Süddeutsche Zeitung

Kino:Über Liebe, Macht und Hörigkeit

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Hanna Schygulla spricht im Interview über ihren neuen Kinofilm "Peter von Kant". Dieser basiert auf einem 50 Jahre alten Drama ihres Entdeckers Rainer Werner Fassbinder, in dem sie ebenfalls mitspielte. Höchste Zeit also für einen Blick zurück - und nach vorn.

Von Josef Grübl, München

Die Berlinale-Premiere im Februar hat sie ausgelassen, aus Angst vor Covid, wie sie sagt. Zum Kinostart von "Peter von Kant" spricht Hanna Schygulla aber über den neuen Film, ihre Jugend in München und die Jahre mit Rainer Werner Fassbinder. Die 78-Jährige erzählt von Machtmissbrauch, Hörigkeit, schwierigen Regisseuren und der Zeit, als sie der Schauspielerei den Rücken kehrte.

SZ: "Peter von Kant" basiert auf dem Fassbinder-Film "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Damals spielten Sie die Geliebte, heute die Mutter. Wie fanden Sie diesen Rollentausch?

Hanna Schygulla: Die Zeit schreitet voran, so ist das eben im Leben. Ich bin jetzt in einer anderen Alterskategorie. Und entweder man ist noch mit von der Partie - oder eben nicht. Als mich François Ozon gefragt hat, ob ich in seinem Film " Peter von Kant" die Mutter spielen will, hat mich das gefreut. Ich habe aber auch gesagt, dass er ein bisschen etwas von mir in die Rolle einfließen lassen soll.

Fassbinders Film ist 50 Jahre alt. Können Sie sich noch an die Dreharbeiten erinnern?

Ja, wie immer bei ihm ging alles sehr schnell. Der Film war in 14 Tagen fertig. Ich war aber nie ein Fan von diesem Projekt. Das lag daran, weil ich den privaten Hintergrund kannte.

Die Geschichte ging auf ein privates Beziehungsdrama Fassbinders zurück, er selbst war ja quasi die manipulative Modeschöpferin Petra von Kant.

Genau. Als Regisseur ist man ja in einer Machtposition, ist Weltenerfinder und in dieser Welt ein kleiner Gott. Dieses Abgleiten von Liebe in das Ausleben von Machtpositionen hat die Tragik seines Lebens ausgemacht. Der Rainer war einer, der nicht glauben konnte, dass man ihn um seiner selbst wegen mochte. Er dachte, dass alle nur etwas von ihm wollen. Was verständlich ist, schließlich konnte er ihnen auch ein neues Leben bieten. Es gab kaum jemanden, dessen Lebensweg er nicht entscheidend verändert hätte.

Auch Ihren.

Ja, klar. Ich habe ihn ja auf einer privaten Schauspielschule kennengelernt, die er besucht hat, weil er an den Filmschulen nicht genommen wurde. Und zu der ich nur gegangen bin, weil ich eine Freundin begleitete. Aber schon bald dachte ich, dass ich nicht dafür geschaffen bin. Ich war schon wieder weg von der Schule, als mich Rainer kontaktierte.

Kurz darauf hatten Sie in einem Dutzend seiner Filme gespielt. Wie empfanden Sie die ersten Jahre mit Fassbinder?

Das war wie ein Traum. Weil alles so leicht ging, und man jemand anderes sein konnte. Gleichzeitig habe ich mir aber immer gedacht: Was hat das alles mit mir zu tun? In den ersten Filmen habe ich nur Frauen gespielt, die das Gegenbild waren zu dem, was ich war. Ich ging ja an die Uni und war auf dem Weg dazu, eine frustrierte Intellektuelle zu werden. Doch vor der Kamera verkörperte ich kleine Vorstadthuren oder Marilyns.

In "Petra von Kant" spielten Sie die Geliebte der Titelfigur. War die lesbische Thematik damals ein Aufreger?

Fassbinder hat oft Filme über die Außenseiter und Verstoßenen der Gesellschaft gemacht. Das war für ihn aber eher eine Verfremdungsmaßnahme. Er wollte zeigen, dass die sogenannten Andersartigen genauso an den gesellschaftlichen Strukturen leiden - und sich im Zweifelsfall genauso verhalten. Es ist ja ein sehr universelles Thema: Wenn du liebst, solltest du aufpassen, nicht in Machtspiele abzurutschen. Das blieb beim Publikum hängen, "Petra von Kant" war ein Erfolg und ist danach noch oft als Theaterstück aufgeführt worden.

Es ging ihm also nicht um die Darstellung von Homosexualität?

