Süddeutsche Zeitung

Smart-Home-Dystopie:Wenn Google das Thermostat steuert

Lesezeit: 2 min

In Texas beschweren sich Smarthome-Besitzer über Thermostate, die während Stromknappheit ein Eigenleben entwickelt haben. Tatsächlich hatten die Nutzer Google erlaubt, ihre Geräte zu steuern - es war ihnen nur bislang nicht aufgefallen.

Von Max Muth

In einer der berühmtesten Szenen von Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" befiehlt Astronaut Dave dem Bordcomputer HAL, die Türen einer Raumkapsel zu öffnen. Doch die widerspenstige Maschine weigert sich: "Das kann ich nicht tun, Dave." Die Szene wird von Untergangsjüngern immer beschworen, wenn es darum geht, die bevorstehende Machtübernahme der Maschinen zu illustrieren. Ganz ähnlich wie Astronaut Dave dürften sich am Wochenende einige Stromkunden in Texas gefühlt haben, genauer gesagt jene, die ihr Haus mit einem smarten Thermostat, also einem mit dem Internet verbundenen Gerät, regulierten.

Ein Fernsehsender in Houston interviewte den aufgebrachten Bürger Brandon English, dessen Familie gut gekühlt bei vermutlich ortstypischen 70 Grad Fahrenheit (20 Grad Celsius) einschlummerte, und schwitzend bei rund 78 Grad Fahrenheit (26 Grad Celsius) aufwachte. Die geäußerte Sorge, das drei Monate alte Baby könnte bei solchen Temperaturen dehydrieren mag überzogen sein, die Wut des Stromkunden aber nachvollziehbar.

Während einer Hitzewelle, wie sie derzeit in Teilen der USA herrscht, die Kontrolle über die Temperaturen im eigenen Haus behalten zu wollen, ist kein völlig utopischer Anspruch. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass Herr English für die Misere seiner Familie selbst verantwortlich war. Er hatte im Zuge eines Preisausschreibens eingewilligt, an einem Stromsparprogramm mit dem Namen "Smart Savers Texas" teilzunehmen, das mit Thermostat-Herstellern wie Google und Amazon zusammenarbeitet.

Ein Kunde von Googles Thermostat "Nest" teilte seine Erfahrung via Tiktok: Während einer von den Anbietern definierten mehrstündigen "Energy Rush Hour" konnte er die Temperatur seines Hauses nicht manuell herunterkühlen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Verschwörung der Maschinen sondern um menschliche Absicht. Die "Smart Saver" stimmen gegen die Teilnahme an einem Gewinnspiel zu, dass Google und Amazon im Fall von Stromknappheit an ihren Thermostaten schrauben.

Schon im Winter war das texanische Stromnetz in die Schlagzeilen geraten

In der vergangenen Woche war das notwendig geworden - wieder einmal. Schon vor einigen Monaten war das texanische Stromnetz unrühmlich in die Schlagzeilen geraten. Die örtlichen Stromlieferanten hatten damals nach Kraftwerksausfällen während einer Kältewelle große Probleme, die Häuser der Texaner zu heizen. Es kam zu tagelangen Stromausfällen und danach zu kontrollierten Ausfällen, bis alles wieder lief. Über hundert Texaner starben, die meisten von ihnen erfroren. Der texanische Gouverneur beschwor damals, alles zu tun, um das marode Stromnetz krisenfester zu machen. Peinlich nun, dass die Netze schon wieder über Gebühr beansprucht wurden, diesmal jedoch aus entgegengesetzten Ursachen.

Hintergrund ist die historische Entscheidung der Texaner, ihr Stromnetz vom Rest der USA zu entkoppeln, sodass bei Stromknappheit Produzenten außerhalb des Bundesstaats nicht aushelfen können. Viele Stromproduzenten hielten es zudem für unnötig, ihre Kraftwerke gegen unwahrscheinliche Events wie Kältewellen in Texas abzusichern. Hitzewellen dagegen sind in Texas erwartbar. Der Energieaufsichtsbehörde ERCOT zufolge wurde der Strom knapp, da vergangene Woche rund drei mal so viel Energie wegen Reparaturen der Kraftwerke nicht zur Verfügung stand wie gewöhnlich. Zudem ist der Stromverbrauch im Bundesstaat erneut gestiegen, weil immer mehr Menschen nach Texas ziehen und die Wirtschaft boomt.

Programme wie "Smart Saver Texas" sind deshalb eigentlich eine schlaue Sache. Klimaanlagen in Privathäusern, die in den USA in jedem Haushalt eingesetzt werden, sind Stromfresser. ERCOT zufolge kann jedes Grad weniger den Verbrauch der Geräte um sechs bis acht Prozent senken. Immer mehr Texaner setzen zudem auf smarte Geräte, so dass ein Programm wie "Smart Saver" echte Einsparungen bringen kann. Zumindest theoretisch. Brandon English hat das Programm nach dem Schreck der vergangenen Woche direkt wieder abbestellt - Preisausschreiben hin oder her.

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