Süddeutsche Zeitung

Neue Töne:Afrikas harte Riffs

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Der Münchner Jan Weissenfeldt hat mit der Band "Johnny!" ein Album aufgenommen, das seine Kraft und Inspiration aus einer längst untergegangenen Musikszene schöpft: dem Rocksound Sambias.

Von Christian Jooß-Bernau, München

Hört man dieses Album, ist es, als würde in dem, was wir für Rockmusik halten, plötzlich eine Tür aufgehen. Dahinter ein magischer Raum, in dem sich die Möglichkeiten der Entfaltung vervielfachen. Und plötzlich ist das, was man bisher für das Zentrum des Pop hielt, nur mehr eine kleine Besenkammer im Riesenbau. "Johnny!" verschiebt die Koordinaten des Hörers - nach Afrika. Und teleportiert ihn in eine Vergangenheit, die einem immer wieder bekannt vorkommt und die man so doch nie gehört hat.

Das geht nicht nur Europäern so. "Die Leute in Afrika kennen das gar nicht mehr", sagt der Gitarrist JJ Whitefield. Der Sound bringt die Ekstase zurück, die unter den Trümmern der Jahrzehnte die Zeit überdauert hat. Das Afrika, das sich hier enthüllt, ist eine Vision aus Rock. Energieentladungen, die den Moment aus der Zeit sprengen. "Johnny!" heißt die Band, und "Johnny!" heißt das Album, das jetzt beim in Los Angeles ansässigen Label Now Again erschienen ist. Inspiriert ist es vom Zamrock, einem Sound aus dem Sambia der Siebziger, führt aber weit über die Landesgrenzen hinaus: nach Ghana, nach Deutschland, in die Niederlande. Nach München. Dort lebt JJ Whitefield als Jan Weissenfeldt, wenn er nicht auf Tour ist.

Nach einem Gespräch mit ihm braucht man eine Weile, um gedanklich die Projekte zu ordnen, in die er aktuell verstrickt ist und die ihn zu dem Musiker machten, der eine zentrale Anlaufstelle ist, wenn es um den Rocksound Afrikas geht. Mit den Poets of Rhythm stieß er in den Neunzigern die Retro-Funk-Soul-Welle an, momentan ist er Gitarrist bei Embryo und hegt sein Projekt Karl Hector & The Malcouns. Weissenfeldt ist eine dieser Musikerpersönlichkeiten, die in einem beständigen Prozess der Transformation der eigenen Kunst, Musik durch sich fließen lassen.

Weissenfeldt spielte schon mit Jagari, einem vergessenen sambischen Rockstar

In der Dokumentation "Witch - We intend to cause havoc" von 2019 sieht man ihn mit Band aus den Niederlanden auf der Bühne gemeinsam mit Jagari. Der ist eine mythische Figur des Zamrock, war Sänger der Band Witch, der einzig Überlebende , tatsächlich einst ein Superstar in Afrika , und wird hier filmisch aufgespürt und zurück ins Scheinwerferlicht geholt. Zamrock - das war die sambische Idee der Siebziger, mitzuziehen mit der internationalen Rockszene, den Stones, Led Zeppelin. Und weil es glücklicherweise noch kein Internet und die globale Reproduktion des Immergleichen, digital Konservierten gab, erfanden sie mit dem, was sie hatten und wussten, den Rock für sich neu - und rhythmisch komplexer. Afrikanische Rhythmen, wenn man dies einmal so pauschal sagen kann, arbeiten oft mit Polyrhythmik, dem Übereinanderlegen verschiedener Zählzeiten, was ein normales Gehirn ziemlich schnell an den Rand des Fassungsvermögens bringt. Der Off-Beat unserer Pop-Musik sei, sagt Weissenfeldt, das, was "der Weltbürger" noch verstehen kann.

