Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Flexibler länger arbeiten

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Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf möchte in Ausnahmen mehr als die bisher zulässigen zehn Stunden Arbeitszeit am Stück zulassen. Wie das im Detail aussehen könnte? Das müsse man nun mit allen Seiten diskutieren.

Von Maximilian Gerl

An diesem Mittwoch hat Thomas Domani wieder eine Veranstaltung, wie sie nach eigenem Bekunden typisch ist: Sein Betrieb, der Lehrieder Catering-Party-Service, versorgt als Partner der Nürnberger Messe Kongressbesucher kulinarisch bis in die frühen Morgenstunden hinein. Dazu plant Geschäftsführer Domani - auch Nürnberger Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga - in der Regel mit zwei Schichten, damit das Personal nicht länger arbeitet als zulässig.

Trotzdem gebe es immer wieder Momente, in denen so viel zu tun sei, dass man den einen oder anderen Mitarbeiter gerne um zwei Stunden freiwillige Arbeitszeitverlängerung bitten würde. Darf man aber nicht. Dabei würde der Mitarbeiter ja, sofern er das möchte, "nur die Arbeit vorziehen", sagt Domani. "Dafür kriegt er dann am Freitag frei und hat ein langes Wochenende." Davon hätten seiner Meinung nach alle Seiten etwas. "Diese Beweglichkeit muss eine Chance kriegen."

Mehr Beweglichkeit bei den Arbeitszeiten: Das könnte sich auch Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) gut vorstellen. Bevor sie am Mittwoch zur Sozialministerkonferenz ins Saarland reiste, schickte sie ein paar Worte voraus. Die Arbeitszeitgesetze müssten sich endlich an "die Lebenswelten der Menschen anpassen", heißt es in einer Mitteilung ihres Hauses. Dazu sei es ein "erster wichtiger Schritt", Arbeitszeiten von mehr als den bisher gültigen zehn Stunden täglich zu ermöglichen. Freiwillig natürlich, nur für einzelne Arbeitstage "und unter Beachtung des Arbeitnehmerschutzes".

Bei Arbeitgebervertretern kommen solche Sätze in der Regel gut an; die bayerische Dehoga-Zentrale in München etwa äußerte prompt Zustimmung. Die Gastronomie und Hotellerie fordert seit Jahren eine Reform des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), damit sich Spitzenzeiten, in denen viel los sei, mit weniger arbeitsintensiven Phasen besser verrechnen ließen. Das ist bislang nur in begrenztem Umfang möglich. Die maximale Arbeitszeit beträgt nach ArbZG acht Stunden pro Tag. In Ausnahmen sind zehn Stunden drin, die daraus resultierende Mehrarbeit muss innerhalb von sechs Monaten wieder ausgeglichen werden.

Hier mehr Bewegung hineinzubekommen, könnte auch für andere Branchen wie den Bau interessant sein - und hat Bayern 2019 schon mal mit einem Antrag im Bundesrat versucht. Nun also ein neuer Anlauf, den Ministerin Scharf auf Nachfrage unter anderem mit der Arbeitszeitrichtlinie der EU begründet. Diese ziele auf die zu leistende Wochenarbeitszeit ab, während die deutsche Gesetzgebung sich weiter an der täglichen Dauer orientiere. "Wir müssen den europäischen Spielraum nutzen", sagt sie am Telefon, schon um dem Fachkräftemangel zu begegnen. In der Gastronomie müssten Lokale die halbe Woche schließen, weil Personal fehle. Gleichzeitig würden sich vor allem Frauen häufig flexiblere Arbeitszeiten wünschen, um die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen besser mit dem Beruf zu vereinbaren. "Je flexibler, desto besser für alle Beteiligten", sagt Scharf. Die vorgeschriebene Ruhezeit zwischen den Schichten und die "Wochenarbeitszeit als Obergrenze" müssten aber eingehalten werden.

Wie das am Ende aussehen könnte? Das müsse man nun mit allen Seiten diskutieren, sagt Scharf. Ein Vorbild aber könnte Österreich sein. Dort beschloss 2018 die Koalition aus ÖVP und FPÖ ein umstrittenes neues Arbeitsgesetz, um nach eigener Aussage den Ansprüchen einer modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Darin sah die oppositionelle SPÖ wiederum einen Anschlag auf die Arbeitnehmer. Heute gilt vereinfacht: Die Normalarbeitszeit liegt zwar weiter bei acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich. Zusätzlich dürfen aber bis zu zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden - vorausgesetzt, die Maximalarbeitszeit beträgt im Viermonatsschnitt nicht mehr als 48 Wochenstunden. So steht es auf einer Info-Seite der Wirtschaftskammer Österreich.

Arbeitsmediziner warnen vor einer Überforderung der Beschäftigen

Absehbar ist, dass der bayerische Vorstoß nicht überall auf so viel Begeisterung stoßen wird. Die Gewerkschaften etwa sehen Aufweichungen traditionell kritisch: als ein mögliches Einfallstor für Arbeitgeber, um auf Kosten der Beschäftigten Mehrarbeit einzuführen. Auch Arbeitsmediziner warnen vor Überforderung. Dabei ist die Arbeitsbelastung jetzt schon in vielen Branchen Thema, etwa in der Gastronomie.

In einer Umfrage der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), welche Aspekte des Arbeitsalltags Beschäftigte als belastend empfinden, wurden Zeitdruck und Stress am zweithäufigsten genannt. Kurzfristige Schichtänderungen sowie lange Arbeitstage und Überstunden rangierten auf Platz drei und vier. Als schlimmer - beziehungsweise verschlimmernd - wurde allein der Personalmangel empfunden. Auch in anderen Bereichen ist Mehrarbeit durchaus üblich. Soloselbständige etwa schaffen mitunter weit über die täglichen acht Stunden hinaus, teils gerne, teils notgedrungen.

Ginge es nach Caterer Domani, ließe sich das Ganze einfach regeln: Die Politik müsse dazu nur einen Rahmen vorgeben, in dem sich Beschäftigte und Betriebe einvernehmlich auf ihre Arbeitszeit verständigen könnten. "Es gibt viele Mitarbeiter, die sagen: Zwölf Stunden schaffe ich nicht", sagt Domani. "Das ist in Ordnung." Die Sorge, dass Betriebe flexiblere Gesetze zu ihrem Vorteil ausnutzen könnten, versteht er zwar, teilt sie aber nicht. Denn angesichts der Mangellage beim Personal würden Chefs, die ihre Mitarbeiter ausbeuteten, wirtschaftlich nicht lange überleben. "Das", sagt Domani, "finde ich auch vernünftig."

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