Süddeutsche Zeitung

Der Schnee-Rekord und die Folgen:Wenn in München die Schneeschaufeln ausgehen

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Ungewöhnlich früh schneit es ungewöhnlich viel. Der Verkehr kommt zum Erliegen, Polizei und Feuerwehr sind im Dauereinsatz, auf den Rodelhängen geht es hoch her. Und der Ausnahmezustand dürfte noch eine Weile anhalten.

Von Kathrin Aldenhoff, Nicole Graner und René Hofmann

Die Lage: 44 Zentimeter Schnee - so viel wie von Freitag auf Samstag hat es an einem Tag in München noch nie geschneit, solange die Niederschlagsmengen aufgezeichnet werden, was immerhin seit 1933 geschieht. Der Rekordwert zuvor wurde im Dezember 1938 notiert: Damals fielen an einem Tag 43 Zentimeter.

Die Auswirkungen am Hauptbahnhof: Am Samstag ging gar nichts. Der Zugverkehr rund um München wurde wegen der starken Schneefälle in der Nacht zum Samstag eingestellt. Gestrandete mussten in Zügen übernachtet. Zum Beispiel auf Gleis 24, in einem von der Deutschen Bahn (DB) bereitgestellten Aufenthaltszug. Dort konnten sich diejenigen aufwärmen, die nicht wussten, wie es weitergeht. Und vor allem: wann.

Auch im Zwischengeschoss war es voll: Überall Menschen mit Koffern, die sich an heißen Getränken aus Pappbechern wärmen. Die öffentlichen Toiletten: von Reisenden überlaufen, die sich frisch machen wollen. Lange Schlangen am Drehkreuz, lange Schlangen auch vor dem DB-Reisezentrum und der DB-Information.

Erst am Sonntagvormittag kam wieder Bewegung auf die Gleise, die nach Tagesanbruch mit Helikopterflügen kontrolliert worden waren. Erste Fernverbindungen wurden wieder aufgenommen, nach Nürnberg, nach Stuttgart. Die Zugbindung bleibt aufgehoben. Doch auch zum Wochenstart, warnt die Bahn, werden nicht alle Verbindungen bedient werden können. Für Montag sagte sie die Fernzüge von München nach Salzburg, Innsbruck, Lindau/Zürich und Singen/Zürich ab und verwies Reisende auf die Informationen im Internet.

Die Auswirkungen auf die Straßen: Von Freitagabend bis Sonntagabend kam die Münchner Feuerwehr auf 785 schneebedingte Einsätze. Ab 19.30 Uhr seien die ersten Notrufe eingegangen, berichtete ein Sprecher, im Minutentakt meldeten sich Menschen und berichteten von Schneelast-bedrohten Bäumen und herabgestürzten Ästen. Die Polizei spricht von 650 schneebedingten Einsätzen. Vor viele Häuser wurden Absperrbänder gezogen, um Passanten vor Dachlawinen zu warnen. 300 Verkehrsunfälle wurden bis Sonntag aufgenommen, das sind 200 mehr als am vergangenen, wettertechnisch unauffälligen Wochenende. Der Unfallklassiker: Autofahrer, die in parkende Autos rutschen.

Die Auswirkungen auf den Flughafen: Die Bewegungen auf und rund um den Münchner Flughafen lassen sich über flightradar24 gut verfolgen: Die App zeigt alle Flugbewegungen. Am Samstagnachmittag war in ihr zu sehen, dass sich im Erdinger Moos kein Flugzeug bewegte. Die Fahrten der Schneepflüge aber wurden exakt abgebildet. Am Samstagmorgen war der Flugbetrieb vorübergehend eingestellt worden. Dies wirkte sich auch auf andere Flughäfen aus, etwa die in Nürnberg und Frankfurt, die umgeleitete Flüge aufnehmen mussten, bis ihre Kapazitätsgrenzen erschöpft waren.

Am Sonntagmorgen ging es zwar wieder los, aber nur in stark reduziertem Umfang. Von rund 890 Flügen, die an dem Tag eigentlich geplant waren, wurden mehr als 600 gestrichen. Entsprechend war die Szenerie in den Abflughallen: Lange Schlangen zogen sich durch diese. Passagiere der Lufthansa klagten zudem über die schlechte Erreichbarkeit der Airline, sowohl telefonisch als auch per Chat. Über Durchsagen wurden den Kunden mitgeteilt, dass Umbuchungen nur per App vorgenommen werden können - auch wenn die Passagiere am Flughafen sind.

Mit Verzögerungen und Einschränken ist auch am Montag weiter zu rechnen.

Die Auswirkungen auf den ÖPNV: Im Außenbereich ging bei der S-Bahn am Wochenende nichts. Auch Busse und Straßenbahnen konnten am Samstag gar nicht fahren. Am Sonntag ging es langsam wieder los, wobei Schneepflüge den Bussen am Morgen die Zufahrten frei schieben und die Reisenden sich an vielen Haltestellen über hohe Schneeberge mühen mussten. Auch U-Bahnen mit oberirdischen Streckenverläufen waren beeinträchtigt.

