Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Musik für Folter und Liebe

Lesezeit: 3 min

Neuseeland beschallt Demonstranten mit Barry Manilow, "Macarena" und James Blunt. Barry White bringt Haie zum Kopulieren. Und Yaenniver und "Sondaschule" haben neue Alben.

Von Jakob Biazza

Was macht eigentlich einen guten Foltersong aus? Man hat da natürlich sofort Assoziationen - Geschwindigkeit, Höhe der Stimmen, Komplexität des Arrangements, Herkunft aus Deutschland - und macht damit doch bestimmt auch einen Punkt. Wer bei den Profis nachschaut, bekommt indes das Gefühl: Im Grunde kann offenbar jede Art von Musik Folter sein, wenn sie denn nur laut und wiederholt genug gespielt wird. Die CIA setzte, um im Gefangenenlager auf Guantanamo angebliche Terroristen zu quälen, jedenfalls Dopes Industrial-Metal-Song "Die MF Die" ebenso ein wie Eminems "White America", wie die Erkennungsmelodie von "Barney & Friends", wie "Enter Sandman" von Metallica. James Hetfield, Frontmann der amerikanischen Metal-Band, war darauf wenigstens eine Zeit lang eher stolz. Was zeigt: Nicht nur Musik kann Gehirne destabilisieren - auch viel Bier schafft das.

Was, nicht ganz direkt, nach Neuseeland führt. Dort setzen sie Musik gerade für den Straßenkampf ein. Weil vor dem Parlament in der Hauptstadt Wellington Gegner der Corona-Maßnahmen campieren, bestrahlt man sie inzwischen nonstop mit einem 15-minütigen Loop aus Songs und Impf-Spots. Zunächst vor allem das zentrale Werk von Barry Manilow - "Mandy" und "Could It Be Magic". Die Älteren werden sich erinnern. Die inzwischen auch schon ein bisschen Alten werden sich wegen Take That erinnern. Eh schon schwere Geschütze, zumal zwischen dem geigenweinenden Schmalz auch noch "Macarena" lief, der zu Manilow doch sehr scharf kontrastierende Sommer-Hit von Los del Rio. Auch der "Titanic"-Titelsong "My Heart Will Go On" von Céline Dion soll zum Einsatz gekommen sein. Keine Handbreit Ruhe dem Feind!

Man hatte allerdings nicht mit der Zähigkeit des selbsternannten "Freedom Convoy" gerechnet. Die Demonstranten sangen also erst mit und stellten dann ihrerseits Boxen auf, von denen aus sie mit dem Twisted-Sister-Rumpler "We're Not Gonna Take It" gegenschalteten. Verfahrene Lage, in die sich bald auch noch der - nein, wohl nicht unbedingt beste, aber womöglich ironiebegabteste - britische Sänger James Blunt einschaltete: "Give me a shout if this doesn't work. @NZPolice" schrieb er auf Twitter. Die Polizei von Neuseeland solle sich bei ihm melden, falls Manilow et al. nicht ausreichten. Der Ausgang der Schlacht ist noch ungewiss, wir setzen unser Geld aber eher auf die Regierung. Blunts Song "You're Beautiful" läuft nun schließlich auch in Heavy Rotation.

Zum Abschluss dieses Komplexes deshalb eben noch Barry White: Eher unbestätigten Gerüchten zufolge soll der Soul-Sänger zunächst irritiert reagiert haben, als man ihm erzählte, das National Sea Life Centre in Birmingham habe seine Musik eingesetzt, um verschiedene Hai-Arten zur Paarung zu bewegen. Völlig unbestätigten Gerüchten zufolge soll die Irritation aber abgeklungen sein, als sich herausstellte, dass der Plan aufging. Der örtliche Zebrahai, Zorro sein Name, soll jedenfalls, angeregt von der Musik des "Walrus of Love" (Whites Spitzname), recht bald losgelegt haben.

Wie kommt man von hier aus jetzt auf neue Musik? Ach ja: Ebenfalls GV hat die Sängerin Yaenniver. "Ich ficke jeden" heißt ein Song auf ihrem Solo-Debüt, das wiederum "Nackt" (Sony Music) heißt, und man ärgert sich direkt ein wenig, dass man so eingestiegen ist. Als Autor tapert man damit ja sofort in dieses komische Spannungsfeld zwischen triefender Gafferei und ironisch abgeklärtem Abnicken: Ui, Sex. Nun ja. Jedenfalls: Was die ehemalige Frontfrau von Jennifer Rostock solo macht, ist ziemlich smarter Rap, der unter dem fast schon altertümlich anmutenden Begriff "Sprechgesang" womöglich sogar noch treffender firmiert. Es gibt ein paar richtig gute Beats - zu "Kifferin" zum Beispiel, zu "Intro" oder auch zu "Mädchen Mädchen". Luci van Org, besser bekannt als Lucilectric, darf da noch mal ihren einstigen Groß-Hit adaptieren, das Ganze wird darüber aber zu einem sehr wirkmächtigen Kommentar auf Missbrauch, Belästigung und alle angeblichen Grauzonen darunter, daneben und dazwischen. Und womöglich auch zur Folter für alte, weiße Männer.

Und damit zum Abschluss noch was ohne Sex und Gewalt. "Unbesiegbar" (Solitary Man Records/BMG), das neue Album von Sondaschule. Immer noch ein etwas blöder Name, aber dafür eigentlich ganz manierliche Musik. Eine muskulöse, steroidsatte Platte jedenfalls, der Deutschrock-Anteil höher als der an Ska. Sehr direkt damit - wenig Zwischentöne. Kompliziertes Werk aber dann auch. Ein Traueralbum. Natürlich. Gitarrist Daniel "Blubbi" Junker starb im vergangenen Sommer. Der Song "Wenn ich irgendwann mal geh (ist schon OK)" bekam dadurch eine sehr unerwartete Bedeutung. Ein Corona-Album wohl auch. Aber eines, das mit dem ganzen Stillstand recht positiv umgeht - also mit Bier zum Beispiel. Ganz schmissige Zeile: "Es tut mir leid, heut' macht es wirklich keinen Sinn / Ruf mich an, wenn ich wieder nüchtern bin." Prost!

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