Naturschutz:Wo ist Bartgeier Wally?

Lesezeit: 4 min

Bei ihren Ausflügen über dem Nationalpark Berchtesgaden bot das Bartgeier-Weibchen Wally einen geradezu majestätischen Anblick. Leider ist das Tier vermutlich durch einen Felssturz getötet worden. (Foto: Markus Leitner)

Seit Wochen funkt der Sender des Vogelweibchens von der gleichen Stelle im Reintal aus. Das kann zweierlei bedeuten: Entweder hat das Tier das Gerät verloren - oder es ist tot.

Von Christian Sebald, Garmisch-Partenkirchen

Der Mauerschartenkopf ist ein 1924 Meter hoher Gipfel im Wetterstein unweit der Zugspitze. An seiner Nordseite zieht es im Winter immer wieder Skitouren-Geher hinauf. Nach Süden hin fällt er über extrem steile Wiesenmatten und lichte Bergwälder mit hohen Felswänden schroff ins Reintal hinab, wo die Partnach in Richtung Garmisch gurgelt. Aus diesen Südhängen funkt das Bartgeier-Weibchen Wally, seit vier Wochen, immer von der gleichen Stelle.

"Das ist ungewöhnlich und beunruhigend", sagt der Bartgeier-Experte Toni Wegscheider. "Denn es kann nur zweierlei bedeuten: Entweder hat Wally ihren Sender verloren und das Gerät funkt von der Stelle vor sich hin, wo es aufgeschlagen ist." Oder Wally ist tot, ihr Kadaver samt sendendem GPS-Gerät liegt an der Mauerschartenkopf-Südseite. In diesen Tagen will Wegscheider aufklären, was mit Wally los ist. Er will mit Kollegen den Sender bergen. Die Aktion ist anspruchsvoll. Die Südhänge des Mauerschartenkopf sind wegloses Gelände.

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Wally ist Teil des großen Bartgeier-Projekts, das der Landesbund für Vogelschutz (LBV) im Sommer 2021 im Nationalpark Berchtesgaden gestartet hat. Dabei werden in dem Schutzgebiet binnen zehn Jahren bis zu 30 Bartgeier ausgewildert. Damit soll die kleine alpenweite Population gestärkt werden. Wally und ein zweites Bartgeier-Weibchen namens Bavaria machten im Juni 2021 den Anfang.

Die Aktion, die von der Süddeutschen Zeitung mit einer Serie begleitet wurde, lief bisher wie im Bilderbuch. Wally und Bavaria sind nicht nur sehr sehr vital, sondern längst routinierte Flugkünstler. Es waren immer atemberaubende Anblicke, wenn Wally im Nationalpark hoch in der Luft über dem Klausbachtal oder an der Watzmann-Ostwand ihre Kreise gezogen hat. Bartgeier oder Gypaetus barbatus, wie sein wissenschaftlicher Name lautet, zählen mit einer Spannweite von fast drei Metern zu den mächtigsten Greifvögeln der Welt.

Der Experte ist überzeugt: Wally hat den Sender verloren

Wegscheider rechnet ziemlich sicher damit, dass Wally nur ihren Sender verloren hat und jetzt vogelfrei im Luftraum über den Alpen umhersegelt. "Wally ist 14 Monate alt, wir haben keinerlei Hinweise, dass sie an irgendeiner Schwäche oder Krankheit leidet", sagt er. "Auch auf dem Flug vom Nationalpark zum Wettersteingebirge ist nichts Ungewöhnliches passiert, außer dass es der erste wirkliche Langstrecken-Flug von Wally war." Bis dahin hatte sie sich nur in dem Schutzgebiet und dessen näherem Umfeld aufgehalten.

In der zweiten Aprilwoche hat Wally offenkundig der Rappel gepackt. Am 11. April ist sie aus dem Göllmassiv abgeflogen - zunächst nach Osten ins Salzkammergut. Dann hat sie einen scharfen Knick nach Westen gemacht. Am 13. April war sie bei Inzell, am Tag danach ist sie über das Kaisergebirge hinweg am Achensee vorbei in den Karwendel hineingesegelt und hat das Wetterstein erreicht. Luftlinie sind das um die 180 Kilometer. "Aber Wally ist nicht Luftlinie geflogen, sondern Zickzack", sagt Wegscheider. "Am Ende war sie 380 Kilometer unterwegs. Das ist eine ordentliche Leistung."

