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Q&A:Und nun, Curevac?

Lesezeit: 4 min

Der Impfstoff der Tübinger Firma schneidet in einer Studie zur Wirksamkeit schwach ab. Was bedeutet das für das Impftempo in Deutschland, und was bringt es noch, wenn das Vakzin womöglich erst in einigen Monaten verfügbar ist?

Von Philipp Saul

Es ist ein erheblicher Rückschlag, den das Tübinger Biopharmaunternehmen Curevac einräumen muss. Der Impfstoffkandidat CVnCoV habe in einer Zwischenanalyse nur eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung "jeglichen Schweregrades" erzielt. Das Vakzin verpasst also knapp den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgegebenen Wert einer Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent für Corona-Impfstoffe. Was bedeutet das für den Impffortschritt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist über die bisherigen Daten bekannt?

Nach Angaben von Curevac sind in die Analyse mindestens 13 Coronavirus-Varianten eingegangen. Von 124 einbezogenen Krankheitsfällen seien mehr als die Hälfte durch besorgniserregende Varianten verursacht worden; nur in einem einzigen Fall habe es sich um das ursprüngliche Sars-CoV-2-Virus gehandelt. Die Wirksamkeit des Impfstoffkandidaten CVnCoV hänge von der untersuchten Altersgruppe und den Virusstämmen ab. Bei jüngeren Studienteilnehmern sei eine Wirksamkeit registriert worden, wohingegen bei über 60-Jährigen keine Rückschlüsse möglich gewesen seien.

Konkrete Angaben macht das Unternehmen in seiner Pressemitteilung bis auf die genannten 47 Prozent nicht. Unklar bleibt vorerst, wie hoch der Erfolg gegen einzelne Varianten ist. Der Epidemiologe und SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach geht davon aus, dass die Wirkung gegen die Delta-Variante noch niedriger ist. Die zuerst in Indien entdeckte Mutante gilt als deutlich ansteckender und könnte schwerere Verläufe verursachen.

Der Leiter der Impfstoff-Studie des Tübinger Unternehmens, Peter Kremsner, sagte dem SWR, die niedrige Wirksamkeit ergebe sich daraus, dass das Vakzin nicht hoch genug dosiert werden konnte. Das wiederum habe daran gelegen, dass die einzelnen Bestandteile nicht chemisch modifiziert worden seien. Die anderen Impfstoffhersteller hätten das getan und 30 und 100 Mikrogramm verabreicht. "Mit der Curevac-Impfung konnten wir nur zwölf Mikrogramm geben. Dann wurde es zu unverträglich, wenn man weiter höher dosiert hat." Man müsse neidlos zugestehen, dass Biontech und Moderna die besseren Impfstoffe haben.

Wie unterscheiden sich die Studienergebnisse von anderen Impfstoffen?

Der Impfstoffkandidat der Tübinger basiert - ebenso wie beispielsweise das bereits länger in der EU zugelassene Vakzin des Mainzer Konkurrenten Biontech - auf sogenannter "messenger RNA" (Boten-RNA) und unterscheidet sich damit von herkömmlichen Vektorimpfstoffen wie etwa jenem von Astra Zeneca. Doch anders als bei Biontech/Pfizer oder auch beim US-Konkurrenten Moderna lässt die Wirksamkeit des Curevac-Impfstoffs offenbar deutlich zu wünschen übrig.

Im April gaben Biontech und Pfizer bekannt, dass ihr Impfstoff eine Wirksamkeit von 91,3 Prozent gegen alle Covid-19-Verläufe habe. Gegen einen schweren Verlauf ist der Impfstoff je nach Definition zu 95,3 bis 100 Prozent wirksam. Bei Moderna liegt die Wirkung nach Unternehmensangaben bei 94,1 Prozent gegen alle Erkrankungen. Das Vakzin von Astra Zeneca liegt mit etwa 70 bis 80 Prozent gegen alle Verläufe unter den Resultaten der Konkurrenz, schützt aber ebenfalls sehr zuverlässig gegen schwere Verläufe und Todesfälle.

Was bedeutet der Rückschlag bei Curevac für die Impfungen in Deutschland?

Insgesamt hatte Curevac geplant, in diesem Jahr 300 Millionen Dosen herzustellen und bis zu eine Milliarde Dosen im kommenden Jahr. Die Europäische Union hat sich von dem Impfstoff bis zu 405 Millionen Dosen gesichert. Auf das Tempo der deutschen Impfkampagne hat die Curevac-Mitteilung laut einem Sprecher des Gesundheitsministeriums keine Auswirkung. Dieses hatte zuletzt bekannt gegeben, dass das Mittel erst nach der Zulassung in die Planungen für die Impfkampagne aufgenommen werde.

