Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:"Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit"

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Bayerische Gasthäuser haben auch heute noch eine Chance. Nur Schweinsbraten und Käsespätzle zu bieten, ist aber zu wenig. Erfolgreiche Wirte setzen auf vegane Küche, kulturelle Angebote und überraschende Konzepte - in Brunnthal genauso wie in Wörnbrunn.

Von Bernhard Lohr

Anton Stürzer hat dem Drama lange zugesehen. Von seiner Terrasse aus hat er direkt hinüber schauen können zum Hauser-Wirt, und wenn er sich über den Gartenzaun gebeugt hat, auch hundert Meter weiter in die andere Richtung zum Alten Wirt an der zentralen Kreuzung in Höhenkirchen. Beim Hauser-Wirt brummte das Geschäft, der Laden war voll, seit dort ein junger Gastronom mit dem "Feuer & Stein" ein neues Konzept mit Pizza vom offenen Holzofen anbot und wahlweise Steaks und Cocktails. Derweil kämpfte im "Alten Wirt" mit bayerischer Gastronomie der dritte Pächter in fünf Jahren ums Überleben.

Stürzer reagierte: Er holte das "Feuer & Stein" in den "Alten Wirt", der ihm gehört. Wo eben noch der traditionsreiche Hauser-Wirt stand, wird in Kürze ein Wohn- und Geschäftshaus fertig. Ein Schicksal, das dem Alten Wirt durch die Raffinesse des Landwirts und Großgrundbesitzers erspart bleibt. "Wer nicht mit der Zeit geht", sagt Stürzer, "der geht mit der Zeit".

Die bayerische Gastronomie, die im Münchner Umland in vielen alteingesessenen Wirtshäusern hochgehalten wurde und auch noch wird, hat es zunehmend schwer. Pächterwechsel sind fast Routine, ebenso leer stehende große Gasthöfe mit Saal, die aus der Zeit gefallen scheinen. Die typische Geschichte um den Hauser-Wirt und den Alten Wirt komplettiert in Höhenkirchen-Siegertsbrunn der seit Monaten verwaiste Gasthof Inselkammer. Es ist sicher der schönste Gasthof am Ort, aufwendig restauriert und modernisiert, mit Biergarten im alten Siegertsbrunner Ortskern.

Die Brauerei Aying, welcher der Gasthof gehört, hat auch wegen der Corona-Pandemie dort bisher keinen Neustart gewagt. Aufgesteckt hat man deswegen aber nicht. Brauereidirektor Helmut Erdmann glaubt trotz aller Widrigkeiten an die Zukunft der traditionellen bayerischen Gastronomie. Mit dem richtigen Konzept und geschulten Wirten funktioniere das, sagt er. Wie zum Beweis hat die Ayinger Brauerei mitten in der Corona-Zeit am 15. Juli ein Gasthaus neu eröffnet: allerdings am Münchner Rotkreuzplatz. Die Gäste, sagt Erdmann, würden dem Wirt die Bude einrennen.

Die Lage der Traditions-Gaststätten ist nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen. Die Gründe für das Scheitern manches Wirts oder gastronomischen Konzepts sind im Grunde bekannt und vielfältig. Ein großer Faktor sind die Kosten und das Personal. Branchenkenner führen an, dass es aufwendiger und kostspieliger ist, bayerische Küche anzubieten als etwa Pizza und Pasta. Anders als bei italienischen oder griechischen Lokalen stehen meist keine Familien mehr hinter den Wirtschaften, wo auch mal die Tochter oder Onkel mit anpacke, wenn viel zu tun ist. Vereine wandern mit ihren Feiern und Versammlungen in Vereinsheime ab.

Doch Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, der den Rückzug der traditionellen Wirtschaft beklagt, konstatiert auch, dass "manch bayerischer Wirt die Zeichen der Zeit nicht erkannt" habe. Junge Gäste verlangten auch ein vegetarisches oder veganes Angebot auf der Speisekarte. Die Alltagswirtschaft sei auf dem Rückzug, sagt Göttler, der aber auch sieht, dass die bayerische Gastronomie mit Schweinsbraten und Biergarten in touristischen Regionen gut funktioniert.

Eine Hausbrauerei oder Kulturangebote können helfen

Von einem Sterben des bayerischen Wirtshauses will Göttler deshalb auch nicht reden. Dieses könne gut funktionieren, sagt er, "wenn man es gut macht". Als positiv bewertet er, dass viele Kleinbrauereien entstehen und Wirte ihr eigenes Bier anbieten. In Brunnthal hat sogar die Gemeinde selbst einen Gasthof samt Saal gebaut und an einen Pächter vergeben, der im Ortszentrum bayerische Küche anbietet. In Haar gehört der Gasthof Zur Post ebenfalls der Kommune, die steuernd eingreifen kann, damit der in Bayern so gerne hochgehaltene Dreiklang aus Rathaus, Kirche und Wirtschaft fortbesteht.

