Süddeutsche Zeitung

Staatshilfen für Unternehmen:Warum der Industriestrompreis so umstritten ist

Lesezeit: 4 min

Vizekanzler Habeck will Firmen mit Staatsgeld gegen hohe Energiepreise schützen. Manche bejubeln den Vorstoß als wichtig für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Andere fürchten: Eine Stromsubvention gefährdet Deutschlands Zukunftsfähigkeit.

Von Bastian Brinkmann und Claus Hulverscheidt, Berlin/München

Robert Habeck hatte die vereinbarte Redezeit schon deutlich überschritten, eine Sache aber musste er - trotz aller Handzeichen, doch bitte zum Ende zu kommen -, noch loswerden. Er verwahre sich gegen die "üble Nachrede" mancher Kritiker, es gebe in seinem Haus Menschen, die darauf hinarbeiteten, energieintensive Unternehmen etwa aus der Stahl-, Zement- oder Papierindustrie aus Deutschland zu vertreiben, sagte der Bundeswirtschaftsminister am Dienstag beim Jahreskongress des CDU-Wirtschaftsrats. Das Gegenteil sei richtig: Er selbst, ja, alle politisch Verantwortlichen in Berlin, müssten das allergrößte Interesse daran haben, diese Firmen im Land zu halten.

Und tatsächlich, den Beweis hat Habeck bereits auf den Tisch gelegt: ein sechsseitiges Papier, in dem der Vizekanzler Betrieben, die sich trotz immens hoher Energiekosten im internationalen Wettbewerb behaupten müssen, dauerhaft günstige Strompreise in Aussicht stellt. Langfristig sollen die Firmen billige Wind- und Solarenergie direkt bei den Erzeugern kaufen können. Für die Übergangszeit, in der noch keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung stehen, stellt der Minister eine "Brücke" in Aussicht: einen staatlich subventionierten Industriestrompreis von sechs Cent je Kilowattstunde, der an ein paar Kriterien gebunden sein und zudem Anreize zum Energiesparen bieten soll.

Die SPD und die Gewerkschaften muss Habeck von der Idee ebenso wenig überzeugen wie weite Teile der Union und der Wirtschaft. Der wichtigste Widerständler sitzt vielmehr in der eigenen Koalition: FDP-Chef Christian Lindner. Zwar betont auch er, dass "Energie bezahlbar bleiben muss". Ein Industriestrompreis sei jedoch "verteilungspolitisch ungerecht, ökonomisch ineffizient und praktisch schwer umsetzbar".

Vor allem aber wehrt sich der Bundesfinanzminister gegen Überlegungen, die geplanten Subventionen von geschätzt 25 bis 30 Milliarden Euro bis 2030 aus dem noch immer prall gefüllten Strom- und Gaspreisbremsenfonds WSF zu bezahlen - eine Idee, die Habeck am Dienstag ausdrücklich bekräftigte. Vor die Wahl gestellt, den WSF jetzt nicht anzutasten und die Industrie abwandern zu lassen, oder aber die Firmen zu stützen und die dafür notwendigen Staatsschulden später aus den Steuerzahlungen derselben Firmen wieder zu begleichen, "entscheide ich mich für Letzteres", so der Wirtschaftsminister.

Habeck zeigte sich ungeachtet der Streitereien in der Koalition überzeugt, "dass wir in überschaubarer Zeit, das heißt also: Monaten, eine gemeinsame Lösung finden werden". Das gelte umso mehr, als ihm persönlich "überhaupt kein Zacken aus der Krone" breche, wenn sein eigenes Konzept am Ende nicht eins zu eins umgesetzt, sondern gegen ein besseres ausgetauscht werde. Auch CDU und CSU sollten im Idealfall mitwirken, schließlich müssten sich die Unternehmen darauf verlassen können, dass es auch dann bei der einmal getroffenen Regelung bleibe, sollte es nach der Bundestagswahl 2025 andere politische Mehrheiten geben. Hauptsache, die energieintensive Industrie komme an preisgünstigen Strom.

