Süddeutsche Zeitung

Bildung:Zukunft im Kapuzenpulli - Traunstein wird Hochschulstadt

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Am neuen "Campus Chiemgau" sollen die Technische Hochschule, die Industrie, das Handwerk und der Handel gemeinsame Sache machen. Die ersten Studierenden haben schon begonnen. Was genau geplant ist.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Rund um den Stadtplatz in Traunstein gibt es hinter den allermeisten Schaufenstern immer noch Geschäfte. Nur in einzelnen Läden in den Nebenstraßen stehen inzwischen irgendwelche Schreibtische oder gar nichts mehr. Im ehemaligen Gebäude der Sparkasse aber, mitten am historischen Stadtplatz, soll jetzt die Zukunft Einzug halten. Nicht weil die Sparkasse ausgezogen wäre, das ist sie schon länger, der Landkreis hat die Lücke einstweilen mit seinen Wirtschaftsförderern und den Tourismuswerbern gefüllt. Doch auch die müssen wohl nächstes Jahr wieder ausziehen, denn nur die dritte Etage wird für die Zukunft auf Dauer nicht genug sein.

Dort droben studieren nämlich neuerdings 50 junge Menschen, die aus 16 verschiedenen Ländern kommen und zwölf verschiedene Muttersprachen sprechen. Sieben Semester lang werden sie sich auf Englisch mit etwas beschäftigen, das Läden wie jene draußen am Stadtplatz in ihrer Existenz bedroht und sie gleichzeitig retten soll. "E-Commerce" heißt der neue Studiengang, den die Hochschule aus dem nahen Rosenheim hier eingerichtet hat. Auch Traunstein ist damit "Hochschulstadt", doch die Pläne sind noch deutlich größer.

Denn während im ehemaligen Schalterraum der Sparkasse Ministerpräsident Markus Söder von "E-Commerce und Edelweiß" redet, die internationale Wettbewerbsfähigkeit als Basis allen Wohlstands beschwört und gemeinsam mit Wissenschaftsminister Markus Blume und Landrat Siegfried Walch (alle CSU) die Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte Bayern und Traunstein lobt, graben nur ein paar Hundert Meter weiter am Bahnhof mehrere Bagger ihre Schaufeln in Erde und Beton. "Güterhallenstraße" wird als Adresse dort bald nicht mehr selbstverständlich sein, denn die Güterhalle direkt an den Gleisen ist so gut wie abgerissen, und anstelle des ehemaligen Baywa-Lagerhauses mit seiner Tankstelle ist schon länger nur noch eine ausgedehnte Brache zu sehen.

Gut 25 000 Quadratmeter Fläche hat sich der Landkreis Traunstein jenseits der Gleise gesichert, teils von der Stadt und teils mit etwas mehr Mühe von privaten Eigentümern. Hier soll in den kommenden Jahren für eine sehr hohe, aber noch nicht genauer bezifferte Millionensumme der "Campus Chiemgau" entstehen, ein gemeinsames Forschungs- und Bildungszentrum der Technischen Hochschule Rosenheim mit der Handwerkskammer sowie der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Lehrsäle und Seminarräume, Werkstätten, Labore, die Mensa und die Tiefgarage sollen sich alle Beteiligten teilen auf diesem "Campus für berufliche Bildung", wie er auch Heinrich Köster vorschwebt. Das werde "einmalig in dieser Vernetzung", sagt der Präsident der TH Rosenheim, der selbst als durchaus gut vernetzt gilt, in der Region wie in der Landespolitik.

Der Landkreis Traunstein hat in den vergangenen Jahren einiges investiert, um endlich eine Hochschule an Land zu ziehen und so seine ausbildungshungrigen jungen Leute in der Region zu halten und der starken heimischen Wirtschaft die dringend benötigten Fachkräfte zu verschaffen. Der Landkreis hat vor einer Weile sogar eine Stiftungsprofessur eingerichtet und seinen ersten Professor so gleich selbst bezahlt. Inzwischen ist Andreas Straube auch "Standortleiter" der TH Rosenheim in Traunstein und hat dort schon zwei Kollegen, drei weitere Professoren sollen bald folgen.

Die werden dann nicht nur die 50 Studierenden im Fach "E-Commerce" unterrichten, von denen laut Köster bisher nur drei Dutzend in Traunstein angekommen sind, weil die anderen noch bürokratische Hürden bei der Einreise nehmen müssen. Im kommenden Herbst soll ein Masterstudiengang in "Industrial Engineering" anlaufen, ein Jahr darauf ein Studium zur Gestaltung digitaler Medien, danach ist die Zukunft noch offen.

Traunstein mit seinen 22 000 Einwohnern ist schon immer ein großer Schulstandort, derzeit beleben 10 000 Schüler das Stadtbild. Seit einem Kabinettsbeschluss vom Dienstag darf sich Traunstein nun in aller Form "Hochschulstadt" nennen, und Oberbürgermeister Christian Hümmer will nach eigenen Worten nicht zögern, den Titel gleich auf die Ortschilder schreiben zu lassen. Den Campus sieht er als "Jahrhundertchance". Er sei in seiner Bedeutung sogar mit der Saline zu vergleichen, die Traunstein vor 400 Jahren zu einigem Wohlstand verholfen hatte. "Das ist Geschichte, die da geschrieben wird", sagt Hümmer. Studierende aus aller Welt werden aus seiner Sicht auch "die Mentalität, das Stadtbild und das kulturelle Leben" in Traunstein verändern.

Am Tag der offiziellen Eröffnung fallen die Studierenden jedenfalls auf in der Stadt, denn sie alle tragen schwarze Kapuzenpullover mit dem Schriftzug "E-Commerce", wie sie jetzt auch Söder und Blume im Schrank haben. Die beiden haben bei der Gelegenheit noch Lebkuchenherzen mit QR-Codes zum Einscannen bekommen. Der Link führt zu einem Dankesbrief der ersten Traunsteiner Studierenden in der Unterrichtssprache Englisch. Dass die sich für "Tronstein" entschieden hätten, ist für Minister Blume jedenfalls eine "very clever and wise decision".

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