Süddeutsche Zeitung

Gesetz zum Kohleausstieg:Wenn die Kohle fehlt

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Seit Jahrhunderten verbrennt die Menschheit sie. Früher, um zu Heizen. Heute vor allem, um Strom zu erzeugen. Bis 2038 soll damit nun Schluss sein in Deutschland. Und dann?

Von Philipp Bovermann und Benedikt Müller-Arnold

Zum Schluss wurde es doch noch knapp. Weil bei der Abstimmung zum Kohleausstieg im Bundestag keine klare Mehrheit sichtbar war, wurde per Hammelsprung gezählt. Das Ergebnis: Deutschland steigt - mit 314 zu 237 Stimmen - bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aus. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nennt es "die energiepolitisch wichtigste Entscheidung der letzten Jahre".

Wieso soll die Kohleverstromung enden?

Kohlekraftwerke sind die Anlagen mit dem größten CO₂-Ausstoß in Deutschland. Die gesamte Energiewirtschaft war zuletzt für 31 Prozent aller Treibhausgasemissionen hierzulande verantwortlich, so das Umweltbundesamt. Dabei schlagen Kohlemeiler besonders zu Buche: Pro Kilowattstunde stoßen sie deutlich mehr CO₂ aus als etwa Gaskraftwerke.

Hinzu kommt, dass der Abbau von Braunkohle massiv in die Landschaft eingreift. Beispielsweise lässt RWE im Rheinland fünf weitere Dörfer umsiedeln, damit der Tagebau Garzweiler voranschreiten kann. Der Konzern hatte auch lang darauf bestanden, den Hambacher Forst bei Köln abzuholzen. Nach heftigem Protest von Umweltschützern soll der Wald nun aber bleiben: Laut Ausstiegskompromiss muss RWE den Tagebau Hambach begrenzen.

Weshalb ist der Ausstieg so umstritten?

Auf der einen Seite geht er Umweltschützern nicht schnell genug. Das Gesetz komme zu spät und sei zu teuer, kritisiert Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er fordert Nachbesserungen nach der nächsten Bundestagswahl; Deutschland solle bis spätestens 2030 aus der Kohle aussteigen.

Auf der anderen Seite arbeiteten zuletzt noch gut 20 000 Menschen in Braunkohletagebauen und -kraftwerken, heißt es in der Statistik der Kohlewirtschaft - gut die Hälfte davon in Ostdeutschland. Hinzu kommen noch knapp 5000 Beschäftigte in der hiesigen Steinkohlewirtschaft.

Wofür sollen die Kohlekonzerne 4,35 Milliarden Euro Entschädigung erhalten?

Wegen der nun festgelegten Ausstiegsdaten müssen Konzerne wie RWE nach eigenem Bekunden mehr Geld für die Renaturierung der Tagebaue, für die Umbauten der Anlagen und für den Personalabbau ausgeben. Diese Kosten will der Staat erstatten; im Gegenzug verpflichten sich die Unternehmen, nicht gegen das Gesetz zu klagen. Über die genauen Beträge hat das Bundeswirtschaftsministerium lange mit ihnen verhandelt.

Dass das Ministerium nicht offengelegt hat, wie sich die Entschädigungen berechnen, ruft auch innerhalb der Koalition Kritik hervor. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch kündigt an, seine Partei werde "die Angemessenheit der Entschädigungen genau prüfen". Insbesondere eine Studie von Wirtschaftsprüfern wolle man sich genau anschauen, die das Ministerium in Auftrag gegeben hatte. Darin sollten die Prüfer kontrollieren, ob die Lausitzer Energie-AG (Leag) ihr Braunkohlegeschäft nun überhaupt früher einstellt - oder ob sie das auch ohne die Milliarden getan hätte. Am Donnerstag veröffentliche das Wirtschaftsministerium eine "Plausibilisierung" der Planung von Leag, in der dazu keine konkreten Aussagen stehen. Nach Ansicht des Freiburger Öko-Instituts könnten die Entschädigungen bis zu zwei Milliarden Euro zu hoch angesetzt sein. Die "Plausibilisierung" des Ministeriums geht gar von einem geringeren Kohlebedarf für die Restlaufzeit aus, als das Öko-Institut.