Nein. Die Verfremdungen hatten eher Brecht'sche Züge, auch wenn er es so nicht genannt hat. Die Figuren sind wie seltsame Puppen an unsichtbaren Fäden in einer klaustrophobisch schwülen Atelierwelt. Der Rainer hat begriffen: Wenn die Wahrheit in gewohntem Gewand daherkommt, bemerkt sie keiner. Verfremdet man sie aber, werden die Leute wach. Das ist es ja, was die Kunst ausmacht. Sonst wäre sie nur eine Verdoppelung der Welt.

Im neuen Film gibt es einen Rollentausch: Da sind es keine lesbischen Frauen mehr, sondern schwule Männer. Peter von Kant ist auch eindeutig an Rainer Werner Fassbinder angelehnt. Wie finden Sie diesen Ansatz?

Ein bisschen überdeutlich, würde ich sagen. Aber wissen Sie, der Film kommt auch aus einer anderen Zeit und einem anderen Land. Er hat eine andere Sprache, im Französischen kommt dieses Bühnendeutsch von Fassbinder nicht so raus. Ozon ist aber trotz der Schwere und der Hysterie der Vorlage eine komödiantische Leichtigkeit gelungen. So etwas können nur die Franzosen.

Mögen Sie den neuen Film?

Ich finde ihn gelungen, aber "mögen" kann ich nicht sagen. Da bin ich auch wie gesagt vorbelastet. Und wenn ich mir das erlauben darf zu sagen, hätte ich den Film interessanter gefunden, wenn etwas Neues hinzugekommen wäre. Er spielt ja ebenfalls in den Siebzigerjahren; ich hätte ihn gewagter gefunden, wenn man ihn in die heutige Welt hineinversetzt hätte. In eine Zeit, wo das Virtuelle so nah am Reellen liegt und die Grenzen mehr verschwimmen.

Machtmissbrauch und Hörigkeit bestimmen beide Filme. Bei Fassbinder gab es die wohl nicht nur vor der Kamera. Eine solche Arbeitsweise ist heute nicht mehr denkbar, oder?

Ja, da ist man weitergekommen, allein schon wegen "Me Too". Wobei ich nicht glaube, dass Fassbinder jemand physisch vergewaltigt hat. Psychisch aber schon, so nach dem sadomasochistischen Ansatz: "Ich quäle dich, um mehr aus dir herauszuholen."

Braucht es diese Art von Psychospielchen noch? Diese Zirkusdirektoren, die mit der Peitsche knallen, damit große Kunstwerke herauskommen?

Nein. Es braucht aber schon einen Direktor. Nur muss der nicht mit der Peitsche knallen. Ich habe auch mit Regisseuren zusammengearbeitet, die das mit viel Charisma machten. Klaus Michael Grüber etwa hat nicht hingeschaut, sondern nur genau hingehört. Auch Marco Ferreri oder Andrzej Wajda haben den Schauspielern viel Freiheiten gelassen.

Sie haben auch mit Filmemachern gearbeitet, die menschlich nicht ganz einfach waren. Wie erging es Ihnen zum Beispiel mit dem gerade erst verstorbenen Jean-Luc Godard ?

Naja, man kann da eben das Genie genießen. Mit Godard habe ich einen Film gemacht, der hat uns vor Drehbeginn an den Genfer See bestellt. Dann sollten wir alle ein paar Tage arbeiten gehen - und zwar in dem Beruf, den wir im Film machen. Ich habe also in einer Tankstelle gearbeitet und Isabelle Huppert in einer Schraubenfabrik. Abends mussten wir Berichterstattung machen. Die Seiten hat Godard dann eingesammelt und wollte davon Anregungen kriegen. Als alle bereit waren, hat er gesagt: "Ich bin noch nicht soweit, ihr könnt wieder nach Hause fahren." So etwas hätte der Fassbinder nie gemacht, der war immer soweit.

Sie leben seit vielen Jahren in Paris und Berlin. Wie oft sind Sie noch in München?

Nicht mehr so häufig, vielleicht einmal in zwei Jahren. Als meine Eltern noch lebten, war ich viel öfter hier.

Für Ihre Eltern haben Sie auch lange Ihre Filmkarriere ruhen lassen. Das war nochmal ein Rollentausch, oder?

Ja, ich habe fast zwanzig Jahre lang ein Doppelleben geführt zwischen Paris und Zorneding bei München. Dorthin sind meine Eltern gezogen, als sie alt wurden und Hilfe brauchten. Dort lebten auch noch andere Verwandte. Das war eine sehr intensive Zeit, ich hatte das Bedürfnis, gutzumachen, was ihnen bisher an Glück schuldig blieb. So sind wir als Familie noch einmal richtig zusammengewachsen.

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