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Europapolitik:Was die Ampel-Koalition nun in Brüssel tun muss

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Der Koalitionsvertrag gibt hehre Ziele für die Europapolitik vor. Wichtiger ist jedoch, wie sich Deutschland bei ganz handfesten Streitfragen in Brüssel positioniert, etwa zum Stabilitätspakt. Hier bleiben die drei Parteien verdächtig vage.

Kommentar von Björn Finke

Auf die EU nimmt der deutsche Koalitionsvertrag an vielen Stellen Bezug, nicht nur im Unterkapitel Europa. Außerdem postuliert die Ampel-Koalition sehr hehre Ziele für die Europapolitik. Angestrebt wird die Weiterentwicklung hin zu einem europäischen Bundesstaat, in der gemeinsamen Außenpolitik der EU sollen Staaten ihr Veto verlieren, und die Konferenz zur Zukunft Europas - das sind Bürgerforen - soll in einen verfassungsgebenden Konvent münden. Offenbar will sich die rot-grün-gelbe Regierung unbedingt als Vorkämpferin für europäische Integration präsentieren. Doch ob Berlin wirklich in Brüssel Impulse setzen kann, entscheidet sich woanders: bei handfesteren Themen, die der Koalitionsvertrag manchmal verdächtig vage abhandelt.

Tatsächlich sind in dieser Vereinbarung die Worte zur Europapolitik umso mutiger, je geringer die Chance ist, dass die Regierung wirklich Taten folgen lassen muss. Die EU als Bundesstaat? Weit weg und nicht konsensfähig unter den 27 Staaten. Das ist vielleicht besser so, denn in Deutschland selbst würde der Vorstoß ebenfalls polarisieren. Ein verfassungsgebender Konvent und Änderungen an den europäischen Verträgen? Unwahrscheinlich, dass sich die anderen 26 hinter dieser Idee versammeln. EU-Außenpolitik ohne nationale Vetos? Viele Regierungen werden ihr Veto nicht aufgeben wollen. Dieser Vorschlag wäre im Übrigen auch für Deutschland heikel. Wenn die EU ihre Außenpolitik demnächst per Mehrheitsentscheid festlegen würde und nicht mehr einstimmig, könnte das zum Beispiel zu einem härteren Kurs gegen Israel führen - die besonderen Beziehungen der Bundesrepublik zu dem Staat wären gefährdet.

Deutlich folgenreicher als diese Ideen aus Wolkenkuckucksheim könnte die Passage zur "Europapolitischen Koordinierung" werden. Die drei Parteien geloben, sich enger abzustimmen, damit die Bundesregierung schnell und entschieden zu EU-Gesetzentwürfen und -Initiativen Position beziehen kann. Das wäre eine Abkehr vom unseligen German Vote: So wird in Brüssel das Phänomen genannt, dass sich Deutschland bei Voten regelmäßig enthält, weil sich die bisherigen Koalitionspartner CDU/CSU und SPD nicht einigen können. Will das Ampel-Bündnis in der EU Akzente setzen und nicht bloß hübsche Visionen verbreiten, kann es sich dieses andauernde Enthalten nicht erlauben.

Damit die Wende gelingt, müssen die drei Parteien Streitpunkte ausdiskutieren und eine klare Entscheidung fällen, wofür Berlin in Brüssel kämpfen soll. Logische Folge wäre, dass dann ein oder zwei Parteien damit leben müssen, den Kürzeren gezogen zu haben. Reichlich Anlässe für diese Dispute bietet die EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik. So hat die Kommission eine Reformdebatte für den Stabilitätspakt angestoßen, die Regeln für solide Haushaltsführung. Daneben drängen Frankreich und Italien darauf, den 807 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfstopf zu einem dauerhaften Investitionsbudget der EU weiterzuentwickeln - finanziert über Schulden, also letztlich von künftigen Steuerzahlern, vor allem deutschen.

Deutschland muss führen, nicht rumeiern

Der Koalitionsvertrag vermeidet bei diesen Themen Festlegungen. Das ist kein Wunder, denn die Wahlprogramme von FDP auf der einen Seite und SPD und Grünen auf der anderen vertreten da gegensätzliche Positionen. Die Liberalen warnen vor einer Schuldenunion und einer Aufweichung des Stabilitätspakts. Grüne und SPD betonen hingegen, dass mehr staatliche Investitionen nötig sind; sie werben für Änderungen beim Pakt und einen dauerhaften EU-Topf für Investitionen. Dass der Koalitionsvertrag hier vage bleibt und die neue Regierung noch keine Position gefunden hat, ist beunruhigend. Diese Themen sind viel zu bedeutend, als dass sich Europas größte Volkswirtschaft Rumeiern erlauben könnte.

Ein German Vote verbietet sich also. Stattdessen sollte die Koalition versuchen, ihre Uneinigkeit in eine Stärke zu verwandeln. Die Argumente der FDP ähneln jenen von Staaten wie Österreich, die in Brüssel stets auf Haushaltsdisziplin pochen. Grüne und SPD sind mehr auf der Linie von Frankreich und Italien. Findet das Ampel-Bündnis einen Kompromiss für die deutsche Position, sollte dieser daher gute Chancen haben, in der gesamten EU konsensfähig zu sein. Deutschland würde Europa in dieser wichtigen Frage führen, und die Ampel-Koalition hätte der EU einen großen Dienst erwiesen.

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