Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftsstandort München:Apple hat noch mehr Lust auf München

Lesezeit: 4 min

Der US-Konzern investiert in den nächsten drei Jahren mehr als eine Milliarde Euro in seine deutschen Standorte - ein Großteil davon fließt nach München, wo Hunderte neue Entwickler eingestellt werden sollen.

Von D. Bode, H. Effern, A. Hoben und C. Hoffmann

Nur wenige Menschen dürften das Bavarian Design Center von Apple in München kennen. Es wurde schon im Jahr 2015 gegründet und beschäftigt inzwischen mehr als 350 Ingenieure. Sie haben spezielle Chips entwickelt, die eine höhere Leistung und bessere Effizienz für iPhone, iPad, Apple Watch und Mac liefern. Dabei waren sie offenkundig so erfolgreich, dass der Konzern aus Cupertino im kalifornischen Silicon Valley nun kräftig in München investiert.

Mehr als eine Milliarde Euro sollen in den kommenden drei Jahren in deutsche Standorte gesteckt werden, viel Geld wird nach München fließen, wo schon heute knapp 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung arbeiten. Hunderte neue Ingenieure und Entwickler sollen hinzukommen. Schon heute ist München Apples größtes Entwicklungszentrum für Chip-Design in Europa.

Das Technologieunternehmen ist in jüngster Zeit dazu übergegangen, mehr und mehr eigene, selbst entwickelte Chips in seine Geräte einzubauen. Iphone, iPad, Apple Watch und Mac sollen so im Vergleich zu Geräten der Konkurrenz besonders leistungsstark werden und gleichzeitig weniger Energie verbrauchen. Kunden spüren den Fortschritt unter anderem dadurch, dass sich die Batterielaufzeit verlängert. Um die Chipentwicklung kümmert sich bei Apple die globale Power Management Unit. Die Hälfte dieses Teams forscht mittlerweile nicht in den USA, sondern in Deutschland.

München ist auch Heimat von Apples wachsendem Cellular-Team, das an mobilen drahtlosen Halbleitern und Software für den 5G-Standard und zukünftigen Technologien arbeitet. Die Forscher bekommen in der Karlstraße einen neuen, 30 000 Quadratmeter großen Standort, mitten in der Stadt, der im nächsten Jahr bezogen werden soll. Damit wird München auch Europas größter Entwicklungsstandort von Apple für mobile drahtlose Halbleiter und Software.

"München ist seit vier Jahrzehnten ein Zuhause für Apple, und wir sind der Stadt und Deutschland dankbar für das gemeinsam Erreichte und freuen uns auf den Weg, der vor uns liegt", sagte Tim Cook, Vorstandschef von Apple. Der US-Konzern ist seit 40 Jahre in München, er hat 1981 die erste Niederlassung in der Stadt gegründet. Damals startete das Unternehmen mit zehn Mitarbeitern.

Dem Vernehmen nach waren die Stadt und auch die Staatskanzlei in jüngster Zeit regelmäßig im Gespräch mit Apple. Sogar Konzernchef Cook war mehr als einmal in München, wo er im Oktober 2019 auch die Wiesn besuchte, wie ein Foto mit Zeltchef Michael Käfer und eben Cook belegt. Einladen lassen wollte er sich angeblich aber nicht - die scharfen internen Richtlinien bei Apple standen dem im Weg.

Entscheidender als eine Mass Bier ist für einen Weltkonzern auch etwas anderes: Im Vergleich zu konkurrierenden innovationsstarken Regionen wie Berlin, Hamburg und Frankfurt schneidet München gut ab. Es hat mehr Betriebe, mehr Beschäftigte, deutlich höhere Umsätze sowie mehr Neugründungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie als die Wettbewerber. Die Stadt habe die Entwicklung im Technologie-Bereich in den vergangenen Jahren "massiv vorangetrieben", sagt Wirtschaftsbürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). Die Pläne von Apple seien "ein guter Erfolg für unser Engagement". Vor allem wegen der Auswirkungen, die das auf die Szene habe: auf Technologie-Hubs und Start-Ups, die dadurch gleichermaßen angezogen werden. Bei allem Stolz weist Habenschaden auch auf Probleme hin, die eine Ansiedlung großer Konzerne mit sich bringt. "Es heizt auch den Wohnungsmarkt an."

