Süddeutsche Zeitung

Nahverkehr:Nürnbergs 365-Euro-Ticket steht wohl vor dem Aus

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"Geschichte" wollte Nürnberg mit dem günstigen Ticket schreiben. Nun werden erneut Unterschriften dafür gesammelt. Der Grund: Das schwarz-rote Rathausbündnis steht offenbar kurz davor, sich von dem Projekt zu verabschieden.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der 17. Juni 2020 war ein großer Tag für Titus Schüller, und man glaubte, ihm das auch anzusehen. 20 000 Unterschriften für ein 365-Euro-Ticket hatte die Initiative um den Stadtrat der Linken in Nürnberg gesammelt, genug um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Ehe es aber dazu kam, ließ sich die Stadt unter solchem Druck auf einen Kompromiss ein.

Statt bereits im Jahr 2021, wie von Schüller ursprünglich beabsichtigt, versprach man, das Ticket zu Beginn des Jahres 2023 einzuführen. Die Verkündung fand in großer Runde im Ratssaal statt und wurde von gewichtigen Worten flankiert: Von einem "Meilenstein für Nürnberg" sprach der erst kurz zuvor ins Amt gekommene Oberbürgermeister Marcus König (CSU) - und davon, dass man "Geschichte schreiben" werde als "erste große Stadt in Deutschland", die sich zu so einem Ticket bekenne.

Und nun? Sammeln Schüller und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter schon wieder Unterschriften; und erneut für ein 365-Euro-Ticket. Nicht etwa, weil der "Meilenstein" bereits offiziell in der Pegnitz versenkt worden wäre, so weit ist es noch nicht. Nur klingt die aktuelle Verlautbarung, welche die Stadt in der Sache schriftlich versendet hat, vergleichsweise unmissverständlich. Zwar habe die Regierung von Mittelfranken den Haushalt 2022 genehmigt, dies jedoch nur unter "strengen Auflagen": sparen, wo immer es gehe.

Dabei sei "ausdrücklich" auch das "365-Euro-Ticket für Jedermann" im Stadtgebiet erwähnt worden. Am Anschluss an diese Feststellung kommt Stadtkämmerer Harald Riedel von der SPD zu Wort ("Die Vorgaben der Regierung von Mittelfranken sind eindeutig") - sowie Rathauschef Marcus König: "Wir haben verstanden."

Verstanden glaubt das auch Schüller zu haben. Auch wenn der Stadtrat - in Nürnberg von einer schwarz-roten Mehrheit dominiert - noch kein Aus für das Projekt beschlossen hat, so lasse sich das vorliegende Papier nicht anders deuten, als dass dies demnächst bevorstehe, sagt er. Weshalb Schüller und seine Leute nun schon wieder Unterschriften sammeln. Solange die Stadt am Ausbau des sogenannten Frankenschnellwegs und anderen Großprojekten festhalte, sehe er gar nicht ein, warum ausgerechnet das 365-Euro-Ticket gecancelt werden solle. Dass die Stadt den Durchschlag des gordischen Knotens 2020 mit großer Fanfare verkündet habe, den Abschied nun aber gleichsam durch die Hintertüre ankündige, halte Schüller für "schlechten Stil".

Wobei man der Stadtspitze in der Sache nie "so hundertprozentig getraut" und sich immer die Option offengelassen habe, einen neuen Anlauf zu nehmen für ein Bürgerbegehren. Zwar fühle man sich gerade "über den Tisch gezogen", sei aber "sehr optimistisch", dass man die notwendigen 12 000 Unterschriften erneut beischaffen werde. Das Sammeln habe bereits begonnen, mit guter Resonanz. Auf einen Kompromiss werde man sich jedenfalls nicht wieder einlassen - und bereite sich folglich auf einen Bürgerentscheid vor.

Wann sich die beiden großen Rathauspartner in der Sache entscheiden werden, sei noch nicht klar, sagt CSU-Stadtratschef Andreas Krieglstein. An diesem Mittwoch im Stadtrat werde es jedoch noch nicht so weit sein, da stelle der Kämmerer erst mal die neue Haushaltssituation dar. Und die ist, das ahnen längst alle in Nürnberg, alles andere als rosig.

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