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Auch dieses Jahr kommen die Jungvögel für das Wiederansiedlungsprojekt in dem bayerischen Nationalpark aus der Zuchtstation im andalusischen Guadalentin. Die Vögel waren in den Alpen einst ausgerottet worden.

Von Christian Sebald

Wegscheider hat nicht nur diesen Flug von Wally minutiös mitverfolgen können, sondern alle ihre Flüge vom ersten Abheben an. Denn die Bartgeier im LBV-Projekt werden alle mit GPS-Sendern ausgestattet. Die 50 Gramm leichten Teile sind klein wie eine schmale Zigarettenschachtel und beziehen ihre Energie von einem winzigen Solarmodul. Dessen einziger Nachteil: Wenn längere Zeit die Sonne nicht scheint, lädt sich der Sender nicht auf und er kann ausfallen. Im Winter ist es öfter passiert, dass Wegscheider tagelang keinen Funkkontakt zu Wally hatte. "Deshalb war ich nicht beunruhigt, als jetzt wieder der Kontakt abgerissen ist", sagt Wegscheider. "Zumindest zunächst nicht."

Die Sender fallen idealerweise nach fünf Jahren ab

Der Sender ist an Hüftgurten auf dem Rücken von Wally befestigt. Sie sind eine Spezialkonstruktion aus weichem, stabilen Teflonmaterial und Baumwolle. Sie sitzen so gut, dass sie Wally nicht stören oder gar einschränken und zugleich der Sender auf ihrem Rücken sicher ist. Außerdem verfügen sie über eine Sollbruchstelle. Der Baumwollfaden, mit dem sie vernäht sind, wird unter dem Einfluss von Wind, Wetter und Sonne allmählich porös. Irgendwann fallen Gurte samt Sender ab. "Idealerweise nach etwa fünf Jahren", sagt Wegscheider. "Es passiert aber auch, dass welche früher abfallen." Im vergangenen Vierteljahr haben alpenweit vier junge Bartgeier ihre Sender weit vor der Zeit verloren - warum, weiß keiner. Allein das ist Grund genug, warum Wegscheider Wallys Sender bergen will. Er will herausfinden, warum die Gurte so schnell so instabil werden können, dass sie sich von ihr gelöst haben.

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum der Biologe den Sender bergen will. Er will sicher sein, dass Wally selbst nichts zugestoßen ist. Dass sie nicht tot ist. Bartgeier waren einst weit verbreitet in den Alpen. Zwar sind die Greifvögel sehr mächtig und sehen mit ihrem großen hakenförmigen Schnabel furchteinflößend aus. Aber sie sind harmlos und ungefährlich. Denn sie fressen ausschließlich Aas und Knochen. Dennoch sind die Bartgeier in den Alpen ausgerottet worden. Die Menschen glaubten, dass sie Schafen und sogar Kleinkindern nachstellen. Also wurden sie gnadenlos gejagt, Anfang des 20. Jahrhunderts gab es alpenweit keine Bartgeier mehr. Erst in den Achtzigerjahren begann man mit ihrer Wiederansiedlung.

Heute ist das Image der Geier fast durchwegs positiv. Das hat eine Internet basierte Akzeptanz-Studie des LBV im Vorfeld des Wiederansiedlungsprojekts gezeigt. "Mehr als 90 Prozent der Teilnehmer sind Geiern gegenüber positiv eingestellt", sagte LBV-Chef Norbert Schäffer bei ihrer Präsentation. Aber es gibt dennoch Menschen, die strikt gegen Geier sind und sogar welche wildern. Im Frühjahr 2019 ist in Vorarlberg - kurz hinter der bayerisch-österreichischen Grenze - ein Gänsegeier illegal abgeschossen worden. Gänsegeier sind ebenfalls Aasfresser, sie kommen hauptsächlich in Spanien vor. Junge Gänsegeier unternehmen weite Ausflüge - bis nach Norddeutschland. Dabei überfliegen sie die Alpen. Wegscheider will sicher gehen, dass Wally nicht ein ähnliches Schicksal getroffen hat wie den Gänsegeier in Vorarlberg.

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