Jagari war nicht der erste vergessene afrikanische Musiker, den Weissenfeldt half, auf die Bühne zu bringen. Ebo Taylor hieß die Zentralgestalt des Afro-Beat, mit der er durch Europa tourte und ins Studio ging. Und, um nun wieder zum aktuellen Album zurückzukehren, Taylors Sohn Henry ist als Keyboarder und Sänger Teil der neuen Gruppe, die das Album "Johnny!" aufgenommen hat. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Ghana kommenden Perkussionisten Eric Owusu, dem indonesischen Bassisten Tomi Simatupang und Weissenfeldts altem Drummerfreund Bernd Oezsevim. Henry lebt in Ghana, die anderen über Deutschland verstreut, aber für Weissenfeldt ist das mobile Arbeiten kein Problem. Aufgenommen haben sie auch während Tourpausen für Ebo Taylor. Später dann hat Weissenfeldt fast alle Gitarrensounds ausgewechselt. "Mein Geschmack ändert sich auch täglich, mit allem, was ich höre", sagt er. Oh ja, Weissenfeldt sitzt als Plattenarchäologe und -sammler an einer nie versiegenden Quelle. Das schult das Ohr für Feinheiten. Hört man die Inspiration für Johnny!, den Zamrock, fällt auf, wie zentral der Klang der E-Gitarre ist. Es sind Fuzz-Sounds, wie sie ab den Sechzigern den Rock-Sound formten - der ganz spezielle Klang der Transistorverzerrung, bis heute geliebter Effektgeräte, der unter Gitarristen Glaubenssache und Kulminationspunkt endloser Optimierungsversuche ist. Dass er im afrikanischen Rock der Siebziger so markant eingängig ist, liegt wohl vor allem an der Verknappung der Mittel, die Musiker auch zwang, mit einem Effektpedal eine ganze Karriere zu bestreiten.

In Ghana benutzt man für Songtexte gerne Abzählreime

Das neue Album aber ist kein Soundmuseum für Historiker, sondern Neuschöpfung verdrängter Gefühle. So hört man "Make it right", einen großen, rollenden Sehnsuchtswurf. Bei "Kokoko" steigt eine Erinnerung an Jimmy Page und dessen keltisch-akustische Momente auf, zu der die funky Wah-Wah-Wellen der E-Gitarre erstaunlicherweise passen. "Yendi Agoro" ist eine andere Idee von Punk, mit einer Gitarre, die sich in Gemeinschaft mit dem Sänger als wildes Viech durch den Song beißt - und trotz aller rüden Gemeinheit ist der Groove der Nummer swingend gelagert. "Agyenkwa" hat zwei Gesichter: das verträumte mit Chorus-Gitarre und Stimmen aus sanftem Soul, und das wütende, den Mund zur brüllenden Fratze geöffnet.

Entstanden sind die Songs oft aus Jam-Sessions heraus, und als Jam haben sie die Sachen auch aufgenommen. Die Entscheidung für diesen Soundcharakter denkt von Anfang an den Live-Auftritt mit. Das ist nicht selbstverständlich, denn ein Studio verführt zur Bastelei, die, nicht reproduzierbar, eigenständige Kunst wird. Aber Johnny! setzen auf die unmittelbare Bühnenenergie und Auftritte, bei denen auch finanziell etwas hängen bleiben muss. Musiker aus Ghana einzufliegen, kostet. Die Texte haben die Sänger oft während des Spielens der Instrumentalnummern für sich gefunden. Sie sind in Twi, in Ga und Fante. Weissenfeldt hat sie sich übersetzen lassen, und der Inhalt überrascht dann doch: "Die Ghanaer benutzen sehr gerne so etwas wie Abzählreime." Es gibt sie noch, die kulturellen Unterschiede, die das Leben erst interessant machen. Lässt man sich darauf ein, wird man in eine andere Welt gezogen. Der westliche Name der Ghanaer ist das eine, das andere ist ihr ghanaischer Name - er ist der Wochentag ihrer Geburt. So fühlt der Sound von Johnny! sich erst einmal nah an. Aber es liegen 5000 Kilometer Luftlinie zwischen München und Accra.

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