Süddeutsche Zeitung

Bauern:"Wenn ich im Traktor durch Siedlungen fahre, halten sich Kinder die Nase zu"

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Einst hockten Forstinninger Buben beim Naglersepp auf dem Bulldog. Die Zeiten sind vorbei. Was hat der Vorstoß zur Rettung der Bienen in drei Jahren gebracht?

Von Korbinian Eisenberger

1975 fing Martin Lechner als Bauer an. Seine Heimat Straußdorf war seinerzeit noch eine eigene Gemeinde und hatte 46 Bauernhöfe, sagt Lechner. Ein halbes Jahrhundert später ist er einer der letzten Landwirte im Ort. Straußdorf ist die längste Zeit ein Bauerndorf gewesen. "Mit mir sind wir noch fünf Bauern", sagt Lechner. Und bald nur noch deren vier. Sein Nachbar, sagt der 66-Jährige, der höre in Kürze auch auf. "Dem hat das Volksbegehren den Rest gegeben."

Der 14. Februar 2019 war der erste Tag nach dem aus Sicht der Initiatoren erfolgreichen "Volksbegehren Artenvielfalt - Rettet die Bienen". Drei Jahre sind seither ins Land und in die Landwirtschaft gegangen. Die Höfe in Bayern werden weniger. Und die Arbeit auf den verbliebenen Höfen hat sich mit den neuen Regeln verändert.

Von Straußdorf geht es zwischen Feldern und Dörfern hindurch, wo man alten Höfen beim Verfallen zusehen kann. Es finden sich aber auch Landwirte wie Bernhard Haimmerer, der den "Kramerhof" in Anzing in siebter Generation weiter betreibt. Trotz Volksbegehren.

Im Frühjahr hat er seit drei Jahren das immer gleiche Ärgernis: Das sogenannte Walzverbot. Bauern müssen nun innerhalb von zwei Wochen, vom 1. bis 15. März, ausrücken. Vorher waren sie flexibler. "Es konnten sich sieben Bauern ein Walzgerät teilen", sagt Haimmerer. Nun wird es schon bei vier Leuten eng mit der Zeit. Weniger Bauern brauchen nun mehr Geräte. "Das geht natürlich ins Geld." Auf Landkreisebene kann die Walz-Frist zwar verlängert werden. Das, so Haimmerer, sei aber auch nicht zwingend praktikabel. Etwa wenn im Süden des Kreises noch Schnee liegt, im Norden nicht. Dann hilft die Ausnahmegenehmigung nur einem Teil der Bauern.

"Wenn ich heut' mit dem Traktor durch die Neubausiedlungen fahre, halten sich Kinder die Nase zu, obwohl ich nicht mal Gülle ausfahr'."

In der Szene dominiert Unverständnis ob dieser und anderer Regeln. Von Forstinning bis Aßling und von Vaterstetten bis Steinhöring. Viele beschweren sich zudem über eine Änderung, die auch Martin Lechner in Straußdorf betrifft: Bei Feldern an Bächen muss ein fünf Meter breiter Rand unbewirtschaftet bleiben. Dafür gibt es Ausgleichszahlungen, die aber seien nicht adäquat.

Der Bayerische Bauernverband berichtet auf Nachfrage, dass die Betriebe sich bereits vor 2019 in einem Spannungsfeld befunden hätten, das vom Volksbegehren verstärkt worden sei. Auf der einen Seite stünden billige Supermarkt-Angebote und die niedrigen Preise an die Bauern. "Gleichwohl steigen die Anforderungen beim Umweltschutz, beim Tierwohl, der Tierhaltung". Darin liegt der Kern des Problems.

Nachfrage bei Josef Nagler aus Forstinning, der Naglersepp, wie sie ihn nennen. Der 63-Jährige ist Forstwirt und Nebenerwerbs-Landwirt. Im Jahr des Volksbegehrens gab er den Betrieb an seinen Sohn weiter. An diesem Februartag 2022 steht er mit Schubkarre vor dem Hof und schichtet Holz. Seit mehr als 30 Jahren werkelt er hier. Was hat sich in der Zeit getan?

"Die Betriebsgrößen", sagt Nagler. Als er anfing, 1989, da hatte er 15 Milchkühe, später dann 30. "Damit war ich noch Durchschnitt", sagt er. Irgendwann sank der Milchpreis so stark, dass es sich nicht mehr lohnte. Die Naglers gaben die Milchviehhaltung auf. "Keine einzige Molkerei versuchte uns umzustimmen", sagt Nagler. "Als hätte man unser Produkt nie gebraucht."

In Naglers Wahrnehmung ist die "Akzeptanz für den Bauernberuf gesunken." Einst hockten die Forstinninger Buben bei ihm auf dem Bulldog. "Wenn ich heut' mit dem Traktor durch die Neubausiedlungen fahre, halten sich Kinder die Nase zu, obwohl ich nicht mal Gülle ausfahr'."

"Darüber ließ sich leicht abstimmen, weil der Verbraucher null verändern musste."

Auch die Bauern haben Fehler gemacht, das räumen einige ein, die sich äußern. Vielleicht, so heißt es, hätte man sich längst von der Milchviehhaltung verabschieden müssen. "Weil einen die Großbetriebe und Molkereien vor sich hertreiben", sagt einer, der lieber anonym bleibt, weil viele Kollegen noch Kühe halten. Josef Nagler berichtet von Bauern, die am Wochenende in Siedlungsnähe Gülle ausbreiten würden. "Das braucht es auch nicht."

Die EU will Millionen bereitstellen, um Landwirte zum Ökoanbau zu motivieren. Biobauer Franz Lenz sieht das kritisch. "Die Bereitwilligkeit umzustellen, wird dadurch eher abnehmen", so seine Prognose. Weil die Förderung für Ökolandbau im Verhältnis zum konventionellen Landbau schlechter werde, so der Ebersberger Bauernobmann. "Der Schuss wird nach hinten losgehen."

Das Volksbegehren sei ein "Trauma", erklärt Markus Drexler, Sprecher des bayerischen Bauernverbands, besonders für Biolandwirte. Es sei "ein Schlag in die Magengrube von Bäuerinnen und Bauern, die bereits klimaschonend gearbeitet haben". Kritikpunkt fast aller Landwirte sei, dass sich in anderen Bereichen nichts verändert habe.

Wie geht es weiter? "Durch das Begehren sind Gräben entstanden, die sich nicht leicht verschütten lassen", sagt Biobauer Lenz. Viele Kollegen teilten die Empfindung der Ungerechtigkeit. Weil 95 Prozent mit dem Finger auf die kleine Minderheit der Bauern zeige. "Darüber ließ sich leicht abstimmen, weil der Verbraucher null verändern musste", sagt Lenz.

Was könnte der Einzelne verändern? Lenz: "Warum sind immer noch diese privaten Steingärten erlaubt?" Auch gebe es "nach wie vor keine wirksame Maßnahme, um den Flächenverbrauch einzudämmen", so Lenz. "Die ganze Geschichte ist einseitig gelaufen."

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