Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Viel sprechen, wenig sagen

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Die Regierungserklärung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst missrät: viele Spiegelstriche, keine Linie. Ist aber keine Panne - sondern Strategie.

Kommentar von Christian Wernicke

Nordrhein-Westfalen ist - auch wenn manche Berlinerin und mancher Bayer dies anders sehen mag - das wichtigste Land der Republik. Fünf lange Jahre wird Hendrik Wüst dieses starke Stück Deutschland mit seinen 18 Millionen Menschen regieren. Armut oder Aufbruch, Zerrissenheit wie Zukunft der deutschen Gesellschaft zeigen sich in dieser "kleinen Bundesrepublik" oft früher, klarer und härter als anderswo. Düsseldorf ist ein politisches Labor, gerade jetzt, da CDU und Grüne die einzig realistische Alternative zur Ampel im Bund probieren. Und obendrein zieht Wüst selbst viel Aufmerksamkeit auf sich. Der 47-jährige Westfale gilt aktuell als bundesweit beliebtester Christdemokrat.

Land, Labor, Leader - es gab Gründe, zu erwarten, Hendrik Wüst werde seine Regierungserklärung am Mittwoch für eine kraftvolle Rede nutzen. Man hoffte auf Zeichen an die Menschen an Rhein und Ruhr (an die "die normalen Leute," wie Wüst sie nennt). Und man war gespannt auf Signale an die Spree: Wie will Wüst die nächste Corona-Welle stoppen? Oder welche Beiträge leistet sein Land, um die Folgen von Putins Krieg in der Ukraine - Energieknappheit, Inflation, Existenzängste - einzudämmen? Wüst hat all diese Herausforderungen zwar benannt. Lösungen jedoch erwartet er offenbar nur von Berlin. Sein eigenen Antworten jedenfalls verendeten ideenlos im Klein-Klein.

So verkam Wüsts 45-minütiges Referat im Düsseldorfer Plenarsaal zum schrecklich erfolgreichen Versuch, zwar sämtliche Nischen der Landespolitik zu erwähnen - dabei aber möglichst wenig zu sagen. Keine Botschaft, kein Kompass, nicht mal ein Motto war zu vernehmen. Der Regierungschef vermengte Floskeln ("Sport hält gesund und führt zusammen") mit den Zulieferungen seiner Ministerialbürokratie über ein künftiges "Waldbrandvorbeugekonzept" oder über den Wert von Quantencomputing. Acht Zeilen zur Armutsbekämpfung, danach vier gegen Antisemitismus. Viele Spiegelstriche, keine Linie. Rhetorisch blieb der Vortrag ein Kunstprodukt: blutleer formuliert wie von künstlicher Intelligenz, eintönig vorgetragen wie von einem Roboter.

Mehr persönlich als politisch

Lediglich gegen Ende seiner Rede ließ der Ministerpräsident den Menschen in Erscheinung treten: Da warnte Wüst - so unvermittelt wie unverstellt - vor Vereinzelung und wachsender Einsamkeit vieler Menschen. Da raffte er sich, mehr persönlich als politisch, zu einem Appell für mehr Zusammenhalt im Land auf: "Lassen Sie uns aufeinander achtgeben."

Man darf Wüst abnehmen, dass es ihm damit ernst ist. Denn genau dies - Achtgeben - praktiziert er täglich, seit er vor zehn Monaten NRW-Ministerpräsident wurde. Wüst hat gern alles unter Kontrolle, vor allem sich selbst: nur keinen Patzer, ja keine Pannen. Seine Schlagfertigkeit, seinen politischen Instinkt beweist dieser Mann, der schon im Alter von 30 Jahren die Politik als Beruf entdeckte, inzwischen lieber jenseits der Reichweite von Kamera und Mikrofon. Wüst ist Vollprofi, und er lernt aus den Fehlern der anderen: Ein Fauxpas wie das Feixen in Flutgebieten, das seinem Amtsvorgänger (und damaligem Kanzlerkandidaten) Armin Laschet unterlief, würde ihm niemals passieren. Ebenso meidet Wüst jedes Södern: keine Provokationen, keine Kanten.

Wüst ahnt, dass seine Zeit noch kommen wird. Jetzt muss er sich bewähren, frei nach der Formel "Flach spielen, hoch gewinnen". Den Preis, dass dabei auch manch wichtige Rede elendig verflacht, nimmt er in Kauf.

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