Süddeutsche Zeitung

Sexueller Missbrauch:Die düstere Jagd auf Kinderschänder im Netz

Lesezeit: 3 min

In Bayern verfolgt eine Spezialeinheit Missbrauch im Internet. Trotzdem nimmt die Zahl der Fälle zu. Warum die Justiz nun nach der Vorratsdatenspeicherung ruft und wie selbst ahnungslose Facebook-Nutzer ins Visier der Täter geraten.

Von Thomas Balbierer

Bevor die Pressekonferenz im Münchner Justizpalast beginnt, gibt es Probleme beim Licht. Die Bühne, auf der gleich Bayerns Justizminister und zwei Staatsanwälte stehen werden, ist nicht gut ausgeleuchtet, die Fenster werden durch ein Baugerüst verdunkelt. Eine Kamerafrau dirigiert Ministeriumsleute durch den großen Saal, Lichtschalter werden gedrückt, Dimmer hochgeregelt, Strahler an der Decke flammen auf. Nach ein paar Minuten stimmt das Licht, der Minister und seine Gäste müssen nicht im Schatten stehen. Die ungewollte Ouvertüre fasst ganz gut zusammen, worum es an diesem Mittwochvormittag gehen soll.

Schließlich hat es der Staat im Kampf gegen Kinderpornografie auch mit Schattenwelten, Dunkelfeldern und der düstersten Seite des Menschen zu tun. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) und seine zwei auf Cyberkriminalität spezialisierten Staatsanwälte wollen diese abgründigen Ecken besonders grell ausleuchten.

Vor zwei Jahren wurde zu diesem Zweck das Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet (ZKI) in Bamberg gegründet. Ein kleines Team von acht Ermittlerinnen und Ermittlern sowie vier IT-Forensikern hat keine andere Aufgabe, als Täter und Netzwerke zu jagen, die kinderpornografische Daten herstellen, besitzen und verbreiten - und das bei deutlich steigenden Fallzahlen. "Allein in diesem Jahr wurden beim ZKI bis zum 15. Oktober insgesamt 4037 Verfahren neu eingeleitet", sagt Justizminister Eisenreich. Im gesamten vergangenen Jahr seien es noch 3200 gewesen.

Nicht jeder Fall bleibt bei dem Team, das bei der Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg angesiedelt ist. Viele werden an die 22 Staatsanwaltschaften in Bayern abgegeben. Man behalte nur die "rechtlich und technisch besonders schwierigen Fälle", so ZKI-Leiter Thomas Goger. Er ist quasi der Chefausleuchter. Seine Leute recherchieren zum Beispiel im Darknet, auch so eine dunkle Ecke. Dieses versteckte Parallel-Internet, das nur mit technischen Kniffen zu erreichen ist, hat sich in den vergangenen Jahren zum Hauptumschlagplatz für kinderpornografische Inhalte entwickelt. "Ein Viertel aller Darknet-Seiten haben einen Bezug zu Kinderpornografie", sagt Goger. Was sein Team da zu sehen bekomme, sei "ausgesprochen belastend".

Es durchforstet die Seiten mit modernen Methoden - zum Beispiel mit einer von niederländischen Forschern entwickelten Suchmaschine, die kriminelle Domains entlarven und Verbindungen zwischen Nutzern darstellen kann. So sollen internationale Netzwerke aufgespürt werden. Außerdem schleichen sich die Staatsanwälte des ZKI in die geheimen Foren der Kinderschänder ein, um Informationen zu sammeln.

Inzwischen dürfen die Ermittler sogenannte Keuschheitsproben in die Foren stellen, um das Vertrauen der Täter zu gewinnen - Bilder, auf denen Kindesmissbrauch zu sehen ist. Bis 2020 war das Vorgehen verboten, seitdem dürfen Ermittler am Computer generierte Dateien nutzen. Sie zeigen keine realen Opfer, auch wenn es so aussieht. "Wer solche abscheulichen Straftaten begeht, kann sich in Bayern niemals sicher fühlen", sagt Justizminister Eisenreich über die Ermittlungsmethoden.

Immer häufiger kapern Pädo-Kriminelle die Facebook-Accounts von Privatleuten

Zurzeit beobachtet das ZKI allerdings ein neues Phänomen mit wachsender Sorge: Immer häufiger kapern Unbekannte die Facebook- oder Instagram-Accounts von ahnungslosen Nutzern und verbreiten darüber kinderpornografische Inhalte. Ein heikler Vorgang, schließlich ist der Besitz entsprechender Daten seit einer Verschärfung des Strafrechts im vergangenen Jahr nicht mehr bloß ein Vergehen, sondern ein Verbrechen. Staatsanwälte müssen es zwingend verfolgen. "Deshalb sollten Betroffene das Material auf keinen Fall weiterleiten", appelliert Eisenreich. "Das ist strafbar." Stattdessen sollten sich Hacking-Opfer direkt bei der Polizei melden. Mehr als 500 Fälle von Facebook-Hacking habe es in Bayern in diesem Jahr bereits gegeben. Gogers ZKI sammelt die Fälle. Wer aus welchen Motiven hinter dem Phänomen steckt, sei bislang "völlig unklar", sagt der Staatsanwalt.

Trotz aller Bemühungen der Behörden, den Druck auf Pädo-Kriminelle zu erhöhen: Die Zahl der nicht entdeckten Straftaten ist Expertenschätzungen zufolge hoch. "Wir stehen bei der Ausleuchtung des Dunkelfeldes am Anfang unserer Bemühungen", sagt Wolfgang Gründler, Generalstaatsanwalt in Bamberg, der sich besonders intensiv mit Cyberkriminalität befasst. Gründler fordert bei der Pressekonferenz am Mittwoch ebenso wie sein Kollege Goger und Minister Eisenreich die Zulassung der Vorratsdatenspeicherung, um schwere Verbrechen besser aufklären zu können - ein seit Jahren umstrittenes Thema.

"Viele Ermittlungen sind zu Ende, bevor sie überhaupt angefangen haben", argumentiert Gründler. Häufig gebe es als einzige Spur eine IP-Adresse von Verdächtigen. Weil die Speicherung der mit der IP-Adresse verbundenen Informationen in Deutschland derzeit ausgesetzt ist, würden den Behörden wichtige Ansatzpunkte verloren gehen. Von 504 Verfahren sind im ZKI seit Februar 28 aus diesem Grund eingestellt worden, sagt Thomas Goger.

Der Europäische Gerichtshof hat der Vorratsdatenspeicherung in einem Urteil kürzlich enge Grenzen gesetzt: Demnach dürfen Informationen nicht anlasslos von Internetprovidern gesammelt werden. Bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität wie Kindesmissbrauch ließ das Gericht allerdings Spielräume zu. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf. Es wäre "fahrlässig", sagt Bayerns Justizminister Eisenreich, wenn dabei nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft würden.

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