Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Polizei verhaftete Todesschützen von Nürnberg im Schlaf

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Drei Monate nach den tödlichen Schüssen in der Südstadt schnappt die Polizei den Verdächtigen in Rimini. Was bislang über ihn bekannt ist.

Von Max Weinhold, Nürnberg

Kriminalrat Alexander Berthold hat eine ganze Reihe von Zahlen mitgebracht: 450 Spuren hätten sie verfolgt, mehr als 100 Zeugen befragt und 17 000 Fahndungsplakate gedruckt, referiert der Leiter der Sonderkommission Graben am Montag auf einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium Mittelfranken. All die Maßnahmen hatten ein Ziel: die Festnahme von Mert A., 28. Dem Mann, der am Abend des 24. Oktober in der Nürnberger Südstadt gezielt einen anderen Mann, 30, erschossen und einen weiteren (35 Jahre alt) schwer verletzt haben soll. Am vergangenen Donnerstag verhafteten ihn italienische Spezialkräfte in Rimini.

Neben Soko-Leiter Berthold sitzen Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke auf dem Podium in Nürnberg, um über den Ermittlungserfolg zu berichten, und Adolf Blöchl, Mittelfrankens Polizeipräsident. Letzterer spricht von einem "brutalen Verbrechen", das für "große Betroffenheit und Verunsicherung" gesorgt habe, besonders in der "türkischen Community", zu der die Opfer gehörten.

Auch der Tatverdächtige stammt aus der Türkei, nach Deutschland eingereist sei er aber, so berichtet Soko-Chef Berthold, im April 2022 als ukrainischer Flüchtling. Seine Meldeadresse in Nürnberg hat er laut Polizei nie wirklich bewohnt. Stattdessen habe A. über Kontakte in ganz Deutschland und in weiteren europäischen Ländern verfügt. Dieses Netzwerk habe er nutzen wollen, um in Deutschland Tabak- und Shisha-Produkte zu vertreiben - wohl gemeinsam mit seinen späteren Opfern.

"Es gilt nach wie vor zu klären, was zum Bruch zwischen ihnen führte", sagt Berthold. Auch die Frage nach dem Motiv ist offen. Genauso unklar ist, ob A. sich zu Vorwürfen und Hintergründen äußern wird. Noch befindet er sich in Italien, die Staatsanwaltschaft hat ein Auslieferungsgesuch gestellt. Ob sich A. überhaupt schon in irgendeiner Form geäußert hat, kann die Oberstaatsanwältin am Montag nicht sagen. Ihr lägen nicht einmal Erkenntnisse vor, ob er bereits befragt wurde.

Was sie dagegen wisse: dass auch in Italien Ermittlungen gegen A. laufen. Bei der Verhaftung in einem Hotelzimmer (er wurde im Schlaf überrascht) fanden die Ermittler einen gefälschten griechischen Pass und eine Pistole. Wie er nach Rimini kam und warum dorthin, ist noch unbekannt. Dass er sich in der Küstenstadt aufhielt, erfuhr die Polizei durch eine groß angelegte Datenauswertung.

In Deutschland war A. zuvor wegen Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht, Fahren ohne Führerschein und Urkundenfälschung aktenkundig geworden. Im Fall der Schüsse in der Nürnberger Südstadt wirft ihm die Staatsanwaltschaft Totschlag vor, sie sieht Mordmerkmale derzeit nicht erfüllt. Etwa deswegen, weil die Opfer den Angreifer - so zeigen es Videoaufnahmen - vor der Tat sahen, sich theoretisch also hätten wehren können. "Ob das so bleiben wird oder ob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes erheben wird, wird sich zeigen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind", sagt Gabriels-Gorsolke.

Zunächst einmal steht die Auslieferung aus, die Ermittelnden haben viele Fragen an Mert A. Neben seinem Motiv ist ihnen schleierhaft, woher die Tatwaffe stammte. Und wie sein "Beziehungsgeflecht", von dem Soko-Chef Berthold spricht, aussah. Immerhin eines schließt die Polizei nach aktuellem Kenntnisstand aus: dass A., wie in Italien berichtet, Teil der türkischen Mafia ist.

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