Süddeutsche Zeitung

Tipps:Für diese Ausstellungen lohnt sich ein Tagesausflug ins Münchner Umland

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Und das nicht nur, weil man nach dem Kunstgenuss in den diversen Seen noch schwimmen oder in einem Biergarten sitzen kann. Viele Museen locken mit Werken aus Privatsammlungen, die bislang nur selten öffentlich zu sehen waren.

Von Sabine Reithmaier

Den schönsten Titel für eine Sommerausstellung hat sich das Schlossmuseum ausgesucht. "Und morgen nach Murnau!" - der kurze Ausruf, einem Brief Wassily Kandinskys an Gabriele Münter entnommen, macht sofort Lust, den Sommer am Staffelsee zu genießen. So wie es einst, fleißig malend, auch die Künstler und Künstlerinnen des Blauen Reiters taten. Der Besuch in Murnau, aber auch den anderen Museen des Münchner Umlands lohnt sich in diesen Monaten, nicht nur weil man nach dem Kunstgenuss in den diversen Seen noch schwimmen oder in einem Biergarten sitzen kann. Sondern weil die Museen keine Mühe gescheut haben, ihren Besuchern grandiose und manchmal auch selten zu sehende Werke des deutschen Expressionismus zu bieten.

Murnau: Münter und Kandinsky

Ausgangspunkt der Murnauer Ausstellung ist das 1909 entstandene Gemälde "Treppe zum Schloß" von Wassily Kandinsky, das genau jene Treppe zeigt, auf der Besucher, vom Ort kommend, zum Museum hochsteigen. Das Gemälde galt lange als verschollen, bis es im Sommer 2018 versteigert wurde. Für Sandra Uhrig, Chefin des Murnauer Museums, war es eine "Herzensangelegenheit" (Uhrig), das Bild wenigstens für die Dauer einer Ausstellung an seinen Entstehungsort zurückzuholen. Da der neue Besitzer dem Gedanken aufgeschlossen gegenüberstand, beschloss Uhrig, weitere Bilder Münters und Kandinskys ins Haus zu holen, die sich seit langem in privatem Besitz befinden und einen Bezug zur gemeinsamen Schaffenszeit in Murnau haben.

Die Umsetzung dieser Idee ist ihr gut gelungen. Viele der gezeigten Bilder waren bislang noch kaum zu sehen. Anhand der Werke lässt sich die Entwicklung der beiden Künstler in jenen Jahren ausgezeichnet studieren. "Treppe zum Schloss" entstand 1909 während des zweiten Aufenthalts Kandinskys in Murnau und stellt einen ersten Schritt in Richtung Abstraktion dar. Farben und Formen beginnen sich zu verselbständigen, auch wenn seine Bilder immer noch einen figurativen Kern haben. Kandinsky und vor allem Münter experimentierten in diesen Jahren unentwegt mit Farben und Formen. Variationen ähnlicher Motive zeigen vor allem Münters nagende Zweifel, das ewige Schwanken zwischen eher konventioneller Malerei und fast naturgetreuer Wiedergabe von Murnau, bis hin zu reduzierten, mit schwarzen Linien konturierten Farbflächen. Deutlich auch die Spuren, die Alexei Jawlensky in ihrem Werk hinterlässt, sei es in der Farbgebung oder in der Landschaftsdarstellung. Hinreißend sind die Gemälde, in denen Kandinsky seine damalige Lebensgefährtin festgehalten hat. 1910 rückt er Münter monumental ins Bild, malt sie beim Nachdenken mit heruntergezogenen Mundwinkeln in einem Sessel, dahinter den Blick auf den Ort. Zwei Jahre zuvor hat er sie beim Malen eines Bauernmädchens im Freien festgehalten.

Parallel zu den Gemälden zeigt das Museum historische Fotografien von August Pöltl aus den Jahren 1911 und 1919, fabelhafte Aufnahmen aus Murnau aus jener Zeit, in der die Mitglieder des Blauen Reiter dort unterwegs waren. Auf den Fotos selbst hat sie Sandra Uhrig allerdings trotz allen Suchens bislang noch nicht entdeckt.

