Süddeutsche Zeitung

Barbara Stamm:Abschied von der bayerischen Löwin

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In Würzburg kommen Hunderte Gäste zur Trauerfeier für Barbara Stamm zusammen. Landtagspräsidentin Ilse Aigner würdigt ihre Vorgängerin als "Dienerin der Demokratie", Ministerpräsident Söder zieht Vergleiche zur britischen Queen.

Von Katja Auer, Würzburg

Wenn Barbara Stamm noch nicht heimgehen wollte am Abend, dann klopfte sie auf ihre Armbanduhr und sagte: "Es ist fei noch nicht halb!" Viele Trauergäste im Würzburger Dom haben so eine Gelegenheit schon einmal erlebt und so wird es einer der rührendsten Momente am Freitagnachmittag, als sich Stamms Tochter Claudia an die Trauergemeinde wendet. "Jetzt ist es offenbar halb für unsere Mutter", sagt sie.

Claudia Stamm ist die älteste der drei Geschwister, deswegen, und weil Vater Ludwig öffentliche Auftritte meidet, sei es an ihr, diese Rede zu halten. "Wir hatten Angst vor dieser Art des Abschiednehmens, der keinen Raum für Privates lässt", sagt sie, aber die Mutti oder die Mama, wie sie die Kinder ganz unterschiedlich nannten, sei eben eine Person des öffentlichen Lebens gewesen.

Oft habe die Familie nicht verstanden, warum sie noch schwer krank und unter großen Schmerzen so viele Termine wahrgenommen habe - "aber genau daraus hat sie ihre Energie gezogen". Claudia Stamm, die selbst einige Jahre für die Grünen im Landtag saß, appelliert an die Trauergemeinde, im Sinne ihrer Mutter weiterzumachen: "Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Angesicht der Welt verändern."

Barbara Stamm, die frühere Landtagspräsidentin und langjährige CSU-Vize, war am 5. Oktober in Würzburg gestorben. Sie ist nur 77 Jahre alt geworden, am Ende siegte der Krebs. 2008 war sie an Brustkrebs erkrankt und hatte ihn zunächst bezwungen, 2018 kehrte er zurück.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Stamms Nachfolgerin, würdigt sie als "bayerische Löwin" und "Dienerin der Demokratie". Sie habe sich jedes einzelnen Schicksals angenommen, so gut es ging, das habe sicher viel Kraft gekostet. Aigner betont Stamms Einfluss auf die bayerische Politik. "Man war immer gut beraten, auf sie zu hören", sagt sie.

"Uns allen zerreißt es fast das Herz", sagt Ministerpräsident Markus Söder und verspricht, er werde sie nie vergessen. "Barbara war für uns alle ein Fixstern", sagt er und niemand habe sich vorstellen können, dass dieser einmal erlöschen könne. Er nennt sie wieder "die Mutter Bayerns, die Seele Frankens" und "unsere Queen". Stamm sei über Parteigrenzen geschätzt und geachtet gewesen, auch über Bayern hinaus.

Ihn habe vor allem beeindruckt, wie sie in ihrer langen Karriere auch so viele Rückschläge verkraftet habe, sagt Söder. Jenen etwa, nicht Würzburgs Oberbürgermeisterin geworden zu sein, die Wahl hatte sie 1990 verloren - und bis zuletzt damit gehadert. Oder den Rücktritt als Sozialministerin in der BSE-Krise 2001. Es sei Edmund Stoibers einziger Fehler als Ministerpräsident gewesen, das nicht verhindert zu haben, sagt Söder.

Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt nennt sie eine "wahrhafte Menschenfreundin" und unzählige Menschen hätten diese Sympathie erwidert.

