Süddeutsche Zeitung

Verbraucherschutz:So schützte der Verkehrsminister VW vor einer Sammelklage

Lesezeit: 2 Min.

Von Markus Balser, Klaus Ott, Katja Riedel

Der Einspruch, per Hand notiert, war kurz und rigoros. "Lehnen wir ab!!! Komplett streichen!" Mit wenigen Worten und gleich vier Ausrufezeichen machte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) deutlich, was er von der Idee hielt, deutschen Verbrauchern eine Art Sammelklage gegen Unternehmen zu ermöglichen. Nichts, aber auch gar nichts.

Das von Heiko Maas (SPD) geleitete Bundesjustizministerium hatte vor einem Jahr anlässlich des VW-Skandals begonnen, ein Gesetz über eine Musterklage auf den Weg zu bringen. Kunden sollen sich künftig gemeinsam gegen mangelhafte Produkte oder überhöhte Preise wehren und Schadenersatz fordern können. Doch als das Justizressort den Bundestag über dieses Vorhaben und andere Konsequenzen aus der Abgasaffäre von Volkswagen informieren wollte, schritt Dobrindt nach Recherchen von SZ, NDR und WDR ein.

Am 14. Dezember 2015 strich der Verkehrsminister anlässlich einer internen Abstimmung in der Regierung aus einem Entwurf des Justizressorts einfach alles heraus, was dort zur Musterklage stand. Als das Parlament am nächsten Tag den Regierungsbericht enthielt, fehlte das ursprünglich vorgesehene Kapitel "Prüfung der Einführung einer Musterfeststellungsklage". So heißt dieses Vorhaben im Juristendeutsch.

Dobrindts bislang öffentlich nicht bekannter Eingriff erklärt, warum beim Verbraucherschutz seither nichts mehr vorangegangen ist. Erst jetzt, nachdem Verbraucherverbände Druck machen und Medien das Thema aufgreifen, will das Justizministerium plötzlich doch einen Gesetzentwurf für eine Musterklage vorlegen, um zu testen, ob die Union weiter blockiert. Oder ob Fortschritte beim Verbraucherschutz vor der nächsten Bundestagswahl in knapp einem Jahr noch möglich sind. Jetzt sagt Dobrindt auf Anfrage auf einmal, er sei "offen" für eine Musterklage.

Bislang sind Kunden in Deutschland weitgehend auf sich alleine gestellt, wenn sie Produkte oder Preise bemängeln und Geld zurückfordern. Das gilt auch für die 2,4 Millionen Besitzer von VW-Fahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten. Mehrere Dutzend Volkswagen-Kunden klagen einzeln bei Gericht. Für einen Musterprozess, dem sich viele Verbraucher anschließen könnten, gibt es keine rechtliche Grundlage.

In den USA ist das anders. Dort sind Sammelklagen möglich. Mit dem Ergebnis, dass Konzerne oft Schadenersatz zahlen müssen; teilweise sogar in horrender Höhe. Die Abgasaffäre kostet VW in Übersee mehr als 15 Milliarden Euro. Soweit wiederum möchte es das Justizministerium gar nicht kommen lassen. "Wir werden vermeiden, dass spezialisierte Großkanzleien Sammelklagen allein aus eigenem Profitstreben ins Rollen bringen und Unternehmen, völlig unabhängig von der Rechtslage, zu sachwidrigen aber teuren Vergleichen zwingen." So hatte es Justiz-Staatssekretär Gerd Billen, Ex-Vorstand der deutschen Verbraucherzentrale, vor einem Jahr angekündigt.

Maas habe die Musterklage gar nicht wirklich gewollt

Für die Fachleute im Verkehrsministerium war dieses Vorhaben "nicht streitig". So steht das in E-Mails, die in der Regierung hin und her gingen. Doch Minister Dobrindt lehnte ab. Die Streichung sei "ohne Kommentar erfolgt", klagten Referenten im Justizressort. Auf Anfrage von SZ, NDR und WDR äußerte sich Dobrindt dazu. Ob Musterklagen ein gutes Instrument für den Verbraucherschutz seien, lasse sich noch nicht sagen. Bislang gebe es ja gar keinen Gesetzentwurf. "Wenn es ihn gibt, stehen wir dem offen gegenüber und werden prüfen, ob das machbar ist", so Dobrindt.

Im Verkehrsressort reicht man den schwarzen Peter zurück. Hätte Justizminister Maas die Musterklage wirklich gewollt, dann hätten er oder seine Staatssekretäre nach der Streichaktion vorstellig werden können. Das sei nicht geschehen, heißt es im Verkehrsministerium. In einer E-Mail aus dem Justizministerium von Ende 2015 steht, Maas werde mit Dobrindt "sicherlich nicht über einzelne Formulierungsvorschläge verhandeln wollen".

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Quelle:
SZ vom 19.10.2016
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