Süddeutsche Zeitung

Unterhaltung:Netflix muss sich neu erfinden - schon wieder

Lesezeit: 3 min

Der weltweit größte Streaming-Dienst ändert einmal mehr seine Strategie. Doch ob das neue Billig-Abo wirklich die Wende einleiten kann, ist fraglich. Die Risiken sind groß, die Konkurrenten stark.

Von Caspar Busse

Vor 25 Jahren gründet Reed Hastings mit einem Partner in Kalifornien einen DVD-Versand, zwei Jahre später kann man die Scheiben auch online bestellen, dann wird ein Abosystem eingeführt. 2007 wechselt Hastings radikal das Geschäftsmodell: Bald wird aus dem DVD-Versender ein weltweit tätiger Streaming-Dienst, der seine Filme und Serien online zum Kunden bringt - mit derzeit 220 Millionen zahlenden Abonnenten weltweit.

Jetzt steht Netflix vor einer neuen, wieder sehr grundlegenden Wendung: Von November an führt das US-Unternehmen in seinen zwölf wichtigsten Märkten ein deutlich günstigeres Abo ein, dafür werden die Serien und Filme künftig von Werbeclips unterbrochen, bis zu fünf Minuten in jeder Stunde. Dabei war Hastings immer begeistert von der Idee, ein abofinanziertes und exklusives Programm ganz ohne Werbung anzubieten. Schauen, was und wo man will, ohne nervende Unterbrechungen und jederzeit kündbar - das war das Konzept, mit dem sich Netflix auch von den Fernsehsendern abheben wollte. Genau damit wurde das Unternehmen groß und erfolgreich. Das war das Markenzeichen.

Jetzt also die Kehrtwende, die Geschäftsidee wird wieder geändert - aber wird das zum Erfolg führen?

"Wir sind noch früh dran, aber wir sind schon zufrieden mit dem Interesse, sowohl der Abonnenten als auch der Werbeindustrie", sagt Greg Peters, im Netflix-Vorstand für das operative Geschäft zuständig. Netflix führt das neue Angebot neben Deutschland auch in Australien, Brasilien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Korea, Mexiko, Spanien, Großbritannien und den USA ein. Weitere Länder sollen folgen. In Deutschland wird das neue Angebot knapp fünf Euro im Monat kosten (derzeit ist das Basisabo für acht Euro zu haben, das Standardabo ab 13 Euro). Die neuen Preise sind weltweit unterschiedlich und teilweise höher als in Deutschland. In den USA wird das Werbe-Abo beispielsweise für sieben Dollar angeboten. Höhere Bildqualität, die Nutzung auf mehreren Bildschirmen und die Möglichkeit für Downloads sind mit dem neuen Abo nicht möglich.

Der große Hype bei Netflix ist erst mal vorbei

Fest steht, dass es bei Netflix zuletzt nicht mehr gut gelaufen ist. Die Zahl der Abonnenten steigt nicht mehr, sondern sinkt sogar, wenn auch nur leicht. Die Aktie ist in diesem Jahr um mehr als 60 Prozent gesunken, der große Hype ist vorbei. Dabei war es in den Jahren davor immer nur aufwärts gegangen, die Kundenzahl ging immer weiter nach oben, es wurde Gewinn gemacht. Netflix investierte sehr viel Geld in eigene Serien und Filme und räumte auch internationale Preise ab. "Haus des Geldes" aus Spanien oder "Squid Game" aus Südkorea sind nur einige Beispiele, für die Netflix steht.

Doch mittlerweile ist die Konkurrenz immer schärfer geworden. Amazon Prime und Disney plus sind nahe an Netflix herangerückt. In Deutschland haben die großen Privatsender eigene Streaming-Dienste aufgebaut - Pro Sieben Sat 1 mit Joyn, RTL mit RTL plus und ziehen damit auch Netflix-Kunden an. Dazu kommen Anbieter wie Sky, dessen Streaming-Angebot jetzt Wow heißt, und der Sportanbieter Dazn. Die Auswahl ist inzwischen unübersichtlich. Gleichzeitig werden angesichts von Wirtschaftsabschwung, Energiekrise und hoher Inflation die Budgets der Verbraucher kleiner.

Die Beratungsfirma Deloitte hat gerade in einer internationalen Untersuchung festgestellt, dass sich das Wachstum im hart umkämpften Streaming-Markt verlangsame. Für die Anbieter rückten deshalb Streaming-Angebote mit Werbung in den Fokus, "um mit günstigeren oder sogar kostenfreien Einstiegsmöglichkeiten neue Anreize zu schaffen". Das sei in den USA und in Asien schon erprobt. "In Deutschland können sich 31 Prozent der Befragten den Einstieg ins Streamen mit Werbeunterbrechung vorstellen, wobei die Bereitschaft in den jüngeren Alterssegmenten besonders hoch ist", so die Untersuchung.

Genau darauf hofft Netflix. Die Werbeindustrie soll damit gelockt werden, dass die Clips zielgruppengerecht geschaltet werden können. Diejenigen, die sich die Kultserie "The Crown" über die Intrigen im britischen Königshaus anschauen, sehen etwas anderes als die Fans von Action- oder Fantasyfilmen. Streuverluste, wie sie von Werbekunden etwa im frei empfangbaren Fernsehen beklagt werden, sind dann geringer. Experten gehen davon aus, dass Netflix hohe Einnahmen erzielen kann. Zudem können mit dem Billig-Abo auch diejenigen gewonnen werden, die bisher mit dem Abo eines anderen mitschauen.

Auf der anderen Seite ist aber auch das Risiko groß. So geht zum einen das unverwechselbare Markenkennzeichen verloren, Netflix wird zu einem von vielen Streaming-Anbietern. Zudem könnte sich Netflix die Kunden selbst wegnehmen. Gerade jüngere Abonnenten und solche, die in der Krise auf den Preis achten, würden dann in den günstigeren Tarif wechseln. Die Gesamtzahl der Kunden würde nicht wie erhofft deutlich steigen, dafür sinken die Einnahmen. Manche glauben sogar, dass der Streaming-Boom insgesamt an die Grenzen kommt. Netflix wird es zeigen.

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