Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Menschen, die auf Kreise zielen

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Hat jemand Fußball-WM gesagt? Unsere Autorin hat in den Katar-Wochen ihre Begeisterung für Wintersport entdeckt. Speziell für eine Disziplin, die ihr zunächst widerstrebte.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Die Fußball-WM in Katar hat mir dabei geholfen, ein riesiger Wintersport-Fan zu werden. Alpinisten auf Skiern sind abgefahrene Gestalten, die Gewänder der deutschen Fahrer haben internationales Flair, eine Mixtur aus Schneekatze und Tiger, das passt irgendwie zu diesem rasanten Ritt. Eine Mixtur aber übertrifft die der Skifahrenden: jene, die sich auf Langlauf und Präzisionsschuss spezialisiert haben.

Anfangs war ich mehr als irritiert. Da wird ein Sport propagiert, gefeiert und gefilmt, bei dem es darum geht, schnell zu laufen und nicht minder schnell wenngleich möglichst präzise mit einem Gewehr zu schießen. Dabei ist doch anzunehmen, dass jeder, der Zugang zu einer Waffe hat, also ein Gewehr auf jemanden richten kann, eine potenzielle Gefahr darstellt. Ich bin ja bis heute der Meinung, dass einige Dinge aus Sicherheitsgründen überhaupt nicht gelernt werden sollten. Wenngleich man einwerfen könnte, dass es darauf ankommt, wer etwas lernt, und aus welcher Motivation.

In Uganda und wahrscheinlich den meisten Teilen Afrikas ist Biathlon fast unbekannt. Als ich erstmals ein Biathlon-Rennen im deutschen Fernsehen sah, empfand ich es als befremdlich und gleichermaßen faszinierend. Es ist, als würde man einen Haufen Zucker auf seine Cornflakes kippen - etwas Gutes gleichwohl noch köstlicher machen - mit dem Risiko der Unverdaulichkeit.

Ich habe mir die Rennen immer wieder angesehen und frage mich immer noch, was einem diese Kunst fürs Leben bringen mag, wenn man damit nicht gerade Medaillen und anderweitige Vorteile gewinnt. Warum die Kombination von Langlauf und Schießen?

Ein interessanter Nebeneffekt von Menschen, die auf kleine Kreise zielen, sind Menschen, die sich am Streckenrand große Getränke genehmigen. Der wärmende Effekt wird oft als Motiv genannt, eventuell aber gibt es weitere Hintergründe. Gerüchteweise könne man mit Alkohol seine Leistungsfähigkeit steigern. Ein Fan meinte mal, dass es sich mit ein oder gerne auch zwei getrunkenen Bieren besser Beer-Pong spielen lässt. Der Alkoholeinfluss senke die Herzfrequenz und erzeuge eine ruhigere Hand beim Wurf. Die Kugel landet so häufiger im Runden - wie bei einem guten oder in diesem Fall eher gut gedopten Biathleten.

Man kann diesen Sport auch mit mehr Ernsthaftigkeit betrachten. Es geht nicht zuletzt darum, den Umgang mit einer Waffe in Stresssituationen zu lernen. Diese Fähigkeit kann - wie immer im Zusammenhang mit Waffen - fatale Folgen haben. Weil, je besser der Schütze oder die Schützin ist, desto schlimmer kann das Ergebnis sein. Außer eben wenn ein Biathlet seinem Sport nachgeht. Das erzeugt jubelnde Menschen am Streckenrand.

Ich versuchte, diesen Sport vor meinem Fernsehbildschirm zu verstehen und sah intensiv zu. Ich vermochte schließlich zu hören, wie die Herzen der Athleten fast aus ihrer Brust platzten, während sie versuchten, ihre Ziele zu treffen. Wenn sie die Ziellinie überqueren, fallen die Athleten in den Schnee - Speichel tropft ihnen aus dem Gesicht, und es zeigt sich, wie hart und bewundernswert dieser Sport ist. Es erinnert mich an die heimischen Leichtathleten, die ich in Uganda an der Uni sah, während ich mit meinem Rugby-Team trainierte.

Rugby ist ebenfalls ein harter Sport. Biathlon aber zieht mich inzwischen auf ganz besonders faszinierende Weise an. Diese Kombination aus Skilanglauf und dem Hochheben der Kanonen - und niemand wird verletzt, zumindest nicht wegen eines Gewehrs. Hat jemand Fußball gesagt?

Ihre Flucht hat zwei Journalisten nach München geführt. In einer wöchentlichen Kolumne schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben. Die Kolumne "Typisch Deutsch" erscheint immer am Freitag oder Samstag auf der SZ-Leuteseite. Die gesammelten Texte finden sie hier .

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