"Und morgen nach Murnau!" Meisterwerke von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky aus Privatsammlungen. bis 9. Oktober, Schlossmuseum Murnau, Telefon 08841/476201, der Katalog kostet 25 Euro

Bernried: Brücke und Blauer Reiter

Mit einer besonders hochkarätigen Ausstellung wartet das Buchheim Museum in Bernried auf. Lothar-Günther Buchheim, Gründer des nach ihm benannten Museums, verdross schon 1956 die von manchen Kunsthistorikern aufgestellte Behauptung, der figurative Expressionismus der Künstlervereinigung "Brücke", noch dem gegenständlichen Abbild verhaftet, sei nur eine Vorstufe zur Abstraktion des Blauen Reiter gewesen. Er schrieb mehrmals wortreich gegen diese evolutionistische Deutung der Kunstgeschichte an. Vermutlich hätte ihm daher der direkte Vergleich zwischen den Mitgliedern der beiden Künstlergruppen, der in seinem Haus jetzt möglich ist, gut gefallen.

Die Fülle an Arbeiten - gezeigt werden 90 Gemälde von großen Namen sowie 70 Arbeiten auf Papier - ist begeisternd. Möglich macht dies eine Kooperation des Buchheim-Museums mit den Chemnitzer Kunstsammlungen und dem Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal. Das Ergebnis der Kooperation sei grandios, urteilte Alexander Menden in der SZ anlässlich des Ausstellungsstarts in Wuppertal. Im Buchheim Museum, der dritten Station, präsentiert Museumschef Daniel Schreiber die Künstler paarweise, die jeweiligen Werke stammen aus demselben Jahr und weisen ähnliche Motive auf. So entsteht, unterstützt von einem nuancierten Farbkonzept, ein packender Dialog. "Eine augenbezogene Ausstellung", sagt Schreiber, "eine Einladung, Kunstgeschichte neu zu sehen" und auch ein Beleg dafür, dass es keinen einheitlichen expressionistischen Stil gibt. Marcs behäbiger "Akt mit Katze" (1910) hängt neben Kirchners deutlich erotischerem "Mädchenakt im Atelier" (1909), reduzierte Landschaften von Gabriele Münter neben farbenfrohen von Erich Heckel. Manchmal ist es verblüffend, zu welchen ähnlichen Lösungen die Künstler kamen, so ähneln sich manche Frauenporträts von Alexej Jawlensky und Karl Schmidt-Rottluff. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen den beiden Gruppen, sondern eher zwischen den einzelnen Mitgliedern. Jedenfalls attestierte Kandinsky dem Blauen Reiter eine viel größere Bandbreite an Motiven als den Mitgliedern der Brücke, die seiner Ansicht nach nur "Akte mit und ohne Schamhaare", Badende und Zirkusbilder malten, wie er an den von der Brücke begeisterten Franz Marc schrieb. Die Ausstellung liefert jedenfalls ein wunderbar vielschichtiges Bild der beiden Gruppen.

Brücke & Blauer Reiter, bis 23. November, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, Telefon 08158/99700, der Katalog kostet 34 Euro

Wer nach so vielen Expressionisten Lust auf eine Abwechslung hat, muss nicht weit gehen. Denn im großen Saal gleich nebenan ist noch der Münchner Cartoonist und Maler Rudi Hurzlmeier zu Gast. Seine umfangreiche Werkschau ist weder chronologisch noch nach Gattungen gegliedert, sondern nach thematischen Aspekten des weiten Felds seiner Absurditäten. Mehr als 200 seiner Arbeiten sind zu sehen, nicht nur Cartoons und satirische Zeichnungen, sondern auch seine Gemälde.

