Süddeutsche Zeitung

Feministische Kolumne "Mansplaining":Schlechter Sex mit Gendersternchen

Lesezeit: 3 min

Debatten wie die um gendergerechte Sprache oder Diskriminierung im Karneval werden zum Kampf gegen den Mehrheitswillen stilisiert. Ein Unfug, der der ganzen Gesellschaft schadet.

Von Julian Dörr

Es steht mal wieder schlimm um Deutschland. Die Männer seien schlapp und feige, die Frauen unglücklich und neurotisch, schreibt eine hochdekorierte Autorin. Die Deutschen seien das verkrampfteste Volk der Welt, heißt es aus der Politik. Und hätten sie beim TV-Talk von Maischberger gestern nicht noch ganz kurzfristig Thema und Gäste ausgetauscht, dann hätte man wohl ziemlich sicher heute früh nachlesen können, wie ein Gast, sichtlich angegriffen, beklagte, dass sich brave deutsche Kinder nicht mehr als Indianer verkleiden dürfen.

Was hat uns bloß so ruiniert? Wenn man auf die Wortmeldungen hört, die in den vergangenen Tagen zu so unterschiedlichen Themen wie gendergerechter Sprache oder Karnevalswitzen durch die Medien gereicht wurden, dann fällt die Antwort in allen Fällen klar und deutlich aus: zu viel "politische Korrektheit".

Vergangenes Wochenende veröffentlichte also die Schriftstellerin und Georg-Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff in der Welt einen Text, genauer: eine Packungsbeilage zu ihrer Unterschrift unter den offenen Brief "Schluss mit dem Gender-Unfug" des Vereins der deutschen Sprache. Darin führt sie aus, warum gendergerechte Sprache und das Gendersternchen den Flirt unmöglich mache und Männer deshalb in "unentschlossene Hasenfüße" verwandle, "so erotisch wie eine Blindschleiche".

In Berlin, schreibt Lewitscharoff weiter, ließe sich gut beobachten, "dass viele junge Leute, die eigentlich in ihren umtriebigsten erotischen Jahren sein müssten, kaum eine körperliche Beziehung wagen." Unabhängig davon, auf welche empirischen Sozialforschungen Lewitscharoff ihre Aussagen über das Sexualleben junger Berlinerinnen und Berliner stützt: Was, bitte, hat gendergerechte Sprache mit Sex zu tun - also physischem?

Anderer Fall, ähnlich absurde Konstruktion von Zusammenhängen: Bei einer Fastnachtssitzung hatte sich CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer über eine Toilette für intersexuelle Menschen lustig gemacht, was ihr einen veritablen Shitstorm einbrachte. Vergangene Woche verteidigte sie sich dann in einer Aschermittwochsrede: "Wenn wir da so verkrampfen, wie wir es in den letzten Tagen getan haben, dann geht ein Stück Tradition und Kultur in Deutschland kaputt und das sollten wir nicht zulassen." Aber was, bitte, haben verletzende Witze über intersexuelle Menschen mit deutscher Kultur und Tradition zu tun?

So viel durcheinandergeht in den Debatten dieser Tage, gemein ist ihnen doch ein Muster: Wird irgendwo eine feministische oder anti-diskriminierende Forderung oder Kritik geäußert, eskaliert die Diskussion schnell auf die höchste Empörungsstufe: Wer gendert, hat schlechten Sex. Wer über Witze, die nach unten treten, nicht lachen kann, ist verkrampft. Aus dem Hinweis einer Hamburger Kita bei der Auswahl des Faschingskostüms doch bitte darauf zu achten, dass es keine rassistischen Stereotype bedient, macht die Bild ein "Kostümverbot". Und CSU-Staatsministerin Dorothee Bär sagt in einem Interview zum Internationalen Frauentag vergangene Woche über gendergerechte Schreibweisen: "Dass man Sprache so verhunzt und vergewaltigt - da halte ich gar nichts davon." Binnen-I und Gendersternchen seien außerdem "total gaga".

Ein Sprachbild aus dem Bereich der sexualisierten Gewalt also? Bär spricht ernsthaft von Vergewaltigung, wenn es um neue, gerechtere Schreibweisen geht. Aber Feministinnen und Feministen, die Rücksicht und Empathie für sprachlich Übergangene fordern, sind gaga? Wenn man davon ausgeht, dass auch die CSU-Politikerin schon vom Framing oder anderen Forschungsansätzen über den Einfluss von Sprache auf das Denken gehört hat, hängt das damit doch sehr, sehr hoch. Und sehr weit weg vom eigentlichen Thema.

Gemeinwohl versus extreme Partikularinteressen?

Wie es in all diesen Fragen sehr schnell nicht mehr um den eigentlichen Gegenstand geht. Nicht um mehr oder weniger gerechte Sprache, nicht um mehr oder weniger nötige Witze. Stattdessen werden politische Debatten, die sich um Teilhabe, Repräsentation und Vielfalt drehen - alles Dinge, die man in einer Demokratie ja durchaus gebrauchen kann -, zu Kulturkämpfen aufgeblasen und umgedeutet. Kulturkämpfe, in denen es keine Diskussion geben kann, weil es immer sofort um alles oder nichts geht. Entweder gendern oder Sex. Entweder Witze über Schwächere oder Tradition kaputt. Entweder Fortbestand oder Untergang.

Und dieser Alles-oder-Nichts-Kampf wird auf dem Rücken von Menschen ausgefochten, die sowieso schon über weniger Privilegien verfügen. Menschen, deren Kampf gegen strukturelle Diskriminierung von der Mehrheitsgesellschaft leicht als Identitätspolitik herabgewürdigt wird, als ein politisches Handeln, das sich nur auf die Interessen und Bedürfnisse von spezifischen Gruppen fokussiert - im Gegensatz zu einer Politik im Interesse aller.

In ihren Debattenbeiträgen geben sich Lewitscharoff und Kramp-Karrenbauer als Vertreterinnen eines vernünftigen Gemeinwohls, das es gegen extreme Partikularinteressen zu verteidigen gilt. Dass vielen Menschen diese beiden Positionen - das Gemeinwohl auf der einen Seite, die Bedürfnisse diskriminierter und marginalisierter Personen auf der anderen - heute unvereinbarer denn je erscheinen, ist wohl der größte gesellschaftliche Schaden dieses inszenierten Kulturkampfes.

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