Süddeutsche Zeitung

Neues Viertel im Münchner Nordosten:Wie weit darf die Stadt für ihr größtes Entwicklungsgebiet gehen?

Lesezeit: 3 min

Von Heiner Effern und Sebastian Krass

Ein sehr grundsätzlicher und emotionaler Streit ist über den Stadtrat hereingebrochen, und das bei einem Beschluss, der eher wenig grundsätzlich oder emotional zu sein schien. An diesem Mittwoch sollte das Gremium im Planungsausschuss entscheiden, wie der Wettbewerb im großen Stadtentwicklungsgebiet Nordost zwischen Riem und Johanneskirchen aussehen soll. Die Eckpunkte dafür stehen zur Debatte, doch die Gegner des geplanten neuen Stadtteils machen im Vorfeld so viel Druck, als ob es jetzt schon um alles oder nichts ginge. Ob der Wettbewerb nun überhaupt starten kann, und wenn ja, in welcher Form, blieb im Vorfeld offen. Die SPD will ihn, die FDP wird mitgehen, die Grünen prinzipiell auch, aber nur mit Veränderungen - und die CSU schweigt.

Der Streit um den Wettbewerb wurde von den Gegnern zum Streit um die grundsätzlichen Fragen stilisiert: Sollen im größten Entwicklungsgebiet der Stadt einmal bis zu 30 000 Menschen wohnen? Und darf die Stadt dafür das Planungsinstrument einer "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" (SEM) einsetzen, das früh die Grundstückspreise einfriert und als letztes Drohmittel eine Enteignung vorsieht? Damit soll Bodenspekulation vermieden und die Eigentümer der Grundstücke zum Verhandeln bewegt werden.

Dagegen gehen die Gegner mit martialischen Aussagen und Drohungen vor: Man werde gegen die SEM "bis nach Karlsruhe und zum Europäischen Gerichtshof" klagen, sagte Anwalt Benno Ziegler, der in der Initiative Heimatboden zusammengeschlossene Eigentümer vertritt. Der Bauernverband warf der Stadt "Raubrittertum" vor und setzte die CSU unter Druck. Dessen oberbayerischer Bezirkspräsident Anton Kreitmair warnt, eine Zustimmung zur weiteren SEM-Planung durch die CSU wäre ein "Bruch mit den Parteigrundsätzen". Zudem droht der BBV mit einem landesweiten Aufstand der Bauern aus Solidarität mit den Münchner Landwirten.

Die CSU hatte ursprünglich vorgehabt, den Wettbewerb zu vertagen, bis die Gegner eine große Gegenveranstaltung am 21. Februar abgehalten haben. Das wäre ihr Zeichen des Entgegenkommens gewesen. Doch am Tag vor dem Stadtratsbeschluss sagte ein Sprecher der Fraktion nur noch, dass man nichts mehr dazu sagen könne. Die CSU werden den Verlauf der Debatte abwarten und dann sehen, wie sie sich entscheide. Die Grünen befürworten grundsätzlich die SEM, möchten aber den Wettbewerb anders aufsetzen. Sie wollen unter anderem vorab festlegen, wo Grünflächen erhalten werden müssen. Dazu müsste das Viertel autofrei geplant werden, was heiße, dass der motorisierte Verkehr maximal reduziert werden muss, um Verkehrsflächen einzusparen, sagte Fraktionschefin Katrin Habenschaden. Die SPD positionierte sich bereits am vergangenen Freitag eindeutig pro SEM und pro Wettbewerb. "Wir gehen davon aus, dass die CSU am Mittwoch zustimmt", sagt Planungssprecherin Heide Rieke.

"Wir als Eigentümer wollen Verhandlungen auf Augenhöhe"

Doch inzwischen gingen die Gegner massiv in die Offensive. Ein Teil des Widerstands gegen die SEM, die planungsrechtlich derzeit noch nicht verhängt ist, sondern lediglich in vielen kleinen und großen Schritten vorbereitet wird, kommt von Landwirten, die - wie sie sagen - ihre Existenzgrundlagen in Gefahr sehen. Sie haben sich in der Initiative "Heimatboden" zusammengeschlossen. Im Norden brachten sie eine ebenfalls geplante SEM zu Fall, nun agieren sie im Nordosten, wo bereits seit 2011 die Vorbereitung läuft. Bis dahin ohne größer organisierten Widerstand.

Einer der Heimatboden-Vertreter, der Daglfinger Landwirt Johann Oberfranz, spricht von etwa zehn landwirtschaftlichen Betrieben im Nordosten, hinzu kämen Gärtnereien und Baumschulen, die auf dem 600 Hektar großen Planungsgebiet Flächen hätten. Oberfranz erklärt, er habe Anfang der Woche einen Brief an alle Stadträte geschrieben. "Wir als Eigentümer wollen Verhandlungen auf Augenhöhe, nicht mit dem Messer im Rücken durch die Drohung der Enteignung", sagt Oberfranz.

Vor zehn Jahren habe die Stadtpolitik die Bauern noch hofiert wegen ihrer regionalen Landwirtschaft. Nun solle man die Flächen für eine Bebauung hergeben. "Der öffentliche Druck für die SEM wird täglich gesteigert. Wie das vorangetrieben wird, das ist für uns nicht mehr lustig", sagt Oberfranz. Er geht davon aus, dass SPD und Grüne im Stadtrat die SEM auch weiter vorantreiben, "aber ich hoffe noch auf die CSU". Immer wieder dreht sich dieser Streit um Enteignungen. Die hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) aber ausgeschlossen. Zudem hat er den Landwirten zugesagt, dass sie weiter ihrem Beruf nachgehen könnten. Diese würden, so ist "Heimatboden" zu verstehen, zu Gesprächen über einen Grundstücksverkauf bereit sein, wenn keine SEM drohte. Dann würden die Bodenpreise deutlich höher ausfallen.

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SZ vom 06.02.2019
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