Noch im März hatte das Ministerium für das gesamte Jahr 323,7 Millionen Impfdosen erwartet. Davon sollten 24,5 Millionen von Curevac kommen. Für das zweite Quartal wurde mit 1,4 Millionen Impfdosen gerechnet. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum sollen allein von Biontech etwa 50 Millionen Dosen kommen. Auch ohne Curevac kommt die Impfkampagne in Deutschland so voran, dass wohl noch im Sommer alle Impfwilligen eine Erstimmunisierung bekommen können.

Ist überhaupt noch mit einem Impfstoff von Curevac zu rechnen?

Ob Curevac nun überhaupt absehbar - und wenn ja, wann - liefern kann, bleibt vorerst unklar. Der Impfstoffkandidat befindet sich schon seit Dezember - also seit etwa einem halben Jahr - in der finalen und damit zulassungsrelevanten 2b/3-Studienphase. Während zahlreiche Konkurrenten ihre Vakzine längst auf den Markt gebracht haben, sammelt Curevac nach wie vor Daten. Die Studie soll bis zur finalen Analyse in zwei bis drei Wochen "mit mindestens 80 weiteren Fällen" fortgesetzt werden, schreibt das Unternehmen. Die endgültige Wirksamkeit könne sich noch verändern.

Ein Sprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller dämpfte allerdings die Hoffnung auf Besserung. Die Effizienz könne noch um wenige Prozent steigen. "Eine enorme Zunahme ist aber nicht zu erwarten." Hoffnung setze er nun vor allem auf die zweite Generation des Curevac-Impfstoffkandidaten. Diese verfüge über eine grundlegende Veränderung im Aufbau des Präparats. Sollte sich dieser Impfstoff bewähren, wäre Curevac bei der künftigen Impfstoffversorgung sicher dabei.

Was bringt es noch, wenn ein Curevac-Impfstoff womöglich erst in einigen Monaten verfügbar ist?

Auch wenn Deutschland bis dahin mit dem Impfen wahrscheinlich schon sehr weit fortgeschritten ist, könnte das Vakzin dennoch helfen, sollte es wirksam sein und zugelassen werden. Noch ist nämlich nicht sicher, ob eine oder zwei Schutzimpfungen ausreichen. Möglicherweise braucht es schon in wenigen Monaten eine dritte Spritze oder sogar jährliche Auffrischungen, bei denen dann auch Curevac zum Einsatz kommen könnte.

Vor allem international kann das Vakzin noch eine wichtige Rolle spielen. Viele Länder sind mit ihren Impfkampagnen noch lange nicht so weit fortgeschritten wie etwa manche europäische Staaten, Israel, Kanada oder die USA. Gerade für ärmere galt der Curevac-Impfstoff als Hoffnungsträger. Man hatte erwartet, dass das Vakzin preiswerter werde als andere, weil es stabiler sei und pro Dose weniger Impfstoff benötigt werde. Es soll sich zudem monatelang bei gewöhnlichen Kühlschranktemperaturen lagern lassen.

Hält der Bund an seiner Curevac-Beteiligung fest?

Im vergangenen Jahr ist der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 300 Millionen Euro bei Curevac eingestiegen, wohl auch deshalb, um unerwünschte Zugriffe auf das Knowhow zu verhindern. Nach Medienberichten hatten die USA unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump versucht, sich exklusiv die Rechte an einem Curevac-Impfstoff zu sichern. Später erhielt Curevac für die Forschung an einem Corona-Vakzin noch eine Finanzspritze des Bundes von 252 Millionen Euro.

Zuletzt war der Bund noch mit etwa 16 Prozent an den Tübinger Firma beteiligt und will die Anteile auch jetzt nicht aufgeben. "Mit der Beteiligung an Curevac verfolgte und verfolgt die Bundesregierung gesundheits- und industriepolitische Ziele", teilte das Wirtschaftsministerium mit. Es gehe nicht nur darum, mehr Impfstoffproduktion in Deutschland und Europa anzusiedeln, sondern auch um Forschungsaktivitäten. Für die mRNA-Technologie gebe es vielfältige Anwendungsbereiche, etwa in der Krebsbekämpfung, betonte eine Sprecherin.

Mit Material von dpa und Reuters

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