Süddeutsche Zeitung

Handel und Gewerbe:Lockern und locken

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Um ihre Innenstädte zu beleben, haben viele Rathäuser zuletzt gerne ein Auge bei manchen Vorschriften zugedrückt. Auf längere Sicht braucht es dazu noch mehr.

Von Florian Fuchs und Maximilian Gerl, Augsburg/München

In Augsburg plant das Rathaus bereits den Stadtsommer. Sobald die Inzidenz sinkt, sobald die gröbste Gefahr gebannt ist, soll es wie im vergangenen Jahr Kunst und Kultur in der Stadt geben, dazu gutes Essen und Shopping. Alles eingeschränkt, aber so offen wie möglich. Es ist ein Corona-Konzept, und doch weist der angedachte Augsburger Stadtsommer über das Ende der Pandemie hinaus: Wenn zum Beispiel Gastronomen nun Geld in die Hand nehmen, um ihren Außenbereich aufzuhübschen, soll dafür die nächsten Jahre über Bestandsschutz gelten, verspricht Ordnungsreferent Frank Pintsch. "Es soll die Gewissheit da sein, dass 2022 nicht wieder strengere Regeln gelten."

Bayerns Innenstädte machen sich in der Pandemie locker - das ist nicht nur in Augsburg so. Die Bürger flanieren ja auch in diesem Jahr nicht einfach so durch Fußgängerzonen. Man muss sich schon was einfallen lassen, um sie zu locken. Das heißt für die Verantwortlichen in den Rathäusern allerdings häufig auch umdenken, wenn ihre Ortskerne künftig anziehend sein sollen.

Dem Augenschein nach geht die Entwicklung aber erst mal in die entgegengesetzte Richtung. Aus Innenstädten häufen sich Berichte über Leerstand, über Lücken, wo sich bis vor kurzem Laden an Laden reihte. Hässliche Folgen, vor allem für die Menschen, deren wirtschaftliche Existenz an dem einstigen Geschäft hing. Allerdings ist nicht jede leere Fläche Corona geschuldet, bedeutet nicht jede Schließung das Ende eines Händlers. Gerade in Fußgängerzonen dominieren Filialen großer Ketten das Bild. Manche haben im Zuge der Corona-Krise einen Teil ihrer Geschäfte aufgegeben, um Geld zu sparen. Ähnlich schnell dürften Dependancen öffnen, sobald es wirtschaftlich wieder aufwärts geht.

Auch deshalb wird Corona wohl nicht das Ende der Innenstädte bedeuten. Mittelfristig erwarten viele Fachleute, dass der Leerstand wieder abnimmt - weil deutlich wurde, worauf es ankommt. Eine Innenstadt müsse "Atmosphäre und Erlebnis" bieten, sagt etwa Ekkehard Schmölz vom Augsburger Stadtmarketing. Ähnlich sieht das Matthias Köppel, bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben für Standortpolitik zuständig. Die Innenstadt müsse "ein wilder Marktplatz für alles sein", sagt er: "Nur dann ist sie attraktiv." Viele Rathäuser hätten nun gemerkt, dass es ihren Innenstädten gut tue, wenn die Verwaltung mal ein Auge zudrücke. "Es ist wichtig, dass man das über die Pandemie hinaus beibehält", fordert Köppel.

Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: Auf bessere Zeiten hoffen und ein Auge zudrücken könnte allein zu wenig sein. Dazu steht der stationäre Handel zu sehr unter Druck, nicht nur wegen Corona und damit verbundenen Einbußen. Seit Jahren verlagert sich Shopping zunehmend ins Internet, diktieren Amazon und Co. die Preise. Wer nicht mit speziellen Produkten und Dienstleistungen punkten kann, droht in der Masse unterzugehen. In kleineren Städten und eher ländlichen Regionen kommt oft Weiteres hinzu, Mancherorts etwa eine schrumpfende Bevölkerung oder Gewerbegebiete auf der grünen Wiese, die Kaufströme aus dem Ortskern an seine Ränder verlagern. Oder eine mangelhafte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Große Städte wie Augsburg können ihre Stadtmarketingexperten nach Lösungen fragen. Kleineren fehlen Kapazitäten und Geld. Mit der Frage, wie man Bayerns Innenstädte beleben könnte, beschäftigte sich im März ein "Runder Tisch" mit Vertretern von Staatsregierung, Kommunen und Verbänden. "Wir haben in Bayern zahlreiche gute Förderprogramme für die Stadt- und Ortsentwicklung", teilte danach Bauministerin Kerstin Schreyer (CSU) mit. "Wir müssen uns anschauen, ob diese Programme für die aktuelle Situation passgenau sind und wie wir sie gegebenenfalls umgestalten müssen." Konkrete Ergebnisse klingen anders.

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) hat ein "Fitnessprogramm für starke Zentren" ins Leben gerufen - das für die SPD-Abgeordnete Annette Karl wenig Ertüchtigung verspricht. Das Budget von 250 000 Euro müssten sich fünf Städte teilen, monierte sie jüngst. Das reiche nicht, wenn man das "Sterben der Innenstädte, um es mal drastisch zu formulieren", aufhalten wolle. Karl fordert unter anderem eine Anpassung des Landesentwicklungsprogramms, um der Ausweisung neuer Gewerbeflächen entgegenzuwirken "und die Geschäfte in die Innenstädte zurückzuholen".

Ideen gäbe es viele. So raten Handelsverband und Deutscher Städtetag in einem gemeinsamen Papier, dass sich Händler für mehr Servicequalität besser vernetzen sollten. Auch Vermieter müssten ihren Beitrag leisten, etwa durch frequenzorientierte statt starre Mieten. Das Institut für Handelsforschung Köln empfiehlt das Schaffen digitaler Angebote. Zudem seien weiche Standortfaktoren - wie "der Wunsch nach Orten zum Wohlfühlen und um Leute zu treffen" - stärker zu berücksichtigen.

Kurz: Die Mischung macht's. Nur muss jede Stadt herausfinden, wie diese Mischung für sie am besten aussieht. Was wiederum sogar an Stellen zu Konflikten führen kann, die sonst für Frequenz in den Straßen sorgen. Beispiel Gastronomie. Sieben Euro sind laut IHK-Experte Köppel ungefähr die Schwelle, von der an Besucher sich lieber in der Innenstadt etwas zu essen kaufen, als daheim zu kochen. Erstens weil es dann nicht recht teurer ist. Zweitens weil es keine Arbeit macht. Drittens weil damit ein Erlebnis verbunden ist - und dahin ohnehin der Trend geht. Die Folge, so Köppel: Mancherorts in Europa habe die Gastronomie in den vergangenen Jahren Geschäfte leicht verdrängt. "Es haben schon viele Städte reagiert in der Corona-Krise", bilanziert Köppel, "aber noch zu wenige. Und es sollte von Dauer sein, um den Innenstädten Gutes zu tun."

"Die Städte müssen aufpassen, dass sie die Mischnutzung auch wirklich ernst nehmen", sagt Ekkehard Schmölz vom Stadtmarketing Augsburg. "Es tut langfristig gut, wenn zwei Parkplätze aufgelöst werden und darauf ein kleiner Spielplatz entsteht." Schmölz sieht die Fußgängerzone künftig im Idealfall als "Mehrnutzungszimmer", so wie es zahlreiche bayerische Städte im Sommer 2020 vorgemacht haben: mit Bühnen und Buden, Kultur und Events. "Seine" Stadt scheint das erkannt zu haben. Das Augsburger Rathaus will dieses Jahr sogar einen Stadtstrand errichten, einen Ort zum Verweilen und mit Urlaubsflair. "Ob es früher so einfach gewesen wäre, mitten in der Stadt Sand aufzuschütten", sagt Schmölz, "da habe ich meinen Zweifel."

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SZ vom 12.04.2021
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