Süddeutsche Zeitung

Bayerische Staatsregierung:"Wir wollen auch keinen Lockdown für Ungeimpfte"

Lesezeit: 3 Min.

Die Infektionszahlen sind in einigen Regionen bedenklich hoch, dennoch beschließt der Ministerrat keine Anti-Corona-Maßnahmen. Die Landräte fordern eine einheitliche Regelung.

Von Andreas Glas und Matthias Köpf, München

Die Neuigkeit des Tages ist, dass es nichts Neues gibt. Ja, "die Infektionsdynamik entwickelt sich zunehmend besorgniserregend", sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag nach der Sitzung des Kabinetts. Aber, nein, "wir haben heute keine Maßnahmen beschlossen". Die Staatsregierung hat entschieden, dass alles beim Alten bleibt - und die aktuelle Infektionsschutzverordnung verlängert, bis 24. November. Aber reicht das?

Die Infektionszahlen in Bayern rennen davon, teils deutlich schneller als anderswo in Deutschland, vor allem im Südosten des Freistaats. Die höchsten Inzidenzen hatten am Dienstag die Kreise Mühldorf (593), Miesbach (434), Traunstein (489), Berchtesgadener Land (480) und Straubing-Bogen (457). Bayernweit lag die Inzidenz nach Angaben des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bei 187 - deutlich über dem Bundesschnitt (113) und dem Wert von vor einer Woche (112,9). Um die zugespitzte Lage zu beraten, nahmen an der Kabinettsitzung die Landräte und Oberbürgermeister der zehn mit am stärksten betroffenen Regionen teil. "Weder die Staatsregierung noch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort wollen einen Lockdown", versichert Staatskanzleichef Herrmann hinterher. Und: "Wir wollen auch keinen Lockdown für Ungeimpfte."

Seit Wochen heißt es ja aus Staatskanzlei und Gesundheitsministerium, man halte es nicht für zielführend, neuerliche Einschränkungen festzulegen, solange die sogenannte Krankenhausampel relativ stabil auf Grün stehe. "Keine Schnellschüsse", sagt Herrmann auch am Dienstag. Man werde die Lage "in den nächsten ein, zwei Wochen" beobachten. Ein Reporter will wissen, ob die Staatsregierung da nicht etwas zu entspannt sei? "Entspannt ist vielleicht der falsche Ausdruck", sagt Herrmann. Sicher, man nähere sich der Ampelfarbe Gelb und Rot. Aber "nicht in Riesenschritten".

Intensivpatienten müssten bayernweit verlegt werden können

55 Tage ist es am Dienstag her, dass der Freistaat die Krankenhausampel installiert hat. Seither ist nicht mehr die Sieben-Tage-Inzidenz zentraler Maßstab für weitere Pandemiebeschränkungen, sondern die Auslastung der Krankenhäuser. Befinden sich bayernweit binnen sieben Tagen mehr als 1200 Menschen mit einer Corona-Erkrankung in Kliniken, schaltet die Ampel auf Gelb. Liegen in diesem Zeitraum mehr als 600 Personen wegen Covid-19 auf Intensivstationen, springt die Ampel auf Rot. So weit die Farbtheorie. Was ganz konkret bei Gelb und insbesondere bei Rot passiert, ist seit 55 Tagen offen. Und das bleibt nun also weiterhin so.

Stand Dienstag befanden sich in den vergangenen sieben Tagen insgesamt 397 Menschen wegen Corona in Kliniken, im selben Zeitraum waren 339 Intensivbetten belegt. Die beiden Werte sind binnen einer Woche um etwa 50 beziehungsweise 30 Prozent gestiegen. Und es spricht wenig dafür, dass sich diese Dynamik kurzfristig abschwächt. Trotz dieser Aussichten und obwohl das Kabinett keine zusätzlichen Maßnahmen beschlossen hat, zeigt sich Andreas März (CSU), Oberbürgermeister im notorischen Corona-Hotspot Rosenheim, durchaus zufrieden mit dem Treffen. Nach der gemeinsamen Analyse erhoffe er sich von der Staatsregierung aber schon "Handlungsempfehlungen, die dann bayernweit greifen".

Die Krankenhausampel, die landesweit auf Grün steht, aber im Südosten seit Wochen tiefrot leuchten würde, hält März "für sinnig, wenn wir noch dazu kommen, dass die überregionale Abverlegung von Intensivpatienten funktioniert". Wenn alle Kliniken in der Region voll seien, reiche es nicht aus, dass die wieder eingeführten Krankenhauskoordinatoren nur Verlegungen innerhalb eines Rettungsdienstbezirks veranlassen könnten. Dass inzwischen auch auf Bezirksebene koordiniert wird, weist für Rosenheims Landrat Otto Lederer (CSU) in die richtige Richtung. Wichtig sei, dass die Verlegungen bayernweit schneller und unkomplizierter funktionierten, sagt Lederer. Nur dann habe die bayernweite Krankenhausampel ja ihren Sinn. Ob dafür das neuerliche Ausrufen des Katastrophenfalls notwendig sei, ist in Lederers Augen zweitrangig.

Die Staatsregierung fordert eine deutschlandweit einheitliche Regelung

Dem Landrat des Berchtesgadener Landes, Bernhard Kern (CSU), hatte die Staatsregierung vor einem Jahr bei weit geringeren Inzidenzen als heute einen lokalen Lockdown diktiert. Für den habe man "genug Prügel gekriegt", sagt Kern. Es könne nicht angehen, dass wieder jeder Landkreis mit seinem Gesundheitsamt im stillen Kämmerlein an eigenen Lösungen bastle. "Wir brauchen jetzt Lösungen von euch", ist laut Kern die gemeinsame Forderung der Landräte an die Staatsregierung gewesen. Der Werkzeugkasten an bayernweit gleichen Maßnahmen, von dem Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) seit längerer Zeit spricht, "der muss jetzt raus", damit sich die einzelnen Kreise und Regionen daraus bedienen könnten.

Was im Werkzeugkasten drin sein könnte, lässt Holetschek nur sehr dosiert durchblicken. Er könne sich nach den Herbstferien "gut vorstellen", die Maskenpflicht an Schulen noch einmal befristet zu verschärfen. Allerdings, sagt Staatskanzleichef Herrmann: "Ohne Rechtsgrundlage können wir eben gar keine Schutzmaßnahmen ergreifen." Er forderte den Bund auf, die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" über den 25. November hinaus zu verlängern oder eine neue Rechtsgrundlage für Anti-Corona-Maßnahmen schaffen. Eine deutschlandweit einheitliche Lösung könnte für Ministerpräsident Markus Söder und seine CSU den Vorteil haben, weiteren Konflikten mit den Freien Wählern aus dem Weg zu gehen. Der Koalitionspartner der CSU steht neuerlichen Einschränkungen teils kritisch gegenüber.

Als Grund für die regional unterschiedliche Pandemielage in Bayern nennt Herrmann eine "Korrelation" zwischen regional teils "niedriger Impfquote und Ausbruchsgeschehen". Auch höhere Mobilität in Grenznähe sei wohl eine Ursache dafür, dass die Inzidenzen am Süd- und Ostrand Bayerns relativ hoch sind.

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