Süddeutsche Zeitung

Russisch-europäisches Verhältnis:Putin und seine Freunde

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Beim SZ-Führungstreffen entwerfen der russische Ministerpräsident Wladimir Putin und die Elite der deutschen Wirtschaft eine Vision für Europa und den Euro. Doch zugleich kritisiert Putin den Umgang mit russischen Investoren - und witzelt über seine eigenen Gouverneure.

Markus Balser und Martin Hesse

Am Ende scherzten sie und lobten einander immer wieder - ganz so, als könne nichts die deutsch-russische Freundschaft zerstören. Es war eine Charme-Offensive der besonderen Art, mit der der russische Ministerpräsident Wladimir Putin im Berliner Hotel Adlon Deutschlands Manager umgarnte, als er mit ihnen über Russlands Zukunft in Europas diskutierte.

Putin lobte VW-Chef Martin Winterkorn, weil der in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten ein Montagewerk in Russland gebaut habe. Er dankte Peter Löscher, weil sein Siemens-Konzern mit Russland eine enge Atompartnerschaft eingehe. Und er hofierte Josef Ackermann, indem er sich bei dessen Dauerzank mit der Bundesregierung auf die Seite des Deutsche-Bank-Chefs schlug. "Es hat mich sehr beeindruckt, dass er ohne Staatshilfe durch die Krise gekommen ist."

Putin wusste genau, wie er dem Ego der Manager, die er als seine Freunde bezeichnete, schmeicheln konnte. Und die Wirtschaftselite Deutschlands spielte gerne mit. "Wir sind in Russland zu Hause", flötete Siemens-Chef Peter Löscher.

"Russland ist ein klares Beispiel dafür, wie die Schwellenländer der Weltwirtschaft in der Krise neue Wachstumsimpulse gegeben haben."

Gut 24 Stunden weilte der russische Ministerpräsident am Donnerstag und Freitag in Berlin; er traf Gerhard Schröder zum Abendessen und tauschte sich erstmals seit langem wieder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aus. Doch im Mittelpunkt seines Arbeitsbesuchs in Berlin stand der Auftritt im Hotel Adlon. Fast zwei Stunden nahm er sich Zeit für seine Rede und die anschließende Diskussion mit Deutschlands Top-Managern, während draußen 1400 Polizisten für seine Sicherheit sorgten - so viele, wie bei keinem anderen internationalen Besucher außer dem US-Präsidenten.

Bei seinem Auftritt im Adlon warb Putin für sein Ziel einer gemeinsamen Wirtschaftsallianz zwischen Russland und Europa. Putins Vorstoß kam nur wenige Tage nach dem Nato-Russland-Gipfel am vergangenen Wochenende, bei dem die Allianz und Kreml-Chef Dmitrij Medwedew demonstrativ die alte Feindschaft beendeten. Sogar in der Wortwahl erinnert Putins Vision eines Wirtschaftspaktes von "Lissabon bis Wladiwostok" an Medwedews Vorschlag einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur von "Wladiwostok bis Vancouver".

Am Freitag gingen Putin und die Manager noch einen Schritt weiter. Gemeinsam beschworen sie, wie wichtig es sei, dass Russland und Deutschland sich einander auch in Wirtschafts- und sogar in Währungsfragen annäherten. "Wir brauchen eine neue Multipolarität im Währungssystem", sagte Putin. "Wir müssen von einem übermäßigen Dollar-Monopol abrücken, das die Weltwirtschaft unausgewogen und verwundbar gemacht hat. Ich glaube, dass Amerika die Probleme nicht mit Gelddrucken lösen kann." Fast schien es, der Gast aus Moskau wolle sich über die Probleme der Supermacht USA lustig machen, er erinnerte an das römische Reich, das 500 Jahre Stagnation erlebt habe. Dann wieder pries er die Überlebensfähigkeit der Amerikaner.

Wichtiger aber war Putin eine andere Botschaft: Der Euro sei als Gegengewicht zum Dollar wichtig für die Weltwirtschaft. Er könne sich auch vorstellen, dass Russland eines Tages Teil eines gemeinsamen europäischen Währungsraums werde, sagte Putin. Schon jetzt versuche sich Russland vom Dollar zu lösen. Drei Tagen zuvor hatte Moskau mit China vereinbart, künftig mehr Handelsgeschäfte untereinander in Rubel und Yuan abzurechnen, die früher in Dollar abgeschlossen wurden. Das sei auch eine Reaktion auf die Probleme Amerikas, sagte Putin nun. Er halte es für möglich und wünschenswert, den Handel mit Europa verstärkt in Euro abzuwickeln, bis hin zu Energiegeschäften.