Viele Wirte profitieren im wirtschaftlich boomenden Münchner Umland von Geschäftskunden. Vor allem im nördlichen Landkreis funktioniert die Kombination von Gasthaus und Hotel, wie etwa beim Hotel Bauer in Feldkirchen. Manche, wie der neue Wirt am Gut Keferloh in Grasbrunn, wollen mit Kulturangeboten ihr Haus beleben. Seit vielen Jahrzehnten und bis heute profitiert gerade der Süden von den Erholungssuchenden aus der Landeshauptstadt. 1871 eröffnete die Bahnstrecke München-Rosenheim, 1891 fuhr dann die Isartalbahn bis Wolfratshausen und von 1910 an brachte die Tram nach Grünwald die Gäste in großer Zahl ins Umland und in die Ausflugslokale.

An einem sonnigen Tag ist noch keiner einsam an der Kugler-Alm in Oberhaching gesessen. Die Grünwalder Gastronomie um den Alten Wirt, der heutzutage ein Bio-Restaurant ist, blickt auf eine lange Tradition als Ausflugsziel zurück, wie die Waldwirtschaft in Großhesselohe. Doch das ist kein Selbstläufer.

Das Forsthaus Wörnbrunn in Grünwald, für das 1891 erstmals eine Gasthauskonzession vergeben wurde und das mit dem legendären Wirt Richard Süßmeier in den Achtzigerjahren als Promi-Lokal bekannt wurde, erlebte einen jahrelangen Niedergang mit einigen glücklosen Pächtern. Seit gut drei Jahren ist Florian Gürster, 46, dort am Ruder und hat mit seiner Frau Yvonne Mehrfeld mit einem neuen Konzept wieder Beständigkeit hineingebracht. "Wir versuchen, das schon traditionell zu halten", sagt Gürster.

Dass er das Beständige mit neuen Ideen kombiniert, sieht man sofort auch auf der Homepage, wo er die New-Yorker-Band "Wide Waters" mit einer Songzeile zitiert: "Into the forest I go, to lose my mind and find my soul." (In den Wald gehe ich, um meinen Verstand zu verlieren und meine Seele zu finden.) Gürster hat das Forsthaus neu erfunden, mit bayerischem Flair und "internationalem Touch", wie er sagt. Und mit Qualität, Einsatz und vielen neuen Ideen.

Chefkoch ist bei Gürster Christoph Mezger, der in dem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten vegetarischen Restaurant Tian am Viktualienmarkt kochte. Da versteht sich von selbst: Das vegetarische Angebot reduziert sich nicht auf Käsespätzle mit Salat. Dennoch muss auch Gürster, der in der Gastroszene gut vernetzt ist und ein Catering-Unternehmen betreibt, jetzt in der Corona-Krise kämpfen. "Nur mit guter Qualität und viel Einsatz", sagt er, könne man dauerhaft Erfolg haben und bestehen.

Was die Corona-Krise in den nächsten Wochen und Monaten den Wirten noch abverlangen wird, ist die große Unbekannte. Auch erfahrene Wirte wie Karl Dabernig, 68, der in Haar seit 20 Jahren den Gasthof Zur Post mit bayerisch-österreichischer Küche betreibt, befürchtet die Folgen einer zweiten Corona-Welle und sinkende Temperaturen. Die Außengastronomie laufe gut, sagt Dabernig. Aber: "Keiner will nach drinnen gehen." Die Angst vor Ansteckung sei bei älteren Gästen groß. Er befürchtet, dass es wegen Corona Ende des Jahres viele Gasthöfe nicht mehr geben wird. Der von ihm bewirtete Bürgersaal sei bereits tot.

Dabernig glaubt sowieso, dass die Zeit der mit Großveranstaltungen gefüllten Säle vorbei ist. Damit steht er nicht allein. Als die Familie Heide kürzlich verkündete, das Bräurosl-Zelt auf der Wiesn aufzugeben, erklärte Juniorchefin Daniela Heide, man wolle sich aufs Stammhaus Heide Volm in Planegg konzentrieren. Man werde sich dort verkleinern, den Saal zurückbauen und Gästezimmer schaffen.

Neue Ideen sind also gefragt, kaufmännischer Sachverstand und Zuversicht ebenso: Das bayerische Traditionsgasthaus wird weiterleben. Da sind sich der Heimatpfleger und der Brauereidirektor einig - und auch die Wirte, die bisher mit bewährten oder neuen Konzepten leidlich gut durch die Krise gekommen sind. Aber einfach alle paar Monate einen neuen Wirt im alten Gasthof zu präsentieren - das reiche nicht mehr aus. Das langte schon vor Corona nicht, und jetzt schon gar nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2020
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