Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Notruf aus der Notaufnahme

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Das "Sommerloch" der vergangenen zwei Corona-Jahre ist ausgeblieben. Stattdessen müssen Kliniken in Bayern wegen hoher Personalausfälle immer öfter Stationen vom Netz nehmen. Experten appellieren, diese nur in wirklich dringenden Fällen aufzusuchen.

Von Thomas Balbierer und Matthias Köpf, München/Bayreuth/Rosenheim

Vor einigen Tagen zogen die Verantwortlichen im Bezirkskrankenhaus Bayreuth die Notbremse und verhängten in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik einen dreitägigen Aufnahmestopp. 81 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Pflege- und Erziehungsdienst waren krankgeschrieben - zu viele, um die Einweisung neuer Patientinnen und Patienten aufrechtzuerhalten. Erstmals in der Corona-Pandemie sahen sich die Betreiber zu einem solch drastischen Schritt gezwungen. Selbst Notfälle, etwa akut suizidgefährdete Personen, hätten währenddessen in andere Häuser geschickt werden müssen - wie viele tatsächlich betroffen waren, weiß die Klinik nicht. Inzwischen habe sich die Lage stabilisiert, seit vergangenem Montag könne man auch wieder neue Fälle versorgen, sagt ein Sprecher der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken. "Aber wir beobachten die Lage weiterhin mit großer Sorge."

Die Sorgen sind groß, nicht nur in Bayreuth. Fast alle bayerischen Krankenhäuser stehen in dieser Corona-Sommerwelle unter Druck. Vor allem Personalausfälle machen den Einrichtungen zu schaffen, die Bayerische Krankenhausgesellschaft (BKG) schätzt, dass bayernweit bis zu 15 Prozent der Angestellten nicht arbeiten können - wegen Krankheit oder Quarantäne. Waren es vor einigen Monaten noch die Intensivstationen, die den Kliniken den meisten Stress bereiteten, sind es inzwischen oft die Notaufnahmen.

Das RoMed-Klinikum im oberbayerischen Rosenheim zum Beispiel hat seine Notaufnahme - die größte und wichtigste im südöstlichen Oberbayern - zuletzt immer wieder abmelden müssen. Weil im Moment zwei- bis dreimal so viele Mitarbeiter krank sind wie sonst, konnte die Klinik in den vergangenen Monaten fast zu einem Drittel der Zeit überhaupt keine neuen Notfallpatienten aufnehmen, sagt RoMed-Geschäftsführer Jens Deerberg-Wittram. Für ein Haus dieser Größe und Bedeutung ist das äußerst ungewöhnlich. Zu normalen Zeiten, also vor Corona, stand die Rosenheimer Notaufnahme laut Deerberg-Wittram rund um die Uhr zu Verfügung, die Abmelde-Quote habe gerade einmal 0,65 Prozent betragen.

"Der Rettungswagen kommt sicher"

Das Problem betrifft Häuser in ganz Bayern und ist längst auch bei den Rettungsdiensten angekommen. "Der Rettungswagen kommt sicher. Wir bringen die Patienten in den Rettungswagen hinein, aber wir bringen ihn derzeit nur schwer wieder aus dem Wagen raus", sagt der Ärztliche Leiter für den Rettungsdienst im Raum Rosenheim, Michael Städtler. Oft müssten die Rettungswagen mit entsprechend stabilen Patienten weite Wege in entfernte Kliniken nehmen und stünden so umso später für den nächsten Einsatz zur Verfügung - und das bei generell wachsenden Notfallzahlen in der Region.

Dass mehr Patienten in den Notaufnahmen landen, hat laut RoMed-Chef Deerberg-Wittram auch damit zu tun, dass viele Hausärzte selbst krank seien oder ohne Praxispersonal dastünden - Patienten würden dann in die Klinik geschickt. Dass der Personalausfall wegen Corona so groß ist, erklärt Deerberg-Wittram damit, dass in den Kliniken mindestens zwei Mal pro Woche ein PCR-Test gemacht werden müsse, während in anderen Bereichen Infektionen mangels Test gar nicht mehr erkannt würden. Deshalb hält er die offiziell ausgewiesene Corona-Inzidenz - zuletzt lag der Wert für ganz Bayern bei knapp 800 - für viel zu niedrig.

"Wir hatten nicht damit gerechnet, im Sommer in solche Versorgungsengpässe zu geraten", sagt Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG). Das "Sommerloch" der vergangenen zwei Corona-Jahre sei diesmal ausgeblieben. Nicht nur die Inzidenz liegt weitaus höher als im Vorjahr, auch die Zahl der wöchentlichen Krankenhauseinweisungen mit Covid-Bezug ist im Juli stark gestiegen, auf zuletzt 1400.

Um Druck von den stark belasteten Notaufnahmen zu nehmen, appelliert Engehausen nun an alle Patienten, nur in echten Notfällen ins Krankenhaus zu fahren. Für "Bagatellbehandlungen" solle man die Bereitschaftsdienste der niedergelassenen Ärzte aufsuchen. Doch gerade in der Urlaubszeit ist auch bei den Hausärzten die Personallage angespannt.

Das Personal erkrankt nicht nur an Corona, sondern auch an chronischen Leiden

Urlaub, den hätten die Angestellten im Krankenhaussystem bitter nötig, sagt Robert Hinke, Bereichsleiter Gesundheit bei Verdi Bayern. Doch schon wieder müssten Pflegerinnen und Pfleger Urlaube verschieben, um den Mangel zu kompensieren. "Viele können einfach nicht mehr", betont der Gewerkschafter. Er schildert das Beispiel eines Notfallsanitäters, der wochenlang bis zu 15 Stunden am Tag im Einsatz gewesen sei und jetzt wegen einer psychischen Erkrankung monatelang ausfalle. Immer mehr medizinisches Personal würde chronisch erkranken, sagt Hinke. "Wir haben es mit einer Parallelwelt zu tun. Während die Leute draußen leben, als würde es das Virus nicht mehr geben, spitzt sich die Lage in den Kliniken immer weiter zu."

Was den Kliniken im Augenblick helfen könnte, da sind sich Klinikchef Deerberg-Wittrams und BKG-Geschäftsführer Engehausen einig, wäre eine zentrale Krankenhaus-Koordination wie zu der Zeit, als die Pandemie auch offiziell als Katastrophenfall galt. Dann müssten sich etwa auch Privatkliniken an der Notfall- und Covid-Versorgung beteiligen. Ob ein neuerlicher Corona-Notstand im Herbst und Winter noch abgewendet werden kann? "Das Personal rechnet mit allem", sagt Verdi-Mann Hinke. Zuversichtlich klingt das nicht.

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