"Peter von Kant" im Kino:Toxischer Teddybär

"Peter von Kant" im Kino: Macht, Liebe, Unterwerfung: Denis Ménochet als Fassbinder-Verschnitt, dahinter sein Lover (Khalil Ben Gharbia) und sein geknechteter Sekretär (Stéfan Crépon).

Macht, Liebe, Unterwerfung: Denis Ménochet als Fassbinder-Verschnitt, dahinter sein Lover (Khalil Ben Gharbia) und sein geknechteter Sekretär (Stéfan Crépon).

(Foto: Carole Bethuel/MFA)

Rainer Werner Fassbinder erfand einst die tyrannische Diva Petra von Kant. Hat er sich damit selbst porträtiert? In seiner Retro-Hommage "Peter von Kant" nimmt François Ozon diese Idee beim Wort.

Von Philipp Stadelmaier

Peter von Kant tanzt, sehr betrunken und sehr alleine, durch sein Apartment, das in kaltes dunkelblaues Licht getaucht ist. Eher noch, er torkelt. Verzweifelt wartet er im Morgenmantel auf den Anruf des jungen Schauspielers, dessen Bild im Großformat seine Wand ziert, mit nacktem Oberkörper und in der Pose des heiligen Sebastian: Amir. Peter hat Amir einst geliebt und berühmt gemacht, dann wurde er von ihm verlassen. Da, ein Anruf: Aber nein, es ist nicht Amir, nur irgendein Gratulant. Peter von Kant hat Geburtstag.

Auf dem Plattenspieler läuft ein Chanson von Cora Vaucaire, "Comme au théâtre", in dem sich eine Frau ebenfalls an eine vergangene Liebesaffäre erinnert und ihrem Liebhaber in die Vergangenheit nachruft, dass er, je mehr sie darüber nachdenke, "ein Genie der Mise en scène" gewesen sei. Ein genialer Regisseur also. In diesem Moment stellt man sich vor, dass François Ozon in gleicher Weise auch über Rainer Werner Fassbinder reden würde, dem er hinterhertrauert, den er in seinem Film "Peter von Kant" neu aufgelegt hat und zugleich beschwört.

Fassbinders Kammerspiel "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" aus dem 1972, das auf seinem gleichnamigen Theaterstück basierte, spielte in der Atelierwohnung der reichen, erfolgreichen Modedesignerin Petra von Kant, dargestellt von Margit Carstensen. Petra von Kant verliebt sich unglücklich in ein junges Model (Hanna Schygulla), das sie groß rausbringt, um dann von ihm abserviert zu werden, während sie ihre Sekretärin, die stumme Marlene (Irm Hermann), wie eine Sklavin herumkommandiert.

Das alles war nicht nur eine dieser unbarmherzigen Fassbinder'schen Erkundungen von Geld, Liebe und Macht, sondern auch ein genialer Moment der Mise en scène, entlang der langen, verwinkelten Kamerafahrten von Michael Ballhaus, der aus dem engen Ort ein weitläufiges Labyrinth der Qualen und einen Schrein der Kinokunst machte.

Im Zentrum steht ein Regietyrann, der unmöglichen Leidenschaften anheimfällt

Nun wurde Fassbinders Film oft (auto-)biografisch gelesen, als Kommentar des Meisters auf sein selbstgeschaffenes, ebenso hochgradig produktives wie hochgradig toxisches Umfeld. Im Zentrum steht der Regietyrann, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausbeutet, während er selbst den unmöglichsten Leidenschaften anheimfällt. Ozon macht sich diese Lesart zunutze, in dieser Hommage an Fassbinder, dessen Foto er schon während des Vorspanns zeigt.

