Süddeutsche Zeitung

Impfzentrum Dachau:Ein Piks nach dem anderen

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Landkreisbürger erhalten zweite Spritze - Lieferengpässe verzögern Durchimpfung

Von Jacqueline Lang, Dachau

Für Horst Oschmann ist eines ganz klar, wenn es um das Thema Impfen geht: "Es gibt keine Alternative." Ohne zu Zögern hatte er sich deshalb als erster Landkreisbewohner überhaupt gegen das Coronavirus impfen lassen. An diesem Sonntagvormittag ist das genau 21 Tage her, nun steht die zweite Impfung an. In zehn Tagen wird der 91-Jährige immun gegen das gefährliche Virus sein und mit ihm 19 andere, die sich ebenfalls am 27. Dezember erstmals im Dachauer Impfzentrum haben impfen haben lassen sowie rund 1500 Bewohner aus Alten- und Pflegeeinrichtungen. Gleichzeitig wächst der Unmut all jener, die sich zwar gerne impfen lassen würden, für welche die Menge an Impfdosen derzeit aber bei weitem nicht ausreicht und die teilweise schon daran scheitern, überhaupt einen Ansprechpartner ans Telefon bekommen; BRK-Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka spricht von rund 6000 Anrufen innerhalb nur weniger Tage. Trotz 50 neuer Mitarbeiter, die das BRK eigens für die Arbeit im Impfzentrum eingestellt hat, sei das nicht zu schaffen.

Obwohl die Verantwortlichen rund um Landrat Stefan Löwl (CSU) bei einem Pressegespräch keinen Hehl daraus machen, dass noch nicht alle Abläufe reibungslos verlaufen, bemüht man sich dennoch, den Blick auf das Positive zu lenken: Die Verträglichkeit des Impfstoffes sei sehr gut, sagt Versorgungsarzt Christian Günzel. Nebenwirkungen gebe es kaum und wenn nur sehr leichte. Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU) versichert, dass alles daran gesetzt werde, schnellstmöglich mehr Dosen zu beschaffen. Die Zulassungsverfahren für die Impfstoffe weiterer Hersteller liefen. Er sei überzeugt, dass "alle, die wollen, bald geimpft werden können". Zur Wahrheit gehört aber auch: Mindestens 1000 Impfungen pro Wochen waren eigentlich im Januar geplant, durch Lieferengpässe werden ab dieser Woche laut Landrat Löwl wohl nur noch um die 500 Personen erstgeimpft werden können. Erst ab Mitte Februar wird man wohl wieder aufstocken können. Vorwürfe, durch den schnellen Impfstart Hoffnung geweckt zu haben, die nun nicht erfüllt werden könnte, weißt Löwl dennoch entschieden von sich. Das Credo des Landkreises laute auch weiterhin: Was an Impfstoff zur Verfügung stehe, werde auch verabreicht, sagt Löwl. Ein paar Menschen schon schützen zu können, sei doch besser, als alle warten zu lassen - auch wenn manch einer das vielleicht als Ungerecht empfinde.

Gezögert, ob sie sich als eine der Ersten impfen lassen solle, habe sie nicht, sagt Anita Hentzschel, 82. Gemeinsam mit ihrem Ehemann ist sie dick eingepackt in ihren Wintermantel zum zweiten Impftermin erschienen; Nebenwirkungen haben die beiden bislang keine gespürt. Gleichwohl kann Dieter Hentzschel, 81, der nur wenige Minuten nach seiner Frau in den Aufenthaltsraum kommt, nachvollziehen, dass manch einer noch zögerlich ist. Ein guter Freund habe etwa gesagt, dass er sich erst impfen lassen werde, wenn er wisse, dass es Hentzschel gut gehe. Seine Frau hat da weniger Verständnis und hofft, einige ihrer Bekannten durch ihre Impfung überzeugt zu haben. Außerdem hofft sie als Geimpfte auf mehr Freiheiten: "Es kann nicht sein, dass wir genauso behandelt werden, wie alle anderen."

Für den leitenden Oberarzt der Notaufnahme am Dachauer Klinikum Alexander von Freyburg stand es ebenfalls nie zur Debatte, ob er sich impfen lassen wird oder nicht. In seinem Beruf sehe er tagtäglich, was das Virus mit Menschen machen könne. Für vehemente Impfgegner in medizinischen Berufen hat er deshalb auch kein Verständnis, aber er ist sicher, dass Aufklärung helfen kann, Unsicherheiten und Ängste zu nehmen. Durch mehr Freiheiten für Geimpfte Anreize zu schaffen, hält er indes für problematisch. Zum jetzigen Zeitpunkt lasse sich noch nicht zweifelsfrei sagen, ob jemand, der immun ist, auch andere Menschen nicht mehr infizieren kann. Darüber zu entscheiden, ob und in welchem Rahmen eine Impfpflicht sinnvoll sein könnte, das sei Aufgabe der Politik. Ähnlich sieht das auch Susanne Reichl, 55. Sie ist Pflegerin und "heilfroh", dass sie nun sicher ist vor dem Virus. Sich impfen zu lassen, sei "die einzige Möglichkeit, die Pandemie in den Griff zu kriegen". Dass es unter ihren Kollegen nach wie vor Einzelne gibt, die sogar die Maskenpflicht in Zweifel ziehen, macht sie deshalb wütend. Ihre Devise lautet: "Lieber leben, als einen Zettel am Fuß."

Konnten Ende Dezember pro Fläschchen nur fünf Impfdosen verabreicht werden, so sind es nun, drei Wochen später, schon sechs Dosen. Maximilian Lernbecher erklärt, dass das durch die Verwendung von sogenannten Feinspritzen möglich sei. Gemeinsam mit 19 anderen Apothekern überwacht er den Impfstoff und dessen ordnungsmäßige Verabreichung. Das ist notwendig, denn der Stoff, der Leben retten soll, ist sehr empfindlich. Auch deshalb rechnet Landrat Löwl nicht damit, dass Ärzte das Vakzin Menschen, die in ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind, zeitnah auch zuhause verabreichen werden können. Im Gespräch, so Seidenath, seien allerdings Impfbusse, welche die einzelnen Gemeinden anfahren. Doch egal auf welchem Weg, vorgenommen hat man sich offenbar eines: Bis Ende dieses Jahres soll der Landkreis Dachau flächendeckend geimpft sein.

Horst Oschmann hat das mit einem zweiten kurzen Pikser in seinen linken Oberarm bereits hinter sich gebracht. Auf die Frage, ob es denn dieses Mal weh getan habe, winkt er nur mit einem Lächeln ab. Wer, wie er damals Ausbruch von Polio miterlebt habe, der wisse, dass außer "radikal durchimpfen" nichts helfe. "Das war - mit Verlaub - das Beschissenste, was ich je miterlebt habe."

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SZ vom 18.01.2021
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