Das Gesetzespaket sieht zudem Fördermittel für Steinkohlemeiler vor, die auf Gas oder Biomasse umgerüstet werden.

Welche Meiler sollen wann vom Netz ?

Der Braunkohleausstieg folgt zwei Prinzipien: Er beginnt im Rheinland deutlich früher als im Osten - und kleinere, alte Meiler gehen vor moderneren Großkraftwerken vom Netz. Welche Steinkohlemeiler wann abgeschaltet werden, will der Staat hingegen per Ausschreibung bestimmen: Bis 2026 sollen Betreiber Entschädigungen erhalten, wenn sie Kraftwerke abschalten. Von 2027 an will der Bund keine Entschädigungen mehr für Steinkohlemeiler zahlen.

Hält sich die Regierung damit an die Empfehlungen der Kohlekommission?

Weil bei der Kohle so viele Interessen kollidieren, hatte der Bund eine Kommission aus Wirtschaft und Gewerkschaften, Umweltschützern, Wissenschaft und Politik eingesetzt. Diese einigte sich Anfang 2019 auf einen Abschlussbericht. Ein Teil der Mitglieder ist enttäuscht, wie die Regierung den Kompromiss nun umgesetzt hat.

Sie stört zum einen, dass in den 2020er-Jahren nur einige kleinere Blöcke vom Netz gehen sollen. Die Kommission hatte empfohlen, dass die Kohlekraftwerkskapazität stetig zurückgehen sollte. "Ich weiß, dass wir Hänger haben in der Mitte der Zwanzigerjahre", gestand Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Gegenzug, so der Plan, sollen in diesen Jahren aber mehr Steinkohlemeiler vom Netz gehen.

Zum anderen wollte die Kommission, dass keine weiteren Kohlekraftwerke hierzulande den Betrieb aufnehmen sollten. Dennoch ging im westfälischen Datteln Ende Mai ein großer, neuer Steinkohlemeiler ans Netz. Die frühere Chefin der Kohlekommission, Barbara Praetorius, sprach von einem "völlig falschen Signal". Bund und Land argumentieren hingegen, dass der Betreiber Uniper alle nötigen Genehmigungen und einen Anspruch darauf hat, das Kraftwerk zu betreiben. Dies zu verbieten, hätte dem Staat demnach etwa anderthalb Milliarden Euro an Entschädigungen gekostet. Immerhin hat Uniper angekündigt, als Kompensation einige ältere Meiler stillzulegen. Allerdings ist ein modernes und effizientes Kraftwerk wie Datteln 4 tendenziell besser ausgelastet als ältere Meiler.

Wie erzeugt Deutschland künftig Strom?

Kohlekraftwerke haben 2019 noch etwa 28 Prozent zum hiesigen Strommix beigetragen, so die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen. Der Anteil ging zuletzt deutlich zurück. Das liegt zum einen daran, dass Deutschland immer mehr Ökostrom produziert - dieser wird vorrangig eingespeist. Zum anderen sind CO₂-Emissionsrechte in der EU teurer geworden; dies geht zulasten der Kohlemeiler.

Freilich benötige Deutschland nun auch einen "Einstiegsplan", sagt Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist hierzulande zuletzt ins Stocken geraten. Deutschland braucht Netze, die Windstrom aus dem Norden in den Süden transportieren, sowie Speicher für Zeiten mit wenig Wind und Sonne. Doch vielerorts regt sich Widerstand gegen Windparks oder Trassen.

Das Ausstiegsgesetz sieht daher vor, dass Deutschland immer wieder prüft, ob die Versorgung sicher ist. Falls die Strompreise wegen des Kohleausstiegs steigen, hat der Bund Entlastungen angekündigt.

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SZ vom 04.07.2020
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