Die Auswirkungen auf Veranstaltungen: Das Tollwood Winterfestival öffnete am Samstag gar nicht, auch die Residenz blieb geschlossen. Die Tiere in Hellabrunn blieben das gesamte Wochenende über von Besuchern unbehelligt, die Sicherheit auf den Wegen sei beeinträchtigt, ließ der Tierpark wissen. Die Stadt riet Bürgern generell, Park- und Grünanlagen zu meiden, der Nymphenburger Schlosspark und das Schloss Lustheim in Oberschleißheim wurden aus Sicherheitsgründen abgeriegelt.

In Riem blieben die Messen Heim und Handwerk sowie Food und Life für einen Tag geschlossen, weil ohnehin kaum jemand hingekommen wäre. Am Sonntag öffnete die Messe wieder - ausnahmsweise bei freiem Eintritt.

Besonders hart wurde der Kindercircus Roberto getroffen, der aktuell in Unterföhring gastiert. In der Nacht zum Samstag stürzte das Zelt unter den Schneemassen ein, als die Zirkusfamilie gerade dabei war, das Dach zu räumen. Eigentlich sollten die Vorführungen von Kindern für Kinder am 22. Dezember beginnen. Nun bangt der Zirkus um sein Fortbestehen.

Die Auswirkungen auf die Geschäfte: "Wegen der Witterungslage schließen wir heute schon um 20 Uhr". "Aufgrund der Verkehrssituation können wir Ihnen heute leider keine Beratung im gewohnten Umfang bieten": An etlichen Restaurants und Geschäften wurden die Kunden am Samstag um Nachsicht gebeten.

Wohl am deutlichsten spürbar waren die Auswirkungen des Rekord-Schnees in den Baumärkten. "Schneeschaufeln? Sind aus", hieß es dort mancherorten schon um die Mittagszeit. "Streugut? Ist ebenfalls aus." Auffällig stark nachgefragt waren auch Bobs und Schlitten. Und Spaten. Als Schneeschaufel-Ersatz.

Die Auswirkungen auf die Rodelhügel: Auf den Schneefall am Samstag folgte am Sonntag die Sonne. Der Schuttberg verwandelte sich in ein Familienparadies, Kitzbühel vor der Haustür sozusagen. Schon um zehn Uhr war Hochbetrieb im Luitpoldpark. Auf rutschigen Wegen klapperten die Bobs, die von Kindern, Mamas und Papas, Omas, Opas gezogen wurden. Alles, was zum Rutschen geht, war im Einsatz, auch Einkaufstüten und Alpen-Ufos - rutschende Scheiben mit Griffen.

Kurz rangezoomt: Ein Junge traut sich mit Skiern auf die Stadtpiste, Patrick Schnibben mit seinem neuen Snowboard. Und Ingrid Feilhuber, deren Kinder schon hier gerodelt seien, klatscht in die Hände. Gerade hat sich ihr Enkel bäuchlings auf einem Schlitten den Hügel hinunter getraut.

Die Auswirkungen auf den Sport: Die in der Allianz-Arena am Samstagnachmittag geplante Bundesligapartie zwischen dem FC Bayern und Union Berlin wurde am Samstagvormittag abgesagt. Bayern-Stürmer Thomas Müller postete daraufhin ein Video, das ihn dick eingepackt beim Schneeschippen zeigte. Müllers Kommentar dazu: "Hallo meine Damen und Herren, wir befinden uns wie so oft am Samstagnachmittag in der rechten Halbspur."

Müllers Teamkollege Leon Goretzka antwortete wenig später ebenfalls mit einem Video, in dem er leicht bekleidet mit einem Salzstreuer durch den hohen Schnee in seinem Garten stapfte. Goretzkas Kommentar: "Weiß gar nicht, was die Aufregung soll!?"

Bundestrainer Julian Nagelsmann hatte Mühe, die Auslosung der EM-Vorrunde am Samstagabend in der Hamburger Elbphilharmonie zu erreichen. Aus dem geplanten Flug wurde nichts. Nagelsmann musste aufs Auto umsteigen.

Die Fußballspiele der Regionalliga in Bayern wurden abgesagt, weil die Plätze nicht bespielbar waren. Auch die für Sonntag geplante Partie der Bayern-Basketballer in Berlin fiel aus, weil die Münchner es nicht mit genügend Vorlauf zum Spielort schafften. Zuvor schon hatte der Bayerische Basketball-Verband all seine Mitgliedsvereine gebeten, die Spielabsagen nicht mehr telefonisch zu melden. Es waren schlicht zu viele.

Eine Outdoor-Sportveranstaltung fand in dem Weiß aber doch statt: der Nikolauslauf im Olympiapark.

Die Aussichten: Am Montag und Dienstag soll es weiter kalt bleiben, Schnee soll aber nur vereinzelt fallen.

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