Rudi Hurzelmeier: Das weite Feld der Unvernunft, bis 25. September, Buchheim Museum, Bernried

Tegernsee: Von Renoir bis Jawlensky

Mit Überraschungen aus privaten Sammlungen wartet das Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee auf. Michael Beck, dem Vorstandsvorsitzenden der Gulbransson-Gesellschaft, ist es zum zweiten Mal gelungen, Sammler zu überreden, auf manche ihrer Schätze zumindest für einige Monate zu verzichten. Daher werden an die 70, zwischen 1858 und 1945 entstandene Gemälde, Aquarelle und Skulpturen gezeigt, die sich in der Öffentlichkeit bislang eher rar machten. Und die durchweg von Malern und Malerinnen stammen, die Kunstgeschichte geschrieben haben. Ein Selbstporträt des Malers Henri Fatin-Latour aus dem Jahr 1858 ist das älteste Werk in der Schau, gefolgt von Landschaften Auguste Renoirs und einem idyllischen "Frühstück in Bourgueil", das Louis Anquetin um 1893 malte. Deutet sich bei den Franzosen die Befreiung aus den engen Konventionen der akademischen Malerei bereits an, so entfalten sich die neuen Ausdrucksformen bei den Malern der "Brücke" und des "Blauen Reiters" in vielen Nuancen. Zu den jüngsten Werken in der Schau zählt Lyonel Feiningers feines Ölgemälde "Regatta" von 1941 oder Max Beckmanns großartiges "Stillleben mit Fingerhut" (1943). 13 Werke stammen aus der Sammlung von Gabriele und Anna Braglia, die seit den Neunzigerjahren deutschen Expressionismus sammeln. Sie haben Werke von Franz Marc, Paul Klee, Gabriele Münter, Emil Nolde geschickt, nicht zu vergessen Marianne von Werefkins hochdramatisches Gemälde "Das Duell".

Von Renoir bis Jawlensky. Mit Leidenschaft gesammelt. Werke aus Privatbesitz, bis 8. Januar 2023, Olaf Gulbransson Museum, Tegernsee. Der Katalog kostet 34,90 Euro

Kochel: Karin Kneffel

Im Kochler Franz Marc Museum ist neben dem immer präsenten Hausherrn und seinen Zeitgenossen noch die Sonderausstellung der Malerin Karin Kneffel zu sehen. Sie spürt in der Ausstellung "Im Bild" dem Verbleib einer herausragenden Expressionisten-Sammlung nach, die heute weit verstreut ist. Als Quelle diente ihr eine Handvoll historischer Schwarzweißfotos, die die Inneneinrichtung der Villa des Krefelder Kunstsammlers und Seidenfabrikanten Hermann Lange zeigen. Doch die meisten Gemälde sind auf den alten Fotos nur schlecht oder gar nicht zu erkennen. Kneffel malte in einem ersten Schritt die unscharfen Flächen in Grau-Tönen und machte sich auf die Suche nach dem Gemälde. Manche Werke konnte sie einfach identifizieren, Ernst Ludwig Kirchners Straßenszene "Potsdamer Platz" zum Beispiel, die früher in der Langeschen Wohnhalle hing und heute in der Berliner Nationalgalerie zu sehen ist. Viel mehr Schwierigkeiten macht ihr beispielsweise Oskar Kokoschkas "Sommer I", den sie im Dresdner Albertinum findet.

Kneffel verarbeitet ihre Funde doppelt: malt zum einen die von ihr aufgespürten Werke an ihren neuen Standorten. Die Lehmbruck-Figuren beispielsweise vor dem blau schimmernden, gläsernen Innenhof-Kubus des Museums, dessen Wände in Kneffels Version gerade mit Seifenschaum geputzt werden. Zum anderen malt sie die Werke an ihrem ursprünglichen Ort, setzt sie wie Leuchtkästen in die Räume des Hauses Lange ein. Da es der Kochler Museumsleiterin Cathrin Klingsöhr-Leroy gelungen ist, die jeweiligen Originale als Leihgaben zu erhalten - einiges kommt freilich aus eigenen Beständen - überlagern sich in dieser Ausstellung die Zeit- und Wahrnehmungsebenen auf eine höchst anregende Art.

Karin Kneffel. Im Bild , bis 3.10., Franz Marc Museum , Kochel am See. Der Katalog zur Ausstellung kostet 39 Euro (Museumsausgabe 29,80 Euro)

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