Hunderte Trauergäste sind gekommen

Das zeigt sich am Freitag. Hunderte Trauergäste sind in den Würzburger Kiliansdom gekommen, darunter die ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Günther Beckstein. Horst Seehofer ließ sich aus gesundheitlichen Gründen entschuldigen. Alois Glück ist da, Stamms Vorgänger im Amt, unzählige ehemalige und aktive Politiker, nahezu das ganze bayerische Kabinett.

Geladen sind Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Gesellschaft, gerade auch aus dem sozialen Engagement, das Stamm so wichtig war. Und die Fastnachter sind da. Die "Fastnacht in Franken" war Stamm besonders lieb, jedes Jahr wurde sie in Veitshöchheim gefeiert und besungen. Nun liest Kabarettist Volker Heißmann die Fürbitten.

Es ist ein festlicher Gottesdienst, zelebriert von Würzburgs Bischof Franz Jung. Sein Vorgänger Friedhelm Hofmann steht ebenso mit am Altar wie Weihbischof Ulrich Boom und Bambergs Erzbischof Ludwig Schick. Und Stamms enger Freund Clemens Bieber, Würzburgs Caritas-Chef, der die Totenkerze entzündet. Das Bayerische Staatsorchester und der Würzburger Domchor umrahmen den Gottesdienst mit Mozarts Requiem.

Bischof Jung würdigt Stamms Einsatz für die Schwächeren der Gesellschaft. Dabei habe sie es zunächst selbst schwer gehabt. "Sie zählte nicht zum Establishment", sagt Jung und erinnert an Stamms Kindheit, die sie zunächst in einer Pflegefamilie und dann immer wieder in Heimen verbrachte, weil es daheim nicht leicht war mit der gehörlosen Mutter und dem gewalttätigen Stiefvater. "Sie war nicht auf Rosen gebettet", sagt Jung, doch daraus sei der Wunsch entstanden, sich für andere einzusetzen. Und es habe ihren Willen gestärkt, das zu erreichen.

Der Bischof lässt nicht aus, dass die gläubige Katholikin Stamm auch den Konflikt mit ihrer Kirche nicht scheute, etwa, als sie sich für die Weiterführung der Schwangerenkonfliktberatung einsetzte. Kämpferisch sei sie gewesen, sagt Jung. "Bis tief in die Nacht hat sie die Telefondrähte zum Glühen gebracht, um aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Abschiebungen zu verhindern."

Die Bürger konnten auch Abschied nehmen

Vor dem Gottesdienst hatten die Würzburger Gelegenheit, sich von ihrer Ehrenbürgerin zu verabschieden. Am Morgen wird der Sarg im lichten Altarraum des Kiliansdoms aufgebahrt, umhüllt von einer Bayernfahne mit goldener Fransenborte. Sechs Polizistinnen und Polizisten wachen daneben, einer Ehrengarde gleich. Ein großes Foto zeigt die frühere Landtagspräsidentin im Gespräch, engagiert, nachdrücklich, mit entschlossenem Gesichtsausdruck.

Zahlreiche Menschen kommen in den Dom, zielstrebig marschieren die einen durch den Mittelgang, zögerlich die anderen. Viele ältere sind darunter, auch solche, denen der Weg sichtlich Mühe bereitet. Aber Barbara Stamm hatte ja auch keine Mühe gescheut, um denen zu helfen, die es nicht so leicht haben im Leben. Ein alter Herr erklimmt gar die paar Stufen bis zum Sarg an seinem Stock, die Domaufsicht setzt sich schon in Bewegung und lässt ihn dann doch gewähren für ein letztes Lebewohl.

Dutzende Kränze stehen da, weiße Dahlien, Rosen und Schleierkraut vom Ministerpräsidenten, rosa Gerbera von der Landtagspräsidentin. Lebenshilfe, Landkreis, Marktkaufleute, die Schleifen künden von der großen Wertschätzung die Stamm genoss.

Am Ende wird der Sarg aus dem Dom geleitet. Am Samstag wird Barbara Stamm im Kreis von Familie und Freunden beigesetzt.

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