Süddeutsche Zeitung

Wintertourismus in der Pandemie:Das Ski-Karussell steht still

Lesezeit: 3 Min.

Liftbetreiber und Hoteliers ärgern sich über den Lockdown und fürchten um ihre Existenz. Naturschützer sorgen sich indes um einen unkontrollierten Ansturm von Skitourengehern und Wanderern.

Von Florian Fuchs und Matthias Köpf, München

Vor einer Woche noch hatte sich die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller mit einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten gewandt, in dem sie sich überrascht zeigte über die Diskussion "um eine mögliche Schließung der Skigebiete". Wenige Tage später - so schnell kann es gehen in der Pandemie - ist Angela Merkel die erste Adressatin eines weiteren Briefs. Den haben neben Baier-Müller auch 20 Bürgermeister aus dem Allgäu unterschrieben: Der Wintersport sei "ein ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor", heißt es da: "Ein Ausfall der Einnahmen während der Weihnachtsferien wäre touristisch wie wirtschaftlich fatal."

Das ist bündig auf den Punkt gebracht, was Touristiker im Allgäu wie in Oberbayern beklagen. Betreiber von Bergbahnen und Skiliften, Hoteliers, Vermieter von Ferienwohnungen und Gastronomen bangen teils um ihre Einkünfte und teils auch um ihre nackte Existenz, während Naturschützer einen unkontrollierten Ansturm von Skitourengehern und Wanderern befürchten. Wochenlang haben die Betriebe Hygienekonzepte ausgefeilt, neu investiert und sich auf eine Corona-Saison vorbereitet, und jetzt fällt das Weihnachtsgeschäft trotzdem aus - die Zeit mit dem größten Umsatz im Wintertourismus. Denn während sie im Allgäu ihren Brief an Angela Merkel abgeschickt haben, da haben sich Bund und Länder schon auf die Verlängerung des aktuellen Teil-Lockdowns bis zum 10. Januar geeinigt.

"Wenn ich sehe, dass S-Bahnen voll sind, aber Gondeln mit Frischluft sollen ein Problem sein, dann fehlt mir das Verständnis", sagt Klaus King, Bürgermeister von Oberstdorf, der bekanntesten Skisportdestination im Allgäu. Mit 40 Millionen Euro Umsatzverlust im Tourismus rechnet er für Oberstdorf allein deshalb, weil das Weihnachtsgeschäft ausfällt. "Und wir haben hier kein Apres-Ski wie in Ischgl, wir haben hier Familienskigebiete." Die Oberstdorf-Kleinwalsertal Bergbahnen hatten extra 30 Ranger eingestellt, die auf Einhaltung der Mindestabstände achten. Tickets sollten online erworben, weniger Leute in Seilbahnen zugelassen werden. Ähnliche Vorkehrungen haben laut ihrem Geschäftsführer Peter Lorenz die Skigebiete am Brauneck, am Wallberg und am Spitzingsee getroffen.

In Garmisch-Partenkirchen verweist Matthias Stauch auf die Sommerzahlen der Bayerischen Zugspitzbahnen. 450 000 Menschen hätten diese bis Oktober auf die Zugspitze gebracht, und es sei nicht bekannt, dass sich auch nur ein einziger Fahrgast angesteckt hätte. Stauch spricht seit 2019 als Vorsitzender im Verband deutscher Seilbahnen und Schlepplifte für die Betreiber von mehr als 200 Bahnen und über 130 Liften. Gerade kleinere Betriebe seien nun existenziell gefährdet, sagt Stauch. Dabei sei Sport an der frischen Luft doch gesund und sicher.

Dem widerspricht der Infektiologe Clemens Wendtner. Es sei anzunehmen, "dass die Verbreitung des Virus über die Aerosole auch im Freien gut funktioniert, wenn man am Skilift oder insbesondere in Skigondeln eng zusammen steht beziehungsweise sitzt", sagt der Chefarzt der Infektiologie in der Klinik Schwabing. Aus seiner Sicht ist die Schließung der Skilifte ein vielleicht für viele schmerzhafter, aber insgesamt richtiger Schritt. "Wir müssen jede Art von Massenveranstaltung vermeiden", sagt Wendtner - zumal infektionsträchtige Après-Ski-Events trotz des Verbots nicht völlig auszuschließen seien. Skitourengehern rät Wendtner, viel Abstand zum Vordermann zu halten, um nicht in dessen Aerosol-Fahne zu laufen. Zu anderen Gruppen solle man den bekannten Mindestabstand vorsorglich verdreifachen.

Angesichts der aktuellen Infektionszahlen und Corona-Toten ist für den Rosenheimer CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Stöttner die einzige Alternative zum geltenden Lockdown light ein völliger Lockdown, und dann gebe es auch keinen Skibetrieb. Stöttner, der auch Präsident des Tourismusverbands Oberbayern-München ist, sieht vor allem den Einzelhandel in den Skiorten als Leidtragenden. Denn neben den bisherigen Hilfen für Hotels und Gastronomie sollen laut den Zusagen der Kanzlerin und des Ministerpräsidenten auch die Bahnbetreiber mit 75 Prozent des entsprechenden Vorjahresumsatzes entschädigt werden. Und von 11. Januar bis ins Frühjahr könnten die Skigebiete im besten Fall noch auf 100 Skitage und so doch zu einer guten Saison kommen, hofft Stöttner.

Bayerische Bahnbetreiber wie Peter Lorenz blicken einstweilen nach Österreich. Die dortige Konkurrenz wird ihnen wegen der neuen Einreisesperre keine Skifahrer abspenstig machen können, sondern im besten Fall beweisen, dass die Hygienekonzepte eben doch funktionieren, sagt Lorenz. Auch im Landratsamt Oberallgäu haben sie noch nicht aufgegeben. Eine Verlängerung des Lockdowns bis 10. Januar heiße ja nicht automatisch, dass auch die Skilifte zu Weihnachten nicht aufmachen dürften. Die jüngsten Aussagen aus der Staatskanzlei dürften aus Sicht der Touristiker allerdings ernüchternd klingen. Michael Fäßler, Eigentümer des wohl bekanntesten Allgäuer Fünf-Sterne-Hotels "Sonnenalp", hat schon aufgegeben: Der CSU-Kreisrat verkündete wegen der Corona-Politik der Landesregierung nach 40 Jahren Mitgliedschaft seinen Austritt aus der CSU.

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SZ vom 04.12.2020
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