IRA-Gesetz entstünden, so von der Leyen.

Das führt zu einer bemerkenswerten und diplomatisch nicht ganz einfachen Lage: Ein amerikanisches Gesetz, das - so zumindest die Interpretation in Brüssel - in erster Linie gegen China gerichtet ist, schadet auch Europa. Die europäische Antwort wiederum besteht aus Maßnahmen, die sich eher gegen die USA richten. Immerhin wird in Brüssel versichert, dass man keinen "Handelskrieg" mit Amerika wolle. Ein Krieg, der in der Ukraine, sei genug.

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