Peter von Kant ist ein berühmter deutscher Regisseur, und das Ganze spielt im Jahr von Fassbinders Film, 1972, allerdings nicht in Bremen, wie das Original, sondern in Köln, in der Wohnung des Titelhelden. Denis Ménochet darf in schwarzer Lederweste zu rotem Hemd herumlaufen und ordentlich koksen. Er verliebt sich in besagten Schauspieler (Khalil Ben Gharbia) und kriegt Besuch von einer befreundeten Schauspielerin und Sängerin (Isabelle Adjani, nicht gerade auf dem Höhepunkt ihres Könnens), die ihn und uns daran erinnert, dass Kant alias Fassbinder künstlerisch eine große Lichtgestalt und menschlich eine große Sau war. Aus der Sekretärin von damals ist der blasse Sekretär Karl geworden, auch er sagt kein Wort, auch er muss sich herumkommandieren lassen.

Ozon hingegen packt das alles in eine sterile, freundliche Atmosphäre, in einen Raum und ein Farbspektrum, das nach heutigem Standard-Qualitätsfernsehen à la Netflix aussieht. Wenn bei Fassbinder die Schnitte deutlich erkennbar waren, wenn die Figuren immer wieder aufgenommen und wiedergefunden wurden, in Positionen, die ebenso konkret waren wie die Schaufensterpuppen, die in der Wohnung herumstanden, wird bei Ozon beliebig und fernsehkonform geschnitten. Kein Widerstand legt sich dem Auge in den Weg, die Erzählung wird homogenisiert und geglättet. Alles ist schön sauber, und noch im Koksrausch behält Kant die Contenance.

Und der Text? Bei Fassbinder analysierte die Art zu sprechen das Gesagte, die Betonung von Worten wie "Bedauern" und "Begreifen" hatte dasselbe Gewicht wie eine Einstellung auf das Gesicht der geknechteten Sekretärin Marlene, das mit einem Mal auf unscharf gestellt wurde. In diesen Momenten begriffen auch wir und fühlten das Bedauern der Modedesignerin in ihrem goldenen Käfig.

Ozon lässt die Dialoge aber zu schnell herunterhudeln; die Adaption ist originalgetreu, aber die Seelenpein ist verschwunden. Ist der Mensch, wie es in den "Bitteren Tränen" heißt, so gemacht, "dass er den anderen braucht, ohne dass er gelernt hat, wie er mit ihm zusammen ist"? Die Ballhaus'schen Kamerabewegungsblöcke pressten die Menschen glaubwürdig in diese Spannung hinein - bei Ozon ist davon nichts mehr geblieben.

"Peter von Kant" im Kino: Der Künstler und seine Mutter: Hanna Schygulla und Denis Ménochet in "Peter von Kant".

Der Künstler und seine Mutter: Hanna Schygulla und Denis Ménochet in "Peter von Kant".

(Foto: Carole Bethuel/MFA)

Denn Kant tanzt allein, und ebenso ist diese Neuadaption - die im Frühjahr die Berlinale eröffnen durfte - eher ein Kopfkino in der Fantasie des cinephilen französischen Filmemachers, der schon in seinen letzten Filmen immer wieder auf filmgeschichtliche Vorlagen von Lubitsch oder Cronenberg zurückgegriffen hat. Abgesehen von Hanna Schygulla, die einen Gastauftritt als Kants Mama haben darf, kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler aus Frankreich und sprechen Französisch. Kant ist damit eher ein französisierter Fantasie-Fassbinder Ozons, als dass er irgendeine Verbindung zum Original hätte.

Nun kennt Ozon seinen Platz in der Filmgeschichte genau. Er weiß, dass man heute, im Jahr 2022, einem Künstler-Monolithen wie Fassbinder nur noch ironisch die Ehre erweisen kann. Kant ist mal narzisstischer Künstler und dann doch wieder trotziges, weinerliches, irgendwie lächerliches Kind mit verschränkten Armen: ein toxischer Teddybär, der erst cholerisch die Frauen um sich herum anbrüllt, um sich dann doch von "Mutti" Schygulla in den Schlaf singen zu lassen. Das Genie der Mise en scène hat sich längst verabschiedet. Bleiben die betrunkenen Tänze.

Peter von Kant, Frankreich / Belgien 2022. - Regie: François Ozon. Buch: Ozon, nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder. Kamera: Manuel Dacosse. Mit Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Ben Gharbia. MFA / Filmagentinnen, 85 Min. Kinostart: 22. 09. 2022.

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