Süddeutsche Zeitung

Griechenland:"Alle sind zum Stillschweigen verurteilt"

Lesezeit: 3 min

Von Christiane Schlötzer, München

Am Dienstagvormittag, als sich alle Augen nach einer langen Nacht in Berlin gerade wieder auf Athen richteten, twitterte der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis unter dem Titel "Ideal Money" ein Gespräch, das er schon im Juni 2000 mit dem gerade verstorbenen Spieltheoretiker John Nash Jr. geführt hatte. Das wirkte doch etwas aus der Zeit gefallen. Zumal Premier Alexis Tsipras etwa zur gleichen Zeit mit der Mitteilung überraschte, man habe "in der vergangenen Nacht den internationalen Kreditgebern einen kompletten Plan" mit "realistischen" Reformvorschlägen übermittelt. Der Ball, so die Botschaft von Tsipras, liege nun wieder im Feld der Gläubiger Griechenlands.

Alle griechischen Radios verbreiteten sofort die Neuigkeit aus dem Mund von Tsipras, die offenbar auch dazu gedacht war, die Kakofonie in der eigenen Linkspartei zu übertönen. Denn unmittelbar zuvor hatten schon mehrere Syriza-Größen, darunter zwei Minister in jedes nur verfügbare Mikrofon gesagt, dass man sich aus Berlin "keine Ultimaten" stellen lasse, dass es "Neuwahlen" geben müsse, wenn das "Abkommen schlecht für die Regierung, die Bevölkerung und das Land ist".

Details über den neuen, angeblich mehr als 40 Seiten umfassenden Tsipras-Plan blieben zunächst im Nebel. "Alle sind zum Stillschweigen verurteilt", sagte ein Tsipras-Berater der Süddeutschen Zeitung. Er verwies zudem auf einen langen Artikel des Premiers, der am Wochenende in Le Monde erschienen war. Daran fänden sich die Grundzüge des Papiers.

In dem Text deutet Tsipras in der besonders strittigen Frage einer Rentenreform Kompromissbereitschaft an, vor allem, was die Frührenten betrifft. Gleichzeitig gibt der Regierungschef die Schuld für die Milliardenlöcher in der Sozialversicherung aber nicht nur seinen Vorgängern, sondern explizit auch der Troika aus EU, EZB und IWF. Die Kreditgeber hätten mit dem von ihnen erzwungenen ersten Schuldenschnitt für die privaten Gläubiger Griechenlands 2012 dafür gesorgt, dass den Sozialkassen 25 Milliarden Euro fehlten (diese hatten viel Geld in Staatspapieren angelegt und wurden damals wie "Privatleute" behandelt). Zudem sei die Sparpolitik der Troika "fast ausschließlich" für die hohe Arbeitslosigkeit im Land verantwortlich, die auch noch die Kassen leerte.

Tsipras macht in dem Artikel auch klar, wo "rote Linien" für seine Partei liegen: im Streit um Arbeitnehmerrechte. Die Regierung möchte die Tarifautonomie im Land wiederherstellen, die zuletzt praktisch ausgesetzt wurde. Wenn die Geldgeber das Gegenteil verlangten, stünden sie "gegen europäische Standards".

"Die Mehrheit im Parlament ist sicher"

Der neue Vorschlag aus Athen enthält angeblich auch Konkretes zur Vereinheitlichung der zersplitterten Mehrwertsteuersätze, sowie die Idee einer Luxussteuer auf spezielle Güter. Wo die "Zugeständnisse" liegen, die Tsipras am Dienstag "schwierig" nannte, war zunächst nicht genau zu erkennen. Die Regierung aber setzt nun offenbar auf eine Einigung mit den Geldgebern in letzter Minute, um einen Staatsbankrott noch zu vermeiden. Tsipras muss für ein Reformpaket allerdings auch seine Partei gewinnen.

"Die Mehrheit im Parlament ist sicher", sagte der Tsipras-Vertraute Theodoros Paraskevopoulos am Dienstag zur SZ. Erst am Montag aber musste die Regierung nach einem Aufstand in den eigenen Reihen eine wichtige Personalie wieder kassieren. Varoufakis hatte die Ökonomin Elena Panaritis als neue griechische Vertreterin beim Internationalen Währungsfonds, dem IWF, vorgeschlagen. Der bisherige IWF-Mann Athens hatte resigniert, nachdem ihn Varoufakis bei seinen Treffen mit IWF-Chefin Christine Lagarde in Washington im April vor der Tür gelassen hatte. Varoufakis hatte Panaritis wiederum auch in seinem eigenen Verhandlungsteam.

Gegen den Aufstieg der Griechin protestierten aber schließlich 43 Syriza-Abgeordnete, darunter Fraktionschef Nikos Filis, in einem gemeinsamen Brief. Der Grund: Die Frau gehörte der einstigen sozialistischen Regierungspartei Pasok an und hatte als Abgeordnete für beide "Memoranden" gestimmt, also die zwei Vereinbarungen der Vorgängerregierungen mit der Troika. Am Montagnachmittag zog Panaritis ihre Bewerbung um den Washingtoner Spitzenposten zurück. Unklar blieb, ob die Personalie ein neuer Alleingang von Varoufakis war, oder ob sich dieser mit Tsipras abgesprochen hatte.

Das lange Abwarten, wie es in Griechenland weitergeht, vertieft die Krise noch. Die griechische Industrie ist im Mai den neunten Monat in Folge geschrumpft. Nach einer Umfrage, die am Dienstag veröffentlicht wurde, sank vor allem die Nachfrage aus dem Ausland nach griechischen Waren. Die Firmen drosselten die Produktion und strichen weitere Jobs. Die Unsicherheit hat sich wie Mehltau auf das Land gelegt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2504334
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.06.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.