Süddeutsche Zeitung

Büttenreden:Tätäää! Tätäää! Tätäää!

Lesezeit: 3 min

Von der Filderstädter Griebenwurstvesper bis zu Marie-Agnes Strack-Zimmermann beim Aachener Karneval: Närrischer Humor eskaliert immer wieder. Weil es den Büttenreden vor allem an einer Sache fehlt.

Von Martin Zips

Büttenredner wollen ihre Zuhörer "belustigen und nicht beleidigen", so stellte im März 1960 das Arbeitsgericht Saarbrücken in einer Urteilsbegründung fest. Ein 29-jähriger Straßenbahnschaffner aus Saarlouis habe zwar in seiner Büttenrede über den Oberbürgermeister Ausdrücke verwendet, die "starker Tobak" gewesen seien (nähere Details sind leider nicht bekannt). Die Lebenserfahrung, so das Gericht, zeige allerdings, dass beim Karneval "niemand etwas ernst nehme". Die fristlose Entlassung des Schaffners sei damit: nicht gerechtfertigt.

Die Geschichte der misslungenen Büttenrede ist alt, uralt. Da muss man gar nicht bei der FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder der früheren CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer beginnen: Mal verlassen die Gäste der Filderstädter Griebenwurstvesper wegen eines unerträglichen Vortrags wutschnaubend den Saal, dann entgleist einem Mitglied des Narrenbundes Süplingen die Rede.

Oft entpuppt sich der "starke Tobak" als nicht zu Ende gedachte, mitunter aber auch als bösartig motivierte Dämlichkeit. "Karneval ist ein Luftholen, ein der Zwangsjacke Entschlüpfen des einzelnen", so hat es der Kabarettist Wolfgang Neuss einmal in einem Spiegel-Gespräch formuliert. Für die friedliebende Allgemeinheit bringt das Entschlüpfen freilich auch mal die ein oder andere emotionale Herausforderung mit sich.

Wo trägt der CDU-Generalsekretär seine Gürtellinie?

Der einstige Regierungssprecher Steffen Seibert jedenfalls dürfte schon Recht gehabt haben, als er einst sagte: "Büttenreden kommentiere ich nicht." Wozu auch? Der eine findet sie eben amüsant, wie anscheinend der im Aachener Saal zuletzt dauerlächelnde CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der andere nicht. Fast noch lustiger als manche Reden selbst sind die Diskussionen, die sie hervorrufen. So verortete CDU-Generalsekretär Mario Czaja Strack-Zimmermanns Flugzwerg-Humor als "unter der Gürtellinie", worauf die auch "Flak-Zimmermann" genannte Liberale Czaja in einem Podcast unterstellte, er trage seine Gürtellinie "wahrscheinlich unter dem Hals".

Die treffende Pointe, das sei an dieser Stelle ein für allemal festgehalten, ist keine leichte Angelegenheit. Denn als Humorist kann man es entweder so halten wie Mario Barth (Witze über stotternde Juristen), die "Heute Show" (Witze über stotternde Politiker) oder der Polit-Satiriker Martin Sonneborn (Witze über Asiaten). Man kann es aber auch eher selbstironisch angehen wie Gerhard Polt ("Wir haben keinerlei Meinung, aber die dürfen wir überall und frei äußern"), Barbara Schöneberger ("Selbstironie ist das klügste Stilmittel, um Unterhaltung zu machen") oder Loriot ("Wer glaubt, Humor bestehe darin, sich über andere lustig zu machen, hat Humor nicht verstanden"). In diesem Zusammenhang darf man sich auch des mit 33 Jahren noch eher jüngeren Comedians Aurel Mertz bedienen, der kürzlich in einem Interview meinte: "Wenn du Grenzen überschreitest, sollte deine Pointe schon sehr gut sein, damit es sich lohnt."

Das Kriterium der Selbstironie jedenfalls erfüllte Strack-Zimmermann ("Doch treibt's ein Nazi-Prinz zu wild,/dann wird der Flug-Zwerg plötzlich mild") in ihrer Rede nicht. Übrigens genauso wenig wie im Jahr 2006 der von ihr verhonepipelte Friedrich Merz, der auf der gleichen Veranstaltung ("Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst") verkündete, seine Partei plane, jugendliche deutsche Arbeitslose "an asiatische Länder" abzugeben. In seinem Auftrag verhandle der Arbeitsminister bereits über eine "Blond Card mit Indien", meinte der sauerländische Büttenredner - total ironisch. "Wir nennen das Programm: ,Kinder für Inder'." Nunja. Eine Sekretärin aus Bielefeld behauptete anschließend, Merz habe die Witze von ihr abgekupfert. Leider gibt es eben noch immer keine eigene närrische Gerichtsbarkeit. Obwohl genau das 200 Jahre nach der ersten Kölner Stegreif-Tirade schon einmal angebracht wäre.

Generell gilt: Bleibt Humor an der Oberfläche, so mag er zwar für den ein oder anderen schnellen Lacher sorgen - um von einem Witz allerdings wirklich berührt zu werden, braucht es: Tiefe. Die Klo-Scherze einer ehemaligen CDU-Vorsitzenden als närrische Putzfrau im saarländischen Karneval hatten keine besondere Tiefe, auch nicht die Witze von Fußballer Mats Hummels oder Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der Amazon-Show "One Mic Stand", wo sich Prominente ohne jedwede humoristische Bühnenerfahrung als Comedians versuchen dürfen. Gut, man muss so etwas ja nicht schauen.

Plattitüden über Heinrich Lübke? Bitte nur, wenn sie geistreich sind

Besonders tiefgehend war auch der Tweet des Chefredakteurs des Kölner Stadt-Anzeigers nach der Rede Strack-Zimmermanns nicht. Dennoch war er lustig. Der Mann schrieb nämlich: "Das war die beste Büttenrede, die aus Düsseldorf seit langem gekommen ist." Strack-Zimmermann ist Düsseldorferin, die Kölner halten Düsseldorfer generell für, wie Wolfgang Neuss sagen würde, "Zwangsjacken-Entschlüpfte". Das alles verpackt in ein Lob ist irgendwie: lustig!

Aber vielleicht hatte der Kölner Oberbürgermeister Theo Burauen letztlich doch recht, als er während der Vorstellung des Närrischen Dreigestirns im Jahr 1967 im Kölner Rathaus die anwesenden Clownsnasen ermahnte, Witze über Bundespräsident Heinrich Lübke nur dann zu machen, wenn diese keine "allzu deutlichen Plattitüden" bedienten, sondern "gekonnt und geistvoll" seien.

Geistvoller als Heinrich Lübke zu sprechen, das dürfte sogar dem ein oder anderen Büttenredner noch gelingen.

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