Süddeutsche Zeitung

Berlinale-Eröffnung:Berlin kann Cannes

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Endlich wieder Kultur, endlich wieder Publikum! Ausgerechnet die Pandemie hat dazu geführt, dass bei der Berlinale ein mediterranes Festivalgefühl herrscht. Unterwegs am schönsten Abend seit fast eineinhalb Jahren.

Von Verena Mayer, Berlin

Es ist nicht so, dass man mit dieser Berlinale irgendetwas falsch machen könnte. Es ist Frühsommer, es ist das erste große Festival, das wieder stattfinden darf, und die Menschen sind nach sieben Monaten Lockdown dermaßen ausgehungert nach Eindrücken, dass sie jeden Film gucken, jede irgendwie nach Promi aussehende Person auf dem roten Teppich bejubeln würden. Dementsprechend groß war der Andrang, als vergangene Woche der Online-Kartenverkauf für die Filmfestspiele begann. Die 60 000 Tickets waren schneller weg als Termine im Impfzentrum.

Und doch toppte die Eröffnung am Mittwochabend dann alles. Das beginnt schon beim Ort. Das Festival muss wegen der Hygiene-Richtlinien draußen stattfinden, weshalb die Freiluftkinos der Stadt mit riesigen Leinwänden und Sound-Systemen aufgerüstet wurden und man seine Berlinale-Abende nicht wie sonst in stickigen Multiplexkinos verbringt, sondern inmitten des weitläufigen Volksparks Hasenheide, am Ufer des Weißensees oder vor der hellen Barockfassade von Schloss Charlottenburg. Selbst die Berliner Museumsinsel wurde in ein Open-Air-Kino verwandelt, mit Leinwand und Stuhlreihen im Kolonnadenhof.

Fast wie beim Promi-Klassentreffen

Dort ist dann auch der rote Teppich ausgerollt, auf dem überraschend viel Betrieb ist. Die deutsche Filmprominenz ist fast in alter Stärke am Start, man sieht Schauspielerinnen wie Iris Berben oder Natalia Wörner, ihre Kollegen Ulrich Matthes und Peter Kurth, den Regisseur Volker Schlöndorff. Man begrüßt einander mit FFP2-Maske und Corona-Abstand, aber so herzlich wie eine Familie, die sich lange nicht gesehen hat. Der Satz, der an diesem Abend am häufigsten fällt, ist von Franz Kafka: "Im Kino gewesen. Geweint."

Die Regisseurin Maria Schrader steht mit ausgebreiteten Armen vor der Absperrung, an der sich Fans und Fotografen so diszipliniert wie möglich aneinanderreihen, als wolle sie jeden einzelnen an sich drücken, und ruft: "Menschen!"

Abendlicht fällt auf die Museen und die Spree, und man weiß nicht, wohin man zuerst gucken soll, auf die Architektur, die Menschen in ihren wehenden Sommer-Outfits oder den Fernsehturm, der über den Säulen des Kolonnadenhofs golden hervorblitzt. Ausgerechnet die Pandemie hat dazu geführt, dass bei der Berlinale nun ein mediterranes Festivalgefühl wie in Cannes oder Venedig herrscht, das man sich für die Hauptstadt immer gewünscht hat.

Es würde einen nicht wundern, wenn hier jetzt gleich noch der Film "La Grande Bellezza" über die Leinwand flimmerte, die Berlinale wird jedoch mit "The Mauritanian" eröffnet, einem Film über einen Mann, der über Jahre ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Guantanamo festgehalten wird.

Die Berlinale war schon immer ein politisches Festival, und Probleme wie Klimawandel oder soziale Ungleichheit seien in der Zwischenzeit ja nicht verschwunden, sagt die Moderatorin Hadnet Tesfai. Da seien "die lauten Stimmen der Kultur" gefragt, "Kino soll Licht in die dunklen Ecke der Gesellschaft bringen."

Tesfai spricht mal zum realen, mal zu einem virtuellen Publikum, das die Veranstaltung online verfolgt - das Streaming bleibt dem Kulturleben erhalten. Ein großer Teil der Berlinale, der Wettbewerb nämlich und die Treffen der Filmbranche, fand bereits im Februar digital statt. Auch die Bären wurden damals online bekannt gegeben, auf der Leinwand der Museumsinsel werden jetzt ein paar Clips der Preisverleihung gezeigt, die früher mit großem Bahnhof bei einer Gala stattfand: In diesem Jahr sieht man Filmschaffende im Home-Office vor Bücherwänden und Zimmerpflanzen jubeln.

An diesem lauen Abend, an dem sich die Leute wieder in der Stadt und im Kulturleben zeigen, wird aber auch das Ausmaß der Beschädigungen offensichtlich, die fast eineinhalb Jahre Stillstand - die Berlinale im Februar 2020 war die letzte große Kulturveranstaltung vor der Pandemie - mit sich gebracht haben. Kinos haben aufgegeben, Aufträge sind weggebrochen, Künstlerinnen und Künstler wurden arbeitslos oder mussten die Jobs wechseln. An der Stelle, an der während der Berlinale-Eröffnung immer die Sponsoren genannt werden, fallen in diesem Jahr nicht nur die Namen großer Firmen, sondern auch die der staatlichen Corona-Programme. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert dann auch, dass es nun endlich Öffnungsperspektiven für alle Kinos geben muss. Die Berlinale zeige, dass Kultur auch in der Pandemie möglich sei.

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