Merkel hatte am Donnerstag Putins Idee, eine Freihandelszone zwischen der EU und Russland zu schaffen, recht zurückhaltend kommentiert und auf neue Zollschranken verwiesen, die Russland zuletzt errichtet habe. Putin widersprach dem am Freitag. "Es muss zu einer Annäherung kommen. Das ist im Interesse beider Seiten." Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise habe daran erinnert, wie sehr die einzelnen Staaten voneinander abhängig seien. Erstmals konkretisierte Putin mögliche Formen der Partnerschaft. Sein Land sei offen für einen gemeinsamen Markt mit der Europäischen Union, aber auch für eine assoziierte Partnerschaft mit Brüssel.

Beim Auftritt mit Siemens-Chef Löscher, Deutsche-Bank-Chef Ackermann, VW-Boss Winterkorn und dem Familienunternehmer Nikolaus Wilhelm Knauf wurde klar: Die deutsche Wirtschaft befürwortet eine stärkere Bindung Russlands an die EU. Zwar scherzte Ackermann, er müsse vorsichtig sein, damit es nicht wieder heiße, er verstehe sich nicht mit Merkel. Dann ließ er sich aber doch zu einem flammenden Plädoyer für eine europäisch-russische Annäherung hinreißen und genoss es sichtlich, wieder einmal Staatsmann sein zu dürfen.

Ackermann begrüßte den Vorschlag Putins: "Es liegt in unserem ureigensten Interesse, dass Russland eines Tages Teil eines gemeinsamen Währungsraumes wird. Wir haben zwei große Kriege gehabt, mit Millionen von Toten. Heute vergessen wir diese Dimensionen und streiten um Kleinigkeiten." Es sei an der Zeit, der historischen Bedeutung wieder gerecht zu werden. Die Bürger brauchten Europa, und Europa brauche Russland. "Daher müssen wir diese Pläne mit ganz offenem Geist und Enthusiasmus unterstützen, was dazu beiträgt, Barrieren zu überwinden", sagte Ackermann.

Die Manager ließen erkennen, dass sie vor allem aus wirtschaftlichen Motiven um Putins Gunst buhlten. "Die Chancen in Russland sind riesengroß", sagte VW-Chef Winterkorn. Siemens-Chef Löscher sagte, er habe Putin im Februar 2009 in Moskau getroffen. "Da haben wir vereinbart, dass wir gerade jetzt strategische Partnerschaften schließen müssen."

Putin räumte ein, dass es in Russland erhebliche Probleme gebe. Dazu gehörten etwa zu hohe bürokratische Hürden, über die auch deutsche Firmen klagten. "Ja, die Großen haben es vielleicht leichter, in Russland Fuß zu fassen, weil sie direkten Zugang zur politischen Führung haben." Aber russische Politiker würden auch den Kleinen helfen, bürokratische Hemmnisse zu überwinden. Der Gouverneur von Kaluga gebe allen möglichen Investoren seine Handy-Nummer. "Es ruft zwar keiner an, aber die Beamten sind trotzdem neidisch", witzelte Putin. Russische Investoren hätten in der EU aber viel mehr Probleme als europäische Investoren in Russland. "Wir müssen die Sackgasse in eine Zweibahnstraße verwandeln", sagte Putin. Er verwies auf die gescheiterte Übernahme des Autobauers Opel durch den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna und die russische Sberbank. Russischen Investoren werde "die Tür einfach verschlossen".

Nach der Diskussion vor 300 Gästen aus Wirtschaft und Politik entschwand Putin in einem der Hinterzimmer im Adlon und speiste dort noch über zwei Stunden lang mit zwei Dutzend Mitgliedern des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, darunter Vorstandsvorsitzende wie Dieter Zetsche (Daimler), Eckhard Cordes (Metro), Johannes Teyssen (Eon) und Jürgen Geißinger (Schaeffler), um sich über deren Pläne und Nöte in Russland zu informieren. Mit dabei auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Geladen zu der Runde hatte Klaus Mangold, der scheidende Vorsitzende des Ostausschusses. Das Essen allerdings, welches den Bossen serviert wurde, hatte Putin höchstselbst ausgesucht: Es gab Nürnberger Rostbratwürste mit Sauerkraut.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2010
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