Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Söder und Reiter Seite an Seite durch die Krise

Lesezeit: 3 min

Im Kampf gegen das Coronavirus haben Bayerns Ministerpräsident und Münchens Oberbürgermeister zu einem Miteinander gefunden. Demnächst werden sie entscheiden müssen, was aus dem Oktoberfest 2020 wird.

Von Dominik Hutter, München

Auf Dieter Reiters Mobiltelefon gibt es einen neuen Dauergast: den Ministerpräsidenten, mit dem per Anruf oder SMS ein derart intensiver Kontakt entstanden ist, dass der SPD-Oberbürgermeister schon mehrfach mit Augenzwinkern angemerkt hat, so viel habe wohl vor ihm noch kein Münchner Rathaus-Chef mit der Staatsregierung zu tun gehabt. Am Donnerstag vergangener Woche, rund um die Corona-Lockerungs-Pressekonferenz von Markus Söder, gab es schon frühmorgens den ersten Austausch, die letzte SMS wechselte spätabends hin und her. Ein "sehr konstruktiver, respektvoller Umgang" herrsche vor, lobt Reiter.

Auch der Mann am anderen Ende der Leitung lässt kaum eine Gelegenheit aus, die gute Zusammenarbeit mit Münchens OB zu erwähnen. Aus Söders Umfeld ist zu hören, der CSU-Politiker schätze vor allem die Verlässlichkeit und Handschlagqualität des Sozialdemokraten. Es sei Vertrauen entstanden - Vertrauen, das nach übereinstimmender Auskunft beider Seiten nicht immer vorhanden gewesen war. Vor einiger Zeit war man in der Staatskanzlei gar nicht glücklich gewesen über Reiters offene Briefe zu politischen Fragen.

Damals ging es um Fragen wie die Trambahn durch den Englischen Garten oder die Luftverschmutzung in München. Und Söder hätte sich offenkundig eher ein Vier-Augen-Gespräch gewünscht als eine öffentliche politische Verlautbarung aus dem Rathaus. Reiter wiederum war verwundert, wie wenig Austausch es über den groß verkündeten München-Plan der Staatsregierung gab, in dem der Ministerpräsident erklärtermaßen mit dem OB Doppelpass spielen wollte. Das damalige Verhältnis der beiden Politiker war nicht unbedingt vergiftet, es war eher ein Nicht-Verhältnis. Kurz nach Söders Amtsantritt gab es ein Kennenlern-Frühstück in der Zirbelstube der Staatskanzlei. Das war's.

Und jetzt? Da stellt sich Reiter demonstrativ neben Söder auf die Bühne, als bei einer Demo gegen rechts vor der Oper Pfiffe ertönen. Weil es ja um eine gemeinsame Sache geht. Auch das neue Vertrauensverhältnis, das ist klar, geht vor allem auf eine gemeinsame Sache zurück: den Kampf gegen das Coronavirus. Da haben beide gemerkt, dass sie im Großen und Ganzen gleicher Meinung sind, dass sie im Interesse der Gesundheit eine eher vorsichtige und notfalls auch unpopuläre Linie fahren wollen. Söder, so ist aus der Staatskanzlei zu hören, stellte zufrieden fest, dass Absprachen auch nach Ende des gemeinsamen Gesprächs ihre Gültigkeit behalten. Und dass Vertrauliches vertraulich blieb.

Reiter wiederum, der nun vor Entscheidungen auf Landesebene regelmäßig zu Rate gezogen wird, hat registriert, dass seine Meinung durchaus zählt und seine Vorschläge beherzigt werden. Das lässt sich ja leicht feststellen - anhand dessen, was die Staatsregierung als nächste ihrer Schritte bekannt gibt. Am Wochenende vor den Ausgangsbeschränkungen drängte Reiter angesichts des weiterhin munteren Treibens an der Isar und in Münchner Parks darauf, drastischere Corona-Vorsichtsmaßnahmen zu verhängen. Und rannte damit bei Söder offene Türen ein. Es folgten: Ausgangsbeschränkungen.

Seitdem wirken die beiden, als passe bei der Corona-Bekämpfung kein Papier zwischen sie. Die gemeinsame Linie steht. "Es geht um Krisenbewältigung", sagt Reiter. Da dürfe nicht politischer Clinch die Tagesordnung bestimmen. Zumal der Kurs ja nicht aus politischen Erwägungen, sondern vor allem mit Hilfe medizinischer Expertise festgelegt werde. Inzwischen hat der Münchner SPD-Mann in der Staatskanzlei an einer Kabinettssitzung teilgenommen und weiß, dass "bitte RR" in einer Söder-SMS bedeutet, dass ein direktes Telefonat, ein Rückruf, sinnvoll wäre.

Kontakt gibt es mittlerweile ständig, das Umfeld Söders spricht von einem starken Miteinander in der Krise. München und seine Kliniken sind nun einmal extrem wichtig für Bayern, das Geschehen in der mit Abstand größten Stadt ist bedeutsam für die Einschätzung der Lage im gesamten Freistaat. Und Söder fragt tatsächlich bei Reiter nach.

Politik-Romantiker vertonen bei solchen Gelegenheiten gerne die Mär von der großen Männerfreundschaft. Aber darum geht es überhaupt nicht, wie beide Seiten betonen. Selbst wenn es erlaubt wäre, könnte man Söder und Reiter nicht beim trauten Tête-à-Tête samt Zuprosten in einer Münchner oder Nürnberger Kneipe antreffen.

Es ist ein Arbeitsverhältnis, kein Kumpeltum. Und natürlich bleibt genug Trennendes - zum Beispiel, dass der eine Vorsitzender der CSU und der andere ein wichtiger Repräsentant der SPD ist. Politiker denken sehr oft in Parteikategorien, umso ungewöhnlicher ist es, wenn die Gräben plötzlich - und sei es vielleicht auch nur temporär - zugeschüttet werden.

Das passiert nicht zum ersten Mal zwischen Freistaat und Landeshauptstadt. Auch mit Horst Seehofer hatte Dieter Reiter diesen einen vertrauensbildenden Moment: jene Julinacht 2016 im Lagezentrum, als ein Attentäter in und vor dem Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen getötet hatte und München für mehrere Stunden in Schockstarre verfiel. Damals harrten beide Politiker gemeinsam im Polizeipräsidium aus, besprachen sich, beurteilten die Situation. Und als sie gegen halb vier Uhr morgens das Lagezentrum verließen, so erinnert sich Reiter, habe ihm Seehofer das Du angeboten.

Später sei man zusammen mit beiden Ehefrauen beim Essen im Restaurant gewesen, wie Reiter berichtet. Ein gutes Jahr nach dem ersten Du besichtigten Reiter und Seehofer dann bei strömendem Regen die Bus-trasse durch den Englischen Garten, auf der nach Willen der Stadt eine Trambahn rollen soll. Der damalige Ministerpräsident hatte kurz zuvor eine Kehrtwende vollzogen und sich für die bisher auf Landesebene abgelehnte Strecke ausgesprochen. Und damit seinen Widersacher Söder brüskiert, der gerade erst gegen das Projekt gewettert hatte.

Dem nunmehr so konstruktiven Verhältnis zwischen Söder und Reiter konnte offenkundig nicht einmal der Kommunalwahlkampf etwas anhaben, in dessen Schlussphase Corona dazwischenkam. Beide Politiker sagen über den jeweils anderen: fair gelaufen. Demnächst werden sie gemeinsam darüber entscheiden müssen, was aus dem Oktoberfest 2020 wird.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2020
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