Rekordbrut in Raisting:Warten auf Meister Adebar
Lesezeit: 5 Min.
Noch gibt es im gesamten Landkreis Starnberg keinen einzigen Storchenhorst. Angesichts des Populationsdrucks am Ammersee-Südufer scheint es freilich nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Gevatter Langbein auch hier wieder brütet.
Von Armin Greune, Raisting
Während sie sich am Südufer des Ammersees fast gegenseitig auf die vier Zehen treten, ist der Landkreis Starnberg immer noch verwaist. Allerdings mehren sich die Zeichen, dass Meister Adebar demnächst auch hier wieder sesshaft wird - wie zuletzt 2001 in Inning. Die Ornithologen im Fünfseenland sind zuversichtlich: Bislang, heißt es im "Starnberger Vogelatlas" der Kreisgruppe im Landesbund für Vogelschutz, sei der Weißstorch nur Nahrungsgast im Landkreis. Vermutlich werde er den aber auch bald als Brutvogel wieder besiedeln.
Ein Indiz dafür ist die Zahl der Storch-Sichtungen, die in den Jahresberichten der Arbeitsgemeinschaft Starnberger Ornithologen (ASO) festgehalten wird. Demnach wird Ciconia ciconia immer regelmäßiger auf Futtersuche im Landkreis registriert. "Die Anzahl der Beobachtungen hat im vergangenen Jahr signifikant zugenommen", lautet das Fazit. Während der Jahre 2016 bis 2020 waren es stets weniger als 20, in den beiden darauffolgenden Jahren zwischen 20 und 30 Sichtungen - 2023 aber stolze 86.
Und obwohl noch längst nicht alle Störche aus den Winterquartieren heimgekehrt sind, sind der ASO im vergangenen Monat schon sechs Beobachtungen gemeldet worden: am 3. und 4. März je ein einzelner Vogel im Ampermoos, am 8. einer bei Herrsching, am 23. zwei Individuen bei Inning und am Karfreitag ein Single bei Tutzing. Zeitlicher Schwerpunkt der Beobachtungen in den Vorjahren waren Mai und Juni; 2023 registrierte man aber auch im August größere Ansammlungen - so etwa zehn Störche am Maisinger See oder gar 40 von ihnen, die bei Seefeld in der Luft kreisten.
Im Landkreis Starnberg weilt kein einziger Storch - in Weilheim-Schongau ganze 80
Örtlich gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, im Landkreis Starnberg einen Weißstorch zu sehen, im Nord- und Südwesten am größten. Viele fliegen aus dem Ampermoos ein, doch weit mehr haben im angrenzenden Landkreis Weilheim-Schongau ihr Revier und halten sich dann in der weiteren Umgebung des Maisinger Sees oder an den Weihern bei Diemendorf auf. Aber was die Fruchtbarkeitsrate der Fruchtbarkeitssymbole betrifft, ist der Unterschied frappant: Während 2023 in Raisting, Pähl und Dießen etwa 80 Jungstörche flügge wurden, war es im Landkreis Starnberg kein einziger - nicht einmal ein Brutversuch fand statt.
Im Andechser Ortsteil Erling hatte sich immerhin Ende März ein Storch auf dem Dach des Hotels "Zur Post" niedergelassen, um ausgerechnet auf dem Abluftkamin ein Nest zu bauen. Der potenzielle Horst musste entfernt werden, schon weil eine Brut dort kaum Erfolg versprach. Bürgermeister Georg Scheitz griff persönlich ein und ließ dem Storch auf dem Rathausdach ein neues Quartier einrichten. Dazu erwarb er von der Raistinger Schutzgemeinschaft Ammersee eine stählerne Nisthilfe und stattete sie mit Eichenreisig aus. Der Vogel aber blieb Single. Heuer hat sich bis jetzt noch kein Weißstorch in Andechs blicken lassen.
Um Meister Adebar mit Sicherheit zu begegnen, muss man bekanntlich nur kurz nach Raisting schauen. In der Ortsmitte rund um Remigius-Kirche, Heimatmuseum und Dorfladen ist die Horstdichte besonders hoch. Ständig schwirren die majestätischen Vögel durch die Luft, Tag und Nacht ist ihr Klappern im Dorf zu hören. Neue Nisthilfen - mit denen die Kolonie vor 20 Jahren ihren Anfang nahm - werden in Raisting schon lange nicht mehr bereitgestellt. Im Gegenteil: Sieben Horste sind im Verlauf der vergangenen elf Monate von Hauseigentümern oder vom Sturm beseitigt worden. Während eines Unwetters Mitte Juli stürzte ein Nest ab, nur eines von drei Jungen überlebte. "Das konnte aber in fachgerechter Pflege wieder aufgepäppelt werden", berichtet Naturschutzwächterin Christine Fritsche, die im Ort die Population betreut.
Inzwischen haben die Störche vier neue Nester auf zwei Masten, einem Haus und einem Baum gebaut, sodass es derzeit wieder 25 Horste im Dorf gibt. In allen haben sich bereits Storchenpaare eingefunden, viele sind schon mit der Brut beschäftigt. Dennoch werden bis Anfang Mai noch Zuzügler erwartet. Der Tierarzt war auch schon im Einsatz: Im März brachte ihm Fritsche einen Storch, der sich in einer Stromleitung verheddert hatte. Nach der Amputation eines Beines kam der Vogel in Pflege, inzwischen wurde er schon wieder in die Freiheit entlassen.
