Süddeutsche Zeitung

Maskenpflicht an Schulen:Unzumutbar oder noch verhältnismäßig?

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In den Schulen müsse die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes endlich fallen, sagen Schülervertreter, Elternverbände - und Kultusminister Piazolo. Ministerpräsident Söder bleibt bei seinem Veto.

Von Andreas Glas und Lea Weinmann, München

Schade, sagt Moritz Meusel, man erreicht ihn mittags am Telefon. Der Koordinator des Landesschülerrats hatte auf andere Nachrichten gehofft an diesem warmen Montag in Bayern. Und es soll ja noch wärmer werden in dieser Woche, richtig heiß sogar. "Um 16 Uhr bei 32 Grad im dritten Stock bei Lateinunterricht - das ist nicht mehr erträglich", sagt Meusel über die Maskenpflicht. Bei den Temperaturen, die nun bevorstehen, sei das "nur noch eine Qual".

Fällt die Maskenpflicht an Bayerns Schulen oder fällt sie nicht? Darüber ist zuletzt ja gerätselt worden. Nun steht wohl fest: Wenn sich die Ministerinnen und Minister an diesem Dienstag zur Kabinettssitzung treffen, bleibt die Pflicht unangetastet, zumindest in den Klassenzimmern. "Schule ist Pflicht und innen", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag. "Und dort, wo innen und wo Pflicht ist, macht es Sinn, länger zu diskutieren" statt die Maskenpflicht sofort aufzuheben. Die jüngsten Lockerungen in Bayern seien erst eine Woche in Kraft, "es ist noch nicht absehbar, wie das alles wirkt", sagte Söder und warnte erneut vor der ansteckenderen Delta-Variante des Virus. "Ich rate noch zu Zurückhaltung."

Damit erteilt Söder auch den Plänen seines Koalitionspartners eine Absage. In der vergangenen Woche war es zunächst Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) gewesen, der Lockerungen bei der Maskenpflicht an Schulen forderte. Er sagte: "Die Maskenpflicht ist ein großer Eingriff in die Freiheit, und wir müssen immer wieder kritisch hinterfragen, ob sie noch verhältnismäßig ist." Am Montag, nach Söders Veto, sagt Piazolo auf SZ-Nachfrage: "Ich bleibe bei meiner Meinung." Auf den Schulhöfen müsse die Maske "auf alle Fälle" weg. Auch in den Klassenzimmern müsse man bei niedriger Inzidenz über ein Lockern der Maskenpflicht nachdenken. Auf den Fluren, "im Bewegungsverkehr", will Piazolo die Pflicht beibehalten.

Hubert Aiwanger spricht sich ebenfalls für das Ende der Maskenpflicht an Schulen aus. Wie Piazolo argumentiert der FW-Wirtschaftsminister damit, dass die Schülerinnen und Schüler getestet seien und ohne negatives Ergebnis gar nicht am Unterricht teilnehmen könnten. Und auch Aiwanger findet die Maske bei Sommertemperaturen "unzumutbar". Trotz Söders Absage wollen Piazolo und Aiwanger das Thema in der Kabinettssitzung noch einmal ansprechen. Mit Blick auf die Maskenpflicht im Freien hat sich der Ministerpräsident ja offen gezeigt. "Außen kann man über alles reden", sagte Söder. Möglich also, dass die Staatsregierung an diesem Dienstag zumindest die Maskenpflicht auf den Schulhöfen abschafft.

Auch Schülerrat-Koordinator Meusel bleibt dabei: Das Ende der Maskenpflicht "ist eigentlich längst überfällig". Die Schülervertreter wünschen sich, dass die Pflicht bei einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 entfällt, auf dem Pausenhof und im Klassenraum. Es ergebe wenig Sinn, dass in Restaurants je nach Inzidenz nicht einmal ein Test nötig sei, um die Maske abzusetzen, die Schülerinnen und Schüler sie hingegen trotz Test nicht ablegen dürften. Im Winter "ging das auch noch voll klar", sagt Moritz Meusel. Aber nun, im Sommer, sei die Maske den meisten Schülerinnen und Schülern "nur noch lästig". Und wer sie weiterhin tragen wolle, könne das ja freiwillig tun.

Ob nun freiwillig oder nicht, die Kinder von Sabrina Amato aus Augsburg haben sich "tatsächlich schon sehr an die Maske gewöhnt", sagt sie. Die beiden sind acht und zehn Jahre alt, besuchen also die Grundschule. Sie gingen gar nicht mehr ohne Mund-Nasen-Schutz aus dem Haus, erzählt ihre Mutter. Dennoch klagten sie nun öfter über Kopfschmerzen, wenn sie aus der Schule kämen. Sabrina Amato denkt, dass Sauerstoffmangel ein Grund sein könnte. Auch sie sagt: "Es kann ja nicht sein, dass man in Restaurants ohne Maske sitzen darf, die Kinder aber weiter leiden müssen." Zumal es in der Grundschule ja immer die gleichen Kinder seien, die in einem Raum zusammensäßen. "Wenn die Inzidenz so niedrig ist und die Kinder sich mehrmals in der Woche testen müssen, finde ich das nicht mehr verhältnismäßig", sagt Amato.

"Unter den Eltern herrscht der große Wunsch, dass die Masken fallen", sagt Henrike Paede, Vizechefin des Bayerischen Elternverbands (BEV). Dass die strenge FFP2-Maskenpflicht auf dem gesamten Schulgelände weiterhin Bestand haben soll, "kann man langsam nicht mehr so richtig nachvollziehen". Die Schulen müssten bei den Lockerungen mitgedacht werden - allerdings immer mit der notwendigen Vorsicht. Vorstellen könnte sich Paede etwa, dass die Maskenpflicht nur im Schulhaus, also auf den Fluren, aufrechterhalten wird - so wie es Minister Piazolo fordert. Die BEV-Vizechefin betont aber auch, dass der Verband die Situation nicht abschließend einschätzen könne: "Das ist eine ganz schwierige Sache."

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV), will sich ebenfalls nicht strikt für oder gegen Masken aussprechen. Sie warnt, genauso wie Ministerpräsident Söder, vor vorschnellen Entschlüssen. Im Gegensatz zur Gastronomie sei die Schule eine Pflichtveranstaltung und der Freistaat für den Schutz derer zuständig, die sich dort aufhalten. "Wir erwarten, dass die Regierung ihre Fürsorgepflicht wirklich wahrnimmt und Entscheidungen nicht nur deshalb trifft, weil viele es sich wünschen", sagt Fleischmann. Sie fordert einen "reflektierten Gleichschritt" bei der Überlegung, was gelockert werden kann und wo Hygienemaßnahmen beibehalten werden müssten - auf Grundlage fundierter, wissenschaftlicher Erkenntnisse. Erst müssten alle Lehrerinnen und Lehrer ein Impfangebot erhalten. Es habe niemand Freude daran, mit Maske zu unterrichten, sagt Fleischmann. "Aber auch wenn die Belastung immens ist, muss man Lockerungen gut abwägen."

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SZ vom 15.06.2021
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