Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Das Klima schert sich nicht um Bundesland-Bilanzen

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In Sachen CO₂ wetteifern Söder und Laschet mit Prozentzahlen und wohlfeilen Appellen. Doch was zählt, ist ein Gesamtsystem mit viel mehr Ökostrom. Dem stehen die Länder allzu oft im Weg.

Von Benedikt Müller-Arnold

In Sachen Klimaschutz führen Deutschlands größte Bundesländer einen Überbietungswettkampf auf, der keinem weiterhilft. Jüngstes Beispiel: Markus Söder, dessen CSU im Bund seit 16 Jahren an der Regierung beteiligt ist. Man müsse "deutlich einen Zahn zulegen", sagte der bayerische Ministerpräsident nun auf dem SZ-Nachhaltigkeitskongress, forderte etwa einen rascheren Kohleausstieg: "2030 wäre ein wichtiges Signal." Das sagt sich leicht, wenn man keine Tagebaue und kaum Kohlekraft in Bayern hat: Die Zeche sollen die anderen zahlen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet beherrscht das Spiel genauso. Kein anderes Bundesland habe den CO₂-Ausstoß seit 1990 so deutlich gesenkt wie seines, prahlt der Kanzlerkandidat der Union bei jeder denkbaren Gelegenheit. Die Botschaft: Das sollen andere erst mal nachmachen. Dabei unterschlägt Laschet gern, auf welch hohem Niveau das Land von Kohle und Stahl noch immer rangiert. Und jeder Kraftwerksblock, der gegen staatliche Entschädigung vom Netz geht, verbessert die Bilanz beträchtlich.

Der Kampf mit retrospektiven Prozenten und wohlfeilen Forderungen ist doppelt daneben. Er übersieht, dass die Energiewende nur im Gesamtsystem von der Nordsee bis zum Alpenrand gelingen kann. Und statt immer nur übers Abschalten zu reden, sollte der Wettbewerb besser darin bestehen, wer schneller Alternativen zur fossilen Energie aufbaut, damit Deutschland seine Klima-Versprechen einhalten kann. Da haben beide Länder Nachholbedarf.

Wer im Land die Windkraft ausbremst, kann im Bund nicht glaubwürdig mehr Tempo fordern

Deutschland kommt aus einer Epoche, in der große Kohlemeiler im Westen und Osten sowie Atomkraftwerke die Menschen und die Industrie versorgt haben. Doch längst hat eine Zeit begonnen, die auf Windräder vor allem im Norden sowie - wo immer sinnvoll - auf Solar, Wasserkraft und Biomasse setzt. Dieses System benötigt Speicher für Phasen, in denen weder Wind weht, noch die Sonne scheint. Und es sind mehr Leitungen nötig, die Strom vor allem von Nord nach Süd transportieren.

Hinzu kommt, dass Deutschland künftig mehr Strom brauchen wird: Elektroautos ersetzen Verbrenner, Wärmepumpen lösen Ölheizungen ab. Branchen wie die Chemieindustrie sichern sich viel Windstrom für neue Prozesse, die kein Erdgas mehr brauchen. Freilich wird Deutschland auch in Zukunft Energie importieren müssen, etwa in Form von "grünem" Wasserstoff. Aber das sollte keine Ausrede sein, nicht möglichst viel Potenzial im Inland zu nutzen.

Da ist es gerade kein gutes Zeichen, dass neue Windräder in Bayern grundsätzlich zehnmal so weit von der nächsten Wohnbebauung entfernt stehen müssen, wie die Anlage hoch ist. Da ist es misslich, dass zusätzliche Windräder in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich einen Kilometer Abstand zu Wohnhäusern halten müssen. Solche Vorgaben zerstören Potenziale. Wer sie auf Landesebene beschließt, kann nicht glaubwürdig mehr Tempo im Bund einfordern.

Genau der umgekehrte Wettbewerb ist nötig: Länder sollten es so einfach wie möglich machen, ältere Windräder an bestehenden Standorten zu erneuern. Für Gemeinden und Anwohner sollten Windanlagen in der Nähe ein spürbar lohnendes Geschäft sein. Akzeptanz lässt sich ja nicht verordnen, sie erwächst lokal und individuell. Zudem sollte es für Privatleute und Firmen so attraktiv wie möglich sein, Solarzellen zu installieren, wo es energetisch sinnvoll ist. Da sollte die öffentliche Hand auf eigenen Grundstücken vorangehen.

Die Energiewende ist eine Zumutung für die gesamte Gesellschaft, aber sie ist ohne verantwortbare Alternative. Sie gelingt nicht, indem Landesväter Prozentzahlen vergleichen oder Lasten von Region zu Region verschieben. Sie gelingt nur, indem alle Akteure ihren Beitrag zu einem klimaneutralen Gesamtsystem leisten.

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