Süddeutsche Zeitung

1.Mai:Kanzlerkandidaten und Krawall

Lesezeit: 4 min

Der DGB ruft zum "Tag der Arbeit", Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz sprechen von Solidarität, und in Berlin macht der "Schwarze Block" mal wieder kräftig Randale.

Von Jan Heidtmann und Jens Schneider, Düsseldorf, Berlin, Hamburg

Es ist eines der merkwürdigen Bilder, die später als Symbol für diese schwierige und auch bizarre Zeit dienen könnten. Eine Kundgebung zum Tag der Arbeit, in Corona-Zeiten: ein Autokino in Düsseldorf, vor einer Bühne stehen Autos in Reihen, in denen die Teilnehmer der Mai-Demo sitzen. Mehr Sicherheitsabstand zu den Nebenleuten geht kaum. Einige haben Gewerkschaftsfahnen dabei, die über dem Auto im Wind flattern, und wenn ihnen auf der Bühne etwas gefällt, lassen sie ihre Hupe ertönen.

Gegen Mittag kommt Armin Laschet auf die Bühne. Der Kanzlerkandidat der Unionsparteien trägt eine rote Maske, und die Gastgeberin Anja Weber, die DGB-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen, bemerkt zur Begrüßung, dass ihr das gefällt.

"Bis an die Grenze der Erschöpfung"

Der CDU-Vorsitzende ist für eine halbe Stunde zu einem Gespräch mit Weber eingeladen, es ist einer der ersten Auftritte dieser Art, seit die Union sich für ihn als Kanzlerkandidaten entschied. Laschet wird ohne lange Vorrede darauf angesprochen, dass die Lasten der Pandemie nicht von allen gleich getragen werden. Er spricht davon, dass jene, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind, auch in schlecht bezahlten Jobs sind, "zum Teil die größte Arbeit leisten". Er nennt Verkäuferinnen und Verkäufer im Lebensmitteleinzelhandel, "die am Anfang ohne Maske, ohne Plexiglas trotzdem die Lebensmittelversorgung aufrechterhalten haben, als viele im Lockdown waren". Und er spricht vor allem die Beschäftigten in der Pflege in Krankenhäusern an, die "bis an die Grenze der Erschöpfung und darüber hinaus arbeiten".

"Wir lassen nicht zu, dass Arbeitgeber die Pandemie als Vorwand für Jobabbau, Betriebsverlagerungen und Lohn-Dumping missbrauchen", sagt auch der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Samstag anlässlich der zentralen Mai-Kundgebung in Hamburg. Corona dürfe auch keine Ausrede für fehlendes Geld beim Umbau zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft sein.

Alle mit Kanzlerambitionen sind sich einig

Alle, die Kanzlerambitionen haben, reden an diesem Tag - und sind sich in vielem einig. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagt in Potsdam: "Es reicht nicht, wenn man Pflegekräften zuklatscht. Es reicht nicht, wenn man als Politikerin danke sagt, und wenn alle geimpft sind, dann gehen wir einfach zu dem Zustand davor zurück." Es gehe um vernünftigen Lohn und vernünftige Arbeitsbedingungen. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) fordert Konsequenzen aus der Pandemie. "Es kann nicht bei dem bleiben, wie es ist", sagt er mit Blick auf Kurzarbeit, Entlassungen und ungleiche Löhne. Scholz fordert mehr Tarifverträge und bessere Kontrollen. "Wir müssen sicherstellen, dass es eine Grenze nach unten gibt", sagt der Bundesfinanzminister ebenfalls in Potsdam.

Außer hupenden Autos, brav mit Abstand Flagge zeigenden DGB-Mitgliedern und Politikerreden gibt es aber immer auch noch einen anderen 1. Mai. Den in Berlin - und da geht es ordentlich zur Sache.

Am späteren Mittag macht sich Polizeipräsidentin Barbara Slowik selbst ein Bild vom 1. Mai in Berlin. Umringt von einer kleinen Entourage aus Beamten läuft sie recht zügig in Richtung der Sicherheitszone, zu einem geschützten Bereich zwischen Demonstration und Gegendemonstration, also zwischen sogenannten Querdenkern und linken Anti-Querdenkern.

Die Corona-Leugner haben zum Protest in den Bezirk Lichtenberg geladen, vielleicht 300 sind gekommen. Sie schwenken Fahnen mit dem Konterfei von Che Guevara und singen "Wir lassen uns nicht den Verstand verdrehen". Die Gegendemonstranten rufen "Nazis raus"; bis auf ein bisschen Gebrüll und einige wenige Rangeleien bleibt es ansonsten ruhig. "Genau so wünschen wir uns den weiteren Verlauf", sagt Slowik. Es sollte eine Hoffnung bleiben.

354 Demonstranten werden festgenommen

Am späten Abend eskaliert die Lage an einem ganz anderen Ende der Stadt, in Neukölln. Gegen 21 Uhr liefern sich hier Mitglieder des "Schwarzen Blocks", einer gewaltbereiten Gruppe von Linksautonomen, die heftigsten Auseinandersetzungen mit der Polizei zum Tag der Arbeit seit Jahren. Mindestens 93 Beamte werden verletzt. 354 Demonstranten werden festgenommen.

Geschätzt 10 000 Menschen sind zur traditionellen "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" gegen 18 Uhr an den Hermannplatz gekommen. Angemeldet waren 1000. Immer wieder mahnt die Polizei über Lautsprecherwagen, wegen Corona die Sicherheitsabstände einzuhalten. Vergeblich. Die Beamten trennen daher den größeren Teil des Demonstrationszuges vom "Schwarzen Block". "Immer wieder wurde auf die friedlichen Demonstrierenden eingeprügelt", wird eine Sprecherin der radikalen Linken später sagen.

Der Protest ist kleinteiliger als sonst

Tatsächlich fliegen Steine und Flaschen aus dem Protestzug auf die Beamten, Holzpaletten werden als Barrikaden angezündet. Gegen 21 Uhr beendet der Versammlungsleiter schließlich die Demonstration, auch er war von Protestierenden angegriffen worden. Polizeipräsidentin Slowik spricht nun von "inakzeptablen" gewaltsamen Angriffen.

Es war das Ende eines bemerkenswert disparaten Protestes zum Tag der Arbeit. Die Polizei hatte schon zuvor angekündigt, dass es ein "sehr besonderer 1. Mai" werde, "der uns auch auf die Probe stellen wird". Denn anders als in früheren Jahren ist der Protest vielstimmig und kleinteilig geworden, fast 20 Gruppierungen hatten sich angemeldet. Schließlich waren an diesem Samstag insgesamt an die 30 000 Protestierenden und gut 5500 Polizisten auf der Straße.

Es ging um Themen wie die rasant steigenden Mieten, um die Enteignung großer Wohnungsgesellschaften, um soziale Umverteilung, um Flüchtlingspolitik, um die Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie.

Bei allem Groll, der sich aufgestaut hat, ist aber auch deutlich zu spüren, dass manche Menschen schlicht froh sind, einmal wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. So kommen zu einem für rund 1000 Menschen geplanten Fahrradkorso in den wohlhabenden Grunewald etwa 10 000 Menschen, unter ihnen viele Eltern mit ihren Kindern, um gegen die steigenden Mieten zu demonstrieren. Und auch am Abend in Neukölln ist es nur eine kleine Gruppe an Demonstranten, die Steine wirft und Barrikaden errichtet. Weitaus mehr Menschen standen geduldig in den vielen Schlangen vor den Kiosken, um sich noch ein Bier zu holen.

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