Süddeutsche Zeitung

Unternehmen:Wirecard kommt nicht zur Ruhe

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Bei dem Zahlungsanbieter ist in der einen Woche seit der Vorlage eines Prüfberichts wegen mutmaßlicher Bilanztricks einiges passiert. Doch es bleiben viele Fragen. Jetzt droht auch noch ein Bußgeld.

Von Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Frankfurt/Köln

Diese 74 Seiten haben gereicht, um einen Dax-Konzern zu erschüttern. So viele PDF-Seiten hat der Bericht zur Sonderprüfung von KPMG zu Wirecard, die der Dax-Konzern am letzten Aprildienstag veröffentlicht hat. Seither hat sich eine Aufsichtsrätin verabschiedet, ist der Aktienkurs um mehr als ein Drittel gefallen, wurde der Jahresabschluss zum zweiten Mal vertagt, hat Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann betonen müssen, dass Vorstandschef Markus Braun seinen Posten sicher habe - und zugleich angedeutet, dass andere Vorstandsverträge zum Jahresende womöglich nicht verlängert werden. All das in einer Woche.

Mit Erschütterungen kennt sich der Aschheimer Zahlungsdienstleister inzwischen aus, nach einem Jahr, in dem immer neue Verdachtsmomente bekannt wurden über mutmaßliche Bilanztricks, denen der Konzern stets widerspricht. Nun versucht Wirecard einmal mehr, die Dinge wieder geradezurücken, und verleiht der Sonderprüfung mit einer eigenen Zusammenfassung seinen subjektiven Dreh. Mehrfach betont der Konzern darin, die KPMG-Experten hätten nichts Belastendes gefunden. Eine "forensische Sonderuntersuchung" sei eben sehr genau, alles sei "restlos zu klären", wobei es normal sei, dass die Prüfer nicht alle Details in Erfahrung bringen können.

Dabei war das die Absicht der Aufsichtsrats, als er KPMG beauftragte: Bis ins letzte Detail sollte die Untersuchung klären, welcher Vorwurf stimmt, inwiefern der Konzern Umsätze und Kundenbeziehungen manipuliert hat oder eben nicht. Am Ende aber blieben wichtige Fragen offen - etwa die, ob Umsätze in einem zentralen Geschäftsbereich zweifelsfrei authentisch sind. Das Urteil der Investoren war hart, an jedem Handelstag seit der Veröffentlichung des Berichts fiel die Aktie, zuletzt am Montag um weitere fast vier Prozent.

Viele wetten auf fallende Kurse

So drückt der Markt sein Misstrauen aus, woran auch die vertrauensbildende Ankündigung nichts änderte, dass Hauke Stars in den Aufsichtsrat einziehen solle. Die 52-Jährige scheidet in diesem Herbst nach acht Jahren aus dem Vorstand der Deutschen Börse aus, wo sie für das Geschäft mit Börsengängen, den Aktienhandel und das Personal zuständig ist. Zuvor hatte der Hedgefonds-Manager Chris Hohn mit einem Brief an den Aufsichtsrat von sich Reden gemacht: Er fordert, Konzernchef Braun zügig abzulösen. Hohn war in der Vergangenheit mitunter erfolgreich mit derlei Umsturzversuchen. Er ist derzeit der prominenteste Investor, der auf fallende Kurse der Wirecard-Aktie wettet.

Vorstandschef Markus Braun mag anderes im Sinn gehabt haben, als er Ende 2018 sagte: "Die Zukunft wird das, was wir bereits erreicht haben, in den Schatten stellen." In 18 Jahren hatte Braun den Konzern in den Dax geführt, es war der Gipfel seines Erfolgs. Dann stand Ende Januar 2019 ein Bericht über mögliche Bilanzfälschung in Singapur in der Financial Times, später wurde unter anderem über dubiose Partner des Dax-Konzerns berichtet. Die Finanzaufsicht Bafin verbot zeitweise Wetten auf fallende Wirecard-Kurse, in Singapur ermittelt die Polizei, ein Zivilprozess in Indien fördert Merkwürdiges zutage. Die Verdachtsmomente ähneln sich zumeist: Das Unternehmen soll Verträge oder Partner erfunden und Umsätze künstlich aufgebläht haben. Wirecard dementiert das alles. Um Klarheit zu schaffen, beauftragte der Aufsichtsrat die Sonderprüfung, mit vier Teilbereichen: die Hintergründe einer Übernahme in Indien, das Drittpartnergeschäft, Vorgänge in Singapur und eine spezielle Form von Händlerkrediten. Während Letzteres unauffällig blieb und in Singapur nur längst bekannte Fehler gefunden wurden, hatte es der Bericht zu Indien und dem Drittpartnergeschäft in sich. Nicht, weil KPMG etwas gefunden hatte, sondern weil den Prüfern unter anderem Daten, Belege und Nachweise fehlten.

Bilanzvorlage auf 4. Juni verschoben

Im Zusammenhang mit dem Indien-Geschäft gelang es auch den Sonderprüfern nicht, den wirtschaftlich Berechtigten eines Fonds auf Mauritius zu identifizieren, von dem Wirecard einst seine heutige Indien-Tochter erworben hatte. Der Fonds hatte die Firma kurz zuvor für 37 Millionen Euro gekauft und dann für 340 Millionen Euro an Wirecard weiterveräußert. Auch das Geschäft mit Drittanbietern bleibt undurchsichtig: Über diese Firmen wickelt Wirecard dort Zahlungen ab, wo der Konzern keine eigene Lizenz hat. Ob dieses Drittpartnergeschäft von 2016 bis 2018 so groß war wie angegeben, konnte KPMG nicht belegen, weil jene Drittpartner nicht mit den Prüfern kooperierten. Wirecard erklärt das mit Datenschutzvorschriften.

Den Jahresabschluss für 2019 will der Konzern nun am 4. Juni vorlegen, weil sich die Buchprüfer von EY noch mehr Zeit erbeten haben. Weil aber die Frist zur Vorlage des Jahresabschlusses am vergangenen Donnerstag abgelaufen ist, droht Wirecard jetzt ein Sanktionsverfahren der Frankfurter Wertpapierbörse, womöglich eine Geldstrafe - und mit Sicherheit neuer Ärger.

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SZ vom 05.05.2020
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