Süddeutsche Zeitung

Kriegsfolgen:Geflüchtete werden zu Obdachlosen

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Von Juni an gelten Menschen aus der Ukraine als anerkannte Asylbewerber, ihre Unterbringung in dezentralen Unterkünften wird dann nicht mehr vom Freistaat bezahlt. Weil es auf dem Freien Markt kaum Wohnungen für sie gibt, muss der Landkreis sie wohl auf eigene Kosten unterbringen.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Nahezu 2900 Plätze in neuen Unterkünften will der Landkreis München in den kommenden Wochen für Geflüchtete aus der Ukraine schaffen. Dies ist einerseits der großen Zahl an Menschen aus dem vom russischen Angriffskrieg geplagten Land geschuldet, die den Landkreis bereits erreicht haben - etwa 4600 Menschen haben hier mittlerweile ein neues Zuhause gefunden. Zum anderen, machte Landrat Christoph Göbel (CSU) am Montag im Kreisausschuss deutlich, ändere sich zum 1. Juni eine für die Unterbringung zentrale Gesetzeslage. Geflüchtete aus der Ukraine, egal ob im Besitz der ukrainischen Staatsbürgerschaft oder einer anderen Nationalität, fallen dann nicht mehr unter das Asylbewerberleistungsgesetz, sondern in den Bereich des Sozialgesetzbuches (SGB II). Und das wird Auswirkungen auf die Unterbringung und deren Finanzierung haben.

Bisher gelten Schutzsuchende aus der Ukraine als Asylbewerber, ohne je ein Asylverfahren durchlaufen zu haben. Werden sie aber zu Empfängern von Sozialleistungen, gelten sie - wenn sie in einer kommunalen oder staatlichen Unterkunft untergekommen sind - wie anerkannte Asylbewerber als sogenannte Fehlbeleger. Obwohl kein Anspruch vorliegt, dürfen sie weiter in einer solchen Unterkunft wohnen bleiben. Dieser Praxis liegt eine Vereinbarung zwischen dem Landkreis München und der Regierung von Oberbayern zugrunde, die vor allem dem enormen Druck auf dem Wohnungsmarkt im Landkreis geschuldet ist, denn eigentlich müssten sich anerkannte Asylbewerber auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung suchen.

Von den etwa 4600 Menschen aus der Ukraine leben derzeit allerdings etwa 3800 in privaten Unterkünften, bei Menschen die Wohnraum zur Verfügung gestellt oder direkt Geflüchtete im eigenen Haushalt aufgenommen haben - nur etwa 850 sind derzeit in landkreiseigenen Unterkünften. Der Landrat geht aber davon aus, dass für einen erheblichen Teil der privat untergebrachten Menschen ein "Anschluss" gefunden werden müsse, also ein Platz in einer Unterkunft des Landkreises. Zwar sei die Hilfsbereitschaft der Landkreisbürger enorm, doch Göbel erwartet, dass nicht alle auf Dauer ihren privaten Wohnraum zur Verfügung stellen dürften.

Bei Obdachlosigkeit stehen die Kommunen in der Verantwortung

Daher stelle der "Regimewechsel" zum 1. Juni nun das größte Problem dar, so der Landrat. Als Leistungsbezieher hätten geflüchtete Ukrainer zwar Anspruch darauf, dass ihre Miete bezahlt werde, aber es sei "vollkommen illusorisch" derzeit auf dem freien Wohnungsmarkt etwas Bezahlbares zu finden. Bleibt also nur die Möglichkeit, in eine staatliche oder landkreiseigene Unterkunft zu ziehen - was aber rein rechtlich für Fehlbeleger überhaupt nicht zulässig wäre und vom Freistaat auch nicht bezahlt würde. "Es stellt sich also die Frage: Kann jemand nach einer privaten Unterbringung in eine Unterkunft einziehen? Eigentlich nicht", sagte Göbel.

Was dann drohe, sei die Obdachlosigkeit. Und trete der Fall ein, sei die jeweilige Kommune in der Verantwortung - auch finanziell. Bei der Unterbringung von Obdachlosen wie von Geflüchteten aber sei es im Landkreis stets Konsens gewesen, Solidarität unter den Städten und Gemeinden walten zu lassen, argumentiert der Landrat. Der Gesetzgeber, also der Bund, bringe den Landkreis und seine 29 Kommunen nun also möglicherweise in die Situation, die Unterbringung Geflüchteter aus der Ukraine in den Unterkünften selbst finanzieren zu müssen, was unweigerlich eine Steigerung der Kreisumlage, also eine Belastung der Kommunen zur Folge haben würde.

Deshalb müsse es beim Aufbau der neuen Unterkünfte auch so schnell gehen, sagte Göbel, die Genehmigungen und Finanzierungszusagen durch die Staatsregierung müssten zwingend vor dem 1. Juni erfolgen. Geplant sind derzeit mehrere Container-Anlagen in Unterschleißheim und Unterhaching - allerdings gestalte sich die Lieferung der Container derzeit schwierig, so Göbel. Zudem will der Landkreis wie schon 2015 erneut auf Unterkünfte in Holzmodulbauweise zu setzen. In Taufkirchen wird zudem eine Traglufthalle entstehen.

Wer privat Flüchtlinge aufgenommen hat, erhält bis Ende Mai eine finanzielle Anerkennung

Der Gesetzgeber hat dem Landkreis und den Kommunen beim Aufbau neuer Unterkünfte aber auch die Rahmenbedingungen erleichtert. Im Bundesbaurecht hat die Bundesregierung wie schon 2015 die Möglichkeit eingeräumt, in Außenbereichen Baugenehmigungen für Wohnanlagen für Geflüchtete zu erteilen. "Diesmal sogar unbefristet", wie Göbel anmerkte.

Der Landrat setzt aber auch weiterhin auf das private Engagement. Und dieses soll auch finanziell gewürdigt werden. Rückwirkend zum 1. März und derzeit befristet bist Ende Mai können Menschen, die Geflüchtete ohne Miete unterbringen, eine monetäre Anerkennung beantragen: 65 Euro monatlich für jeden Erwachsenen, den sie aufgenommen haben, und 50 Euro für jedes Kind bis 15 Jahre. Möglich ist eine Antragstellung unter anderem über die Ukraine-Hilfe-App "Integreat", dort gibt es auch eine Wohnraumbörse.

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