Süddeutsche Zeitung

Urbanisierung:Haar will Stadt werden

Lesezeit: 3 min

Anlässlich des 950-jährigen Bestehens 2023 würde die Gemeinde gerne den neuen Titel feiern. Doch die Hürden sind hoch - und selbst im Gemeinderat sind nicht alle von der Idee begeistert.

Von Bernhard Lohr, Haar

Haar möchte Stadt werden. Der Gemeinderat hat sich am Dienstagabend mit einer Mehrheit von 22 zu acht Stimmen dafür ausgesprochen, einen entsprechenden Antrag an das bayerische Innenministerium zu richten. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU), der als treibende Kraft hinter dem Vorstoß gilt, begründete diesen damit, dass er eine Stadterhebung als eine "Auszeichnung" für die "positive Entwicklung" ansehe, die die Gemeinde in der Vergangenheit genommen habe. Die Stadterhebung könnte den Höhepunkt der im kommenden Jahr geplanten 950-Jahr-Feier der Kommune bilden. Allerdings hält sich die Begeisterung im Ort noch in Grenzen, neben Garching und Unterschleißheim zur dritten Stadt im Landkreis München aufzusteigen. Rechtlich hätte ein solcher Schritt ohnehin fast keine Auswirkungen.

Im Gemeinderat sprachen sich sechs Vertreter der SPD und drei der Grünen gegen den Antrag aus. Am deutlichen distanzierte sich davon die Dritte Bürgermeisterin Katharina Dworzak (SPD), die anzweifelte, dass Haar alle Kriterien einer Stadt erfülle. Die Gemeinde zeichne sich durch eine urbanes Zentrum an der Wasserburger Straße aus, aber auch durch bewusst erhaltene "überwiegend dörfliche Strukturen" in Ottendichl, Salmdorf und Gronsdorf. Dem Bürgermeister hielt Dworzak vor, auf einen "Marketing-Gag" abzuzielen und gegen seine im Wahlkampf 2020 selbst ins Feld geführten Warnung vor einer Verstädterung zu handeln. Uwe Manns von den Grünen berichtete mit Verweis auf das Stimmungsbild, das das Rathaus jüngst an einem Stand auf der Künstlermeile einholte, von großer Skepsis bei der Bürgerschaft.

Garching ist als Standort der TU München seit 1990 Stadt, Unterschleißheim folgte im Jahr 2000 als die mit inzwischen mehr als 30 000 Einwohnern deutlich größte Kommune im Landkreis. Doch unabhängig von der Bezeichnung auf der Ortstafel kann man im Münchner Umland einer gewissen Verstädterung nicht entkommen. Längst pendeln mehr Menschen von außerhalb zu Arbeitsstätten im Landkreis als umgekehrt. Gerade werden Schulstandorte massiv ausgebaut. Allein 19 staatliche Gymnasien gibt es in den 29 Kommunen oder sind geplant.

Ein erster Anlauf zur Stadterhebung vor 20 Jahren blieb erfolglos

Dennoch blieben weitere Stadterhebungen im Landkreis München seit der Jahrtausendwende aus. Zuletzt stiegen Puchheim und Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck 2011 zu Städten auf, die Nachbargemeinde Gröbenzell entschied sich damals bewusst dagegen. Wiederholt argumentierte das Innenministerium, das Stadtprivileg nur zurückhaltend zu verleihen, um gerade im Raum München Präzedenzfälle und eine Flut von Stadterhebungen zu vermeiden. Was damit gemeint ist, hat 2001 selbst Haar erfahren, als es im Sog der Unterschleißheimer Stadterhebung eine entsprechende Anfrage lancierte. Haar sei mit 17 000 Einwohnern zu klein, beschied damals das Ministerium und betonte, im Raum München seien die Hürden eben höher als anderswo. Das damals auch schon mehr als 20 000 Einwohner zählende Unterhaching ersparte sich eine solche Abfuhr. Der damalige Bürgermeister Erwin Knapek (SPD) fand 2001, dass es besonders schön sei, wenn die Spielvereinigung Unterhaching als Dorfverein einen Stadtklub besiege. Damals war der Verein gerade aus der ersten Bundesliga abgestiegen.

Doch Bürgermeister Bukowski hält jetzt die Zeit reif dafür, dass Haar mit knapp 23 000 Einwohnern in die Riege der Städte aufsteigt. Er verwies am Dienstag auf Jahrzehnte bestehende "urbane Strukturen". Haar sei mit dem Psychiatrie-Klinikum des Bezirks ein Gesundheitsstandort für die gesamte Region. Das Rathaus verweist zudem auf das rege Kulturleben mit dem Kleinen Theater, auf das Brand- und Katastrophenschutzzentrum und auf die Funktion Haars als Verkehrsknotenpunkt im ÖPNV. Nicht zuletzt wird die "erstklassige Bildungs- und Betreuungslandschaft" hervorgehoben. Allerdings steht eine Realschule seit Jahren nur auf der Wunschliste. Ein Bau ist wegen eines fehlenden Grundstücks ebenso nicht in Sicht wie der eines regulären Gebäudes für die Berufs- und Fachoberschule, die seit vier Jahren beengt in einem Bürogebäude residiert. Die Gewerbepolitik gilt als große Baustelle. Eine Ausweisung etwa von Flächen auf der Finckwiese ist hoch umstritten. Haar steckt mitten in den Zentrumsplanungen an Bahnhof und in der Leibstraße.

Doch Bukowski sieht darin keinen Hinderungsgrund. Eine Stadterhebung sei für ihn ein "Meilenstein", sagte er am Mittwoch, und "kein Endpunkt". Haar werde sich weiterentwickeln. Er halte es für "normal", dass im Gemeinderat keine Einstimmigkeit erzielt worden sei. Sorgen von Bürgern, Haar könnte zur anonymen Vorstadt werden, hält er für unbegründet. Vielmehr setzt er auf einen positiven "Haar-Moment" durch eine Stadterhebung. Das könne Gemeinsamkeit stiften und Bürger zusammenbringen. Wie die Chancen dafür im Jahr der 950-Jahr-Feier stehen, ist schwer auszumachen. Aus dem Innenministerium hieß es einmal, Anträge zur Stadterhebung würden eigentlich immer genehmigt, weil sie nur gestellt würden, wenn das Ministerium im Vorfeld Zustimmung signalisiert habe. Haar wurde laut Bukowski aber nichts signalisiert. Die Willensbekundung der Kommune sei der erste Schritt. Der sei jetzt getan.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5629121
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.