Süddeutsche Zeitung

20 Jahre Euro-Bargeld:Ein Pakt, der zu ändern ist

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Der Stabilitätspakt soll sicherstellen, dass sich die EU-Staaten mit der Gemeinschaftswährung nicht zu sehr verschulden. Jetzt soll er reformiert werden - mal wieder.

Von Björn Finke, Brüssel

Pacta sunt servanda, heißt es auf Lateinisch, Verträge oder Pakte sind einzuhalten. Mit Blick auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU wäre aber Pacta sunt mutanda passender: Pakte sind zu ändern. Denn EU-Regierungen missachten immer wieder Geist oder Buchstaben dieses Regelwerks für solides Haushalten. Zugleich fordert nahezu immer irgendeine Regierung Änderungen. Und tatsächlich wurde der Pakt seit der Einführung 1997 im Vertrag von Amsterdam mehrmals angepasst. Im Oktober stieß die EU-Kommission eine neue Reformdebatte an. Vorschläge werden bis zum Sommer erwartet.

Wichtigste Vorgaben des Pakts sind die Obergrenzen für das jährliche Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung sowie die Zielmarke für die Gesamtverschuldung des Staats von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wegen der Pandemie hat die Kommission die Vorschriften ausgesetzt, damit Regierungen die Wirtschaft ungehemmt stützen können. Anfang 2023 soll der Pakt allerdings wieder in Kraft treten, und Prognosen zufolge werden in dem Jahr nur sieben von 19 Euro-Staaten die 60-Prozent-Marke einhalten können und lediglich elf Regierungen die Drei-Prozent-Grenze. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire bezeichnet das 60-Prozent-Ziel daher schon als "obsolet". Außerdem dringen Paris und Rom darauf, bei der Berechnung des jährlichen Defizits bestimmte Investitionen nicht mitzuzählen. Solche Ausnahmen lehnt aber zum Beispiel Österreichs Regierung vehement ab. Wie sich FDP-Finanzminister Christian Lindner positioniert, wird gespannt erwartet.

Die Marken von 60 Prozent und drei Prozent sind älter als der Pakt. Sie wurden schon 1992 im Vertrag von Maastricht etabliert. Wer bei der Euro-Einführung dabei sein wollte, musste sie erfüllen. Der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU), einer der Väter des Euro, wie es immer so schön heißt, drängte dann darauf, festzuschreiben, dass Staaten diese Obergrenzen auch nach Start des Euro beachten müssen - die Geburt des Stabilitätspakts. Bei Verstößen drohen sogar Geldstrafen, wozu es freilich nie gekommen ist. Die Logik hinter der Vereinbarung: Wenn Staaten eine Währung teilen, ohne dass es eine gemeinsame Finanzpolitik gibt, kann das Probleme bereiten. Der Pakt soll zumindest vermeiden, dass Regierungen überbordende Schulden anhäufen, weil dies die Stabilität des Euro gefährdet.

Ironischerweise hat aber ausgerechnet die Bundesregierung die Glaubwürdigkeit des Pakts schnell untergraben, schon wenige Jahre nach Waigels Abtritt. So verhinderte der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder Anfang 2002, nur Wochen nach Verteilung des Euro-Bargelds, dass die Kommission Deutschland wegen eines zu hohen Defizits einen blauen Brief schickt. Die Bundesregierung organisierte eine Sperrminorität im Ministerrat gegen so eine Verwarnung und beschädigte damit den Ruf der Kommission als ernst zu nehmende Schuldenkontrolleurin. Drei Jahre später setzten Deutschland und Frankreich zudem eine Aufweichung der Regeln durch, gegen den erbitterten Widerstand kleinerer, sparsam gesinnter Staaten wie Österreich und die Niederlande.

Juncker schonte Frankreich - sehr zum Ärger kleinerer EU-Staaten

In den Jahren 2011 und 2013 verschärften die EU-Staaten den Pakt aber wieder - eine Lehre aus der Staatsschulden-Krise, während der sogar ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone im Raum stand. Trotzdem ist die Bilanz des Regelwerks gemischt. Zwar hielten vor der Pandemie die allermeisten Staaten die Drei-Prozent-Grenze fürs Defizit ein, doch zahlreiche Staaten versäumten es, während der Aufschwungjahre ihre Schuldenberge kräftig abzutragen, wie es der Pakt eigentlich vorsieht. Als die 60-Prozent-Grenze etabliert wurde, war dies auch in etwa der Durchschnittswert des Schuldenstands. Das ist längst Geschichte: Vor der Pandemie lag die Gesamtverschuldung der 19 Euro-Staaten bei 86 Prozent, 2023 soll sie 97 Prozent betragen. In Portugal, Spanien, Belgien und Frankreich ist diese Quote ungefähr doppelt so hoch wie die 60 Prozent aus dem Regelwerk; in Italien sollen es 2023 bedrückende 151 Prozent sein, in Griechenland 192 Prozent.

Ein weiteres Problem ist, dass Regierungen, wenn sie denn sparen, vor allem die Investitionen kappen anstatt bei Renten und dem öffentlichen Dienst. Und bröckelnde Autobahnbrücken, marode Schienenwege und langsame Datenleitungen belasten dann wiederum das Wirtschaftswachstum. Daneben muss sich die Kommission des Vorwurfs erwehren, sich bei der Anwendung des Pakts zu sehr von politischen Erwägungen lenken zu lassen. Der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker antwortete 2016 in einem Fernsehinterview auf die Frage, wieso Frankreich ungestraft zu hohe Schulden ausweisen darf, völlig unverblümt: "Parce que c'est la France" - weil es Frankreich ist. Die Aussage kam bei kleineren Euro-Staaten gar nicht gut an. Bei Italien drückte die Behörde auch gerne ein Auge zu, bis 2018 eine EU-skeptische, populistische Regierung an die Macht kam. Da gab sich die Kommission auf einmal hart und verlangte, den Haushaltsplan für 2019 zu überarbeiten.

Sind grüne Schulden besser?

Bei der im Oktober angestoßenen Reformdebatte geht es darum, die komplizierten Regeln des Pakts einfacher und nachvollziehbarer zu gestalten. Außerdem werden Kommission und Regierungen über das 60-Prozent-Ziel diskutieren müssen. Staaten, die darüber liegen, haben nach den bisherigen Vorschriften nur zwanzig Jahre, um die Marke zu erreichen. Das verlangt aber zum Beispiel von Italien völlig illusorische Haushaltsüberschüsse. Ein Konzept, dem gute Chancen eingeräumt werden, lautet, dass die Kommission mit den einzelnen Regierungen stattdessen individuelle Pfade zum Schuldenabbau vereinbaren sollte.

Hoch umstritten ist die von Italien und Frankreich beworbene Idee, bei der Berechnung des jährlichen Haushaltsdefizits Investitionen in Klimaschutz nachsichtiger zu behandeln. Zwar ist klar, dass die Mitgliedstaaten massiv in Klimaschutz und Digitalisierung investieren müssen, um die hehren Ziele der EU zu erfüllen. Genauso klar ist jedoch, dass solche Ausnahmen den Pakt noch komplexer und schwerer durchsetzbar machen würden. Deshalb wird auch diesmal gelten: Nach der Reform ist vor der Reform.

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