Süddeutsche Zeitung

Ausgewilderte Bartgeier:Wallys letzte Landung

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Viel lieber hätten Vogelschützer nur einen abgefallenen GPS-Sender gefunden, doch nun herrscht Gewissheit: Einer der beiden erst vergangenes Jahr im Nationalpark Berchtesgaden ausgewilderten Bartgeier ist tot.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Vor ein paar Tagen hat der GPS-Sender noch einmal ein letztes Signal abgegeben - nachträglich, wie Toni Wegscheider sagt. Denn die übermittelten Daten stammten schon vom 16. April. An dem Tag muss Wally dort droben im Zugspitzmassiv noch einmal die Talseite gewechselt haben. Auf das bis dahin letzte GPS-Signal vom 15. April hatte sich Wegscheider sowieso nicht mehr verlassen. Der Bartgeier-Experte beim Landesbund für Vogelschutz hatte gehofft und eigentlich auch fest geglaubt, dass Wally schlicht ihren Sender verloren hatte und jetzt eben ohne ihn ihre Kreise ziehen würde hoch über den Bergen.

Doch seit dem Wochenende haben Projektleiter Wegscheider, der LBV und der Nationalpark Berchtesgaden, in dem Wally vor einem Jahr ausgewildert worden war, Gewissheit. Der Ring, der Sender, die großen Federn und auch die Knochen, die am Samstag im unwegsamen Gelände des Naturschutzgebiets gefunden wurden, gehören eindeutig zu Wally. Woran das junge Geier-Weibchen gestorben ist, bleibt vorerst unklar.

Denn Wally, die ihren Namen im vergangenen Jahr von den SZ-Lesern erhalten hatte, war auch laut den letzten Daten von ihrem GPS-Sender vital und gesund. Wegscheider und seine Kollegen konnten anhand der Daten von Beschleunigungssensoren und Temperaturfühlern oft nachvollziehen, was Wally gerade tat, ob sie flog, herumhockte oder irgendwo an Aas und Knochen rupfte, die Bartgeiern als Nahrung dienen.

Bis zum Schluss sei Wally "in bester Kondition" gewesen, sagt der Biologe Wegscheider, der sie vier Tage vor ihrem Ende noch selbst gesehen hat über dem Salzburger Bluntautal direkt jenseits der Grenze des Nationalparks. "Da ist sie wunderschön geflogen und gekreist und hat völlig fit gewirkt." Wegscheider hat Wally auch selbst gesucht, nachdem der Sender dann nur noch diese immer gleichen Koordinaten aus dem Reintal im Wettersteingebirge bei Garmisch-Partenkirchen übermittelt hat.

Wohl acht Mal seien Teams des LBV in dem steilen Gelände unterwegs gewesen, hätten sich teils in Felswände abgeseilt und mit Handantennen den Standort des Senders immer genauer eingrenzen können - und zwar damals schon auf der richtigen Seite des Tals. Viermal war Wegscheider selber mit auf der Suche und hat sich dabei zuletzt am Knie verletzt. Nach einer Pause wegen des schlechten Wetters waren es am Samstag schließlich ein Bergführer und ein weiterer kletterfester LBV-Biologe, die auf 1500 Metern Höhe in einer steilen Felsrinne des Mauerschartenkopfs Wallys Überreste geborgen haben.

Der Tod so eines Vogels lasse einen nicht kalt

So unklar wie die Todesursache ist derzeit auch, ob diese sich je ermitteln lässt. Momentan untersucht ein Fachinstitut in München die Überreste des Tiers. Wegscheider nimmt einstweilen an, dass Wally eines natürlichen Todes gestorben ist. Denn wären sie nicht selber dort droben herumgekraxelt, um Wally oder lieber nur ihren Sender zu finden, so wäre in dieser Rinne über dem Reintal "nicht in hundert Jahren ein Mensch hingekommen". Er wolle da nicht spekulieren, sagt Wegscheider, aber dass Bartgeier zum Beispiel durch Lawinen oder Felsstürze umgekommen sind, das sei schon genauso vorgekommen wie ein tödlicher Biss einer Kreuzotter oder ein letzter Luftkampf mit einem Adler.

Wegscheider hat Wally beringt und besendert und hat eins der Tiere vor einem Jahr einen Teil des Wegs hinauf in die Felsnische über dem Klausbachtal im Nationalpark getragen. Dort war Wally zusammen mit ihrer von Berchtesgadener Schülern "Bavaria" benannten Cousine als erste Bartgeier in Deutschland ausgewildert worden. Fast ein Jahr lang sei es für ihn das Erste am Morgen und das Letzte am Abend gewesen, die Senderdaten der beiden Bartgeier zu checken. Da lasse einen der Tod so eines Vogels nicht kalt, sagt Wegscheider.

Wally sei schon wegen ihrer medialen Präsenz und ihrer bundesweiten Fangemeinde "eine extreme Hoffnungsträgerin" gewesen, wenn es darum gehe, die in Deutschland vor mehr als 140 Jahren ausgerotteten Bartgeier wieder anzusiedeln. Fachlich sei ihr Tod "ein Rückschlag", aber nichts, was das ganze Projekt gefährde. Man habe durchaus damit gerechnet, das auch mal ein Tier sterben wird, "aber dass es so schnell passiert, ist natürlich bitter". Doch wenn, so trifft es oft Jungtiere wie die 13 Monate alte Wally. Sind sie aus dem Gröbsten raus, können Bartgeier in freier Wildbahn über 30 Jahre alt werden.

"Auswilderungsprojekte müssen langfristig ausgelegt sein"

"Zwar überleben neun von zehn Jungvögeln im internationalen Auswilderungsprogramm das erste Jahr, man kann aber eben auch nicht ausschließen, dass mal etwas passiert, oder es gar vorhersehen", sagt Ulrich Brendel, der das Bartgeier-Projekt vonseiten des Nationalparks leitet. "Wallys Schicksal unterstreicht die Notwendigkeit dafür, dass Auswilderungsprojekte langfristig ausgelegt sein müssen", sagt Brendel. LBV-Chef Norbert Schäffer sieht sich bestätigt, "dass wir dieses Projekt nicht als Sprint, sondern als Marathon auf zehn Jahre angelegt haben".

Denn Bavaria, die gerade wieder in den Berchtesgadener Bergen unterwegs ist, soll dort schon kommende Woche Gesellschaft von zwei Artgenossinnen erhalten. Dann sollen zwei weitere Jungtiere aus der spanischen Aufzucht-Station in die Felsnische über dem Klausbachtal einziehen und dort langsam das Fliegen lernen. Eins dieser Tiere wird Wallys Schwester sein, die andere eine Cousine von Bavaria. Vorerst tragen die beiden noch die Namen BG 1143 und BG 1145. Bartgeier 1144 passt genetisch nicht ins Konzept und soll sein Erbgut lieber anderswo in den Alpen weitertragen.

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