Im vergangenen Jahr konnte die größte Weißstorch-Kolonie Südbayerns einen Rekord an Bruterfolgen vermelden: 75 Jungstörche, mehr als doppelt so viele wie 2022, wurden im Sommer flügge. In Raisting läuft die Koexistenz zwischen Mensch und Storch längst nicht mehr so konfliktfrei ab wie in den ersten Jahren. Immer wieder kamen Missstimmungen auf, weil ein Horst entfernt werden sollte, sich die Sondergenehmigung dafür aber in die Länge zog.
Gerade wurden die gesetzlichen Richtlinien im Gemeindeblatt veröffentlicht. Demnach sind nach dem Naturschutzgesetz Eingriffe in der Brutsaison grundsätzlich verboten. Genehmigungspflichtige Ausnahmen sind nur möglich, wenn die Brut, Tiere oder Menschen unmittelbar gefährdet sind - Gründe sind so etwa eine erhöhte Brandgefahr und eingeschränkter Rauchabzug am Kamin, statische Probleme oder die Verkehrssicherung. Ohne vorherige Genehmigung kann ein Neubauversuch nur an ungeeigneten Standorten unterbunden werden.
Im vergangenen Winter waren die meisten Weißstörche zunächst am Südende des Ammersees geblieben. Bis dort Anfang Dezember die Schneemassen niedergingen, hielt sich ein großer Trupp mit knapp 30 Vögeln zwischen Raisting und Pähl auf. Dann brachen sie nach Süden auf, kamen aber oft nicht weit: "Hui Buh", eine in Raisting brütende und mit Sender ausgestattete Störchin, zog zunächst über den Bodensee in die Nähe des Zürcher Flughafens und dann bis zum Neuenburgsee in der Westschweiz. Anders als in den Vorjahren ging die Route nicht weiter nach Nordostspanien. Schon am 13. Februar war Hui Buh wieder daheim auf dem Dach des Raistinger Heimatmuseums angekommen. In diesem milden Winter waren bereits am 19. Februar wieder 42 Individuen in Raisting versammelt - so viele hat Wolfgang Bechtel gezählt, der seit Jahrzehnten für den Landesbund für Vogelschutz die Storchenpopulationen im Landkreis Weilheim-Schongau beobachtet.
Für einige Aufregung sorgte vor einigen Wochen ein Weißstorch in Bernried, der dort vom Kloster und vom Alten Schulhaus Ausschau hielt, aber wohl wieder weiterzog, erzählt Bechtel. Im Laufe der Jahre hat sich das Brutgebiet vom Ammersee stetig nach Süden erweitert: 2023 wurden im Kreis Weilheim insgesamt 108 Jungstörche flügge, je zwei davon in den beiden Horsten in Pähl und Fischen. Rivalen duldeten die Brutpaare in der Regel erst mal nicht, weiß Bechtel: Bezeichnenderweise lebte in 16 der von 18 Störchen besiedelten Orten im Landkreis Weilheim-Schongau jeweils nur ein Storchenpaar. Wenn dann aber das Monopol gebrochen ist, gibt es kein Halten mehr: 2023 gelang es nach heftigen Kämpfen gleich acht Paaren, den Pollinger Klosterkomplex zu erobern. Dort war zuvor nur ein Horst.
t
In Dießen, wo sich seit 2021 drei Storchenpaare niedergelassen haben, herrscht inzwischen Frieden. Renate Alton betreut mit ihrem Partner Franz Sanktjohanser die örtliche Weißstorchpopulation. Wie sie berichtet, sind bereits alle Horste wieder besetzt. Seit 2012 hat das Paar im eigenen Garten in der Fischerei eine Nisthilfe aufgestellt. Doch die Storchpaten mussten immer wieder Rückschläge einstecken. Mal verhinderten blutige Revierkämpfe eine Brut, dann wieder machten Dauerregen und Schafskälte dem bereits geschlüpften Nachwuchs den Garaus. 2021 gelang es erstmals zwei Störchen, in der Fischerei drei Junge großzuziehen. 2023 kamen in der Fischerei wieder drei Jungvögel durch und wurden beringt.
Heuer bezogen die Störche ihr Quartier schon am 3. Februar, vor einer guten Woche haben sie das Brutgeschäft aufgenommen, sagt Adlon. Sie und Sanktjohanser kümmern sich um die Population am Ammersee-Westufer, die inzwischen auch einen Horst in Holzhausen umfasst. "Für uns sind sie eine große Freude", sagt sie. Diese werde weder durch das Klappern noch die Hinterlassenschaften der Vögel getrübt, so Alton.
Während die anderen beiden Horste auf einem Hausdach an der Herrenstraße und der Mädchenrealschule angenommen worden sind, hat eine andere Tierfreundin in der Marktgemeinde bislang einfach kein Glück: Olivia Pourroy, die Verwalterin von Gut Romenthal, lässt seit Jahren nichts unversucht, Störche auf das Anwesen zu locken. Doch bislang fanden sich die Vögel nur zu unverbindlichen Besichtigung der Nisthilfe ein, zum Brüten zogen sie offenbar weiter.
Selbst, wenn sich heuer die ersten Weißstörche im Landkreis Starnberg dauerhaft niederlassen, könnte es nach den Erfahrungen in Raisting und Dießen also noch einige Jahre dauern, bis die ersten Jungvögel flügge werden.