Süddeutsche Zeitung

Skandal um Finanzdienstleister:Ein Lebenszeichen von Jan Marsalek

Lesezeit: 2 min

Nach der Wirecard-Insolvenz vor drei Jahren tauchte der frühere Vorstand unter. Jetzt hat er sich mithilfe seines Anwalts bei der Münchner Justiz gemeldet.

Von Jörg Schmitt, Kassian Stroh und Nils Wischmeyer

Vor drei Jahren ist Jan Marsalek, einer der Hauptverdächtigen im Wirecard-Skandal, untergetaucht. Nun hat er sich erstmals über seinen Verteidiger gemeldet - bei der Münchner Justiz. Beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft München I sei jeweils ein Brief des Anwalts eingegangen, sagten Sprecher der beiden Behörden. Offenbar in den vergangenen Tagen, wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr. Inhalt und Einzelheiten der Stellungnahme nannten die Sprecher nicht. "Wir möchten diese außerhalb der Hauptverhandlung nicht kommentieren", teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Seit acht Monaten läuft in München ein großer Betrugsprozess unter anderem gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Markus Braun. Dass Marsalek nun offenbar sein Schweigen bricht, kommt überraschend. Er hatte sich im Sommer 2020 ins Ausland abgesetzt, als sich der Kollaps des einstigen Dax-Konzerns abzeichnete. Er soll nach Russland geflohen sein, zumindest bis zum Frühjahr lebte er nach SZ-Informationen unter neuer Identität in Moskau. Laut Wirtschaftswoche geht sein Anwalt in dem Schreiben nicht konkret auf die Betrugsvorwürfe gegen den früheren Wirecard-Vorstand ein.

Der Finanzdienstleister war zwischen Juni und Juli 2020 innerhalb weniger Wochen zusammengebrochen, weil 1,9 Milliarden Euro angeblich auf südostasiatischen Treuhandkonten verbuchte Erlöse nicht auffindbar waren. Marsalek ist als ehemaliger Vertriebschef des Konzerns eine Schlüsselfigur. Für Wirecard-Aktionäre entstand ein Milliardenschaden.

Im Münchner Wirecard-Prozess haben die Verteidiger von Ex-Vorstandschef Braun den abwesenden Marsalek beschuldigt, den Konzern ohne Wissen und Zutun Brauns ausgeplündert und gemeinsam mit Komplizen zwei Milliarden Euro Geschäftserlöse veruntreut zu haben. Das Schreiben liefert zumindest ein Indiz dafür, dass Marsalek den Prozess aus der Ferne verfolgt. Denn es ist an die vierte Strafkammer adressiert, die das Verfahren gegen Braun und dessen zwei Mitangeklagte führt, wie die Staatsanwaltschaft wissen lässt.

Laut Wirtschaftswoche soll Marsaleks Anwalt in dem Brief Stellung zur Existenz des sogenannten Drittpartnergeschäfts bei Wirecard nehmen. Laut Anklage erfand eine kriminelle Bande in der Führungsriege des Unternehmens mit Beteiligung Brauns Scheingeschäfte in Asien, um Banken und Investoren zu täuschen. Braun widerspricht: Die Geschäfte seien keineswegs erfunden worden, vielmehr sollen die Erlöse von Marsalek und seinen Komplizen beiseitegeschafft worden sein. Im Schreiben von Marsaleks Anwalt heißt es nun offenbar, dass dieses Drittpartnergeschäft - anders als von der Staatsanwaltschaft behauptet - sehr wohl existierte. Das würde Braun womöglich entlasten.

Es sei schon auffällig, dass das Schreiben nun in dieser Phase des Prozesses auftauche, sagte ein Fahnder der SZ. Er glaube nicht an einen Zufall. Während sich Ex-Vertriebschef Marsalek ins Ausland absetzte, stellte sich sein Chef nach kurzer Zeit den Ermittlern und sitzt seitdem in München in Untersuchungshaft.

Die vermeintlichen Erlöse aus dem Drittpartnergeschäft waren entscheidend dafür, dass Wirecard aus der Bedeutungslosigkeit aufstieg bis hinauf in den Dax. Und am Ende führten sie zum Zusammenbruch des Konzerns. Der Prozess gegen Braun und die beiden Mitangeklagten wird an diesem Mittwoch fortgesetzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6042378
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kast
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.