"Der Ausbau von Apple ist Teil einer Strategie", sagt auch Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner. "Mit IBM-Watson, Google, Microsoft und Amazon Web Services haben wir alle fünf großen Player in der Stadt." In den vergangenen Jahren haben aber nicht nur international führende IT-Konzerne in München investiert, auch BMW und Audi haben ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten für Künstliche Intelligenz und dergleichen in der Region München zusammengezogen und entsprechende Zentren oder Labore aufgebaut. Mit Infineon hat München auch in der Halbleiterproduktion eine starke Basis. Damit hat die Stadt eine kritische Masse spannender Unternehmen erreicht, die weitere Firmen anzieht.

Für Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien, ist die Verbindung von starken Industriebetrieben wie BMW mit den IT-Firmen ausschlaggebend. "Automobilbranche, Zulieferer, Maschinenbau sind für digitale Unternehmen von großer Bedeutung", sagt der Wissenschaftler. "Datenbasierte Geschäftsmodelle, Vernetzung von Maschinen in der Produktion, autonomes Fahren - das sind Dinge, die Digitalkonzerne unglaublich interessieren." Also sucht Apple die Nähe zur Industrie. Denn der neue Mobilfunkstandard 5G ist weniger für normale Konsumenten geeignet als in der vernetzten Produktion und eben beim autonomen Fahren.

Wer wie Apple in der Stadt investiert, sucht nicht nur die Nähe zu Kunden und Zulieferern. Er braucht auch Universitäten, die für gut ausgebildete Menschen sorgen. Und er will das Gefühl haben, dass man sich um seine Belange kümmert. Das heißt, dass Baugenehmigungen nicht hängen bleiben, keine Wünsche in der Verwaltung versanden. Offenbar hat München auch in puncto Verlässlichkeit überzeugt.

Apple arbeitet in Deutschland mit mehr als 700 Unternehmen aller Größenordnungen zusammen. In den vergangenen fünf Jahren hat der Technologiekonzern mit diesen Partnern mehr als 15 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Dazu gehören der Chiphersteller Infineon, der Batteriehersteller Varta und das eigentümergeführte Chemieunternehmen Delo, das Klebstoff herstellt, der in Apples neuesten Produkten eingesetzt wird, darunter das iPhone 12 Pro.

Infineon ist aber nicht nur Partner, sondern auch Konkurrent. Der Chiphersteller hält sich angesichts der Pläne von Apple bedeckt. Die Firma bittet um Verständnis dafür, "dass wir die Aktivitäten anderer Marktteilnehmer nicht kommentieren", sagte ein Sprecher. Auf die Frage, ob man fürchtet, dass Apple Mitarbeiter abwerben könnte, heißt es nur: "Infineon wird als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen."

Die meisten neuen Apple-Mitarbeiter dürften ohnehin aus aller Welt kommen. Ifo-Wissenschaftler Falck erwartet jedenfalls einen "neuen Schub an Zuwanderung nach München". Mit Besorgnis betrachtet diese der Bund Naturschutz (BN). Er sieht in den Bauaktivitäten, die folgen dürften, "eine Gefahr für die letzten Grünflächen und Frischluftschneisen, welche die Stadt für ihre Zukunft genauso dringend braucht wie Arbeitsplätze oder Wohnungen", wie er mitteilt. Christian Hierneis, Münchner BN-Vorsitzender, sagt: "Ohne einen wirklich langfristigen und vor allem nachhaltigen Entwicklungsplan für die Stadt können wir nicht einfach so weitermachen." Nicht nur er glaubt: Der Boom der Tech-Konzerne könnte noch weitergehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5230396
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.03.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.