"Der Industriestrompreis kann schnell umgesetzt werden"

Unter Ökonominnen und Ökonomen ist der Industriestrompreis ziemlich umstritten. Kritisch äußert sich Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat; das Beratergremium ist besser bekannt als die Wirtschaftsweisen. Grimm hält einen Industriestrompreis sogar für ein Risiko für den Standort Deutschland. "Nicht wettbewerbsfähige Firmen per Industriestrompreis aufrechtzuerhalten, gefährdet Deutschlands Zukunftsfähigkeit", sagt sie. Die Stromsubvention halte Firmen am Leben, die im globalen Wettbewerb keine Chance hätten - und deren Mitarbeiter lieber in Zukunftsbranchen arbeiten sollten. "Fachkräfte sind extrem knapp", sagt Grimm. Der Industriestrompreis könnte Menschen nun an Firmen binden, die später eh zumachen müssten.

Hat Grimm recht, erschwert der Industriestrompreis den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Jens Südekum von der Universität Düsseldorf sieht es genau andersherum: Der Industriestrompreis würde gerade diese Transformation beschleunigen.

Seine Argumentation geht so: Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien werde Strom künftig zwar günstiger - aber bis dahin bräuchten manche Unternehmen eben etwas Hilfe. "Die sechs Cent sind wichtig für die Planungssicherheit." Firmen könnten damit schon jetzt ihre Produktion so umstellen, dass sie in der kommenden Grünstrom-Welt profitabel sind. "Investitionsentscheidungen müssen jetzt beeinflusst werden, nicht erst in zwei Jahren", sagt Südekum. "Der Industriestrompreis kann schnell umgesetzt werden. Daher ist er das Mittel der Wahl", sagt Südekum.

Habecks offenkundigem Wunsch, den Unternehmen zu signalisieren, dass er den deutschen Standort pflegen will, kann Grimm ebenfalls nichts abgewinnen. "Der zukunftsfähigen Industrie muss ein Signal gesetzt werden, aber genau das setzt man mit dem Industriestrompreis nicht." Besser wäre es, mit dem Staatsgeld klimafreundliche Techniken zu fördern. "Die Anforderungen der Transformation sind riesig, wir sollten zielgerichtet investieren", sagt sie. "Für viele energieintensive Firmen geht es nicht vorwiegend um Strom, die müssen auf Wasserstoff umstellen. Ein subventionierter Strompreis hilft hier gar nicht."

Sechs Cent pro Kilowattstunde - warum steht für Firmen eigentlich ein so niedriger Strompreis zur Debatte? Viele Privatpersonen können von solchen Preisen derzeit nur träumen. Neukunden zahlen momentan oft um die 30 Cent, das Fünffache des angestrebten Industriestrompreises. "Deutsche Großstromverbraucher genießen seit Langem Zugang zu deutlich günstigerem Strom als Haushaltskunden", sagt Georg Zachmann von der Denkfabrik Bruegel. Der Stromverbrauch der Industrie sei gut planbar und benötige keine teuren Verteilnetze, daher können die Unternehmen Energie billiger einkaufen als eine Privatperson. Allerdings würden Firmen darüber hinaus von Ausnahmen auf dem Strommarkt profitieren. Zum Beispiel kann die Offshore-Umlage zur Förderung von Windparks reduziert sein.* Auch ohne Industriestrompreis hilft der Staat also schon den Unternehmen.

"Sagt die Politik den Firmen dann wirklich: Wir können euch doch nicht retten?"

In einer Marktwirtschaft werden Dinge teurer, wenn sie knapp werden. So ist es gerade beim Strom. Den Verbrauch für Firmen jetzt noch zu subventionieren, könnte die Lage noch verschärfen. Darauf deutet eine Untersuchung des Forschungsinstituts ZEW hin. Die Ökonomin Kathrine von Graevenitz hat untersucht, was mit Firmen passiert, deren Stromkosten wegen der Netzentgelte steigen oder fallen. Ihr Ergebnis: Ein niedrigerer Strompreis hat die Firmen nicht wettbewerbsfähiger gemacht, wenn man Umsatz und Mitarbeiterzahl anschaut. Was leider dagegen messbar gestiegen ist: der Stromverbrauch. Das könnte sich mit dem Industriestrompreis wiederholen, fürchtet ZEW-Forscherin von Graevenitz.

Ökonom Südekum hält dagegen: "Man bekommt nicht Strom bis zum Abwinken subventioniert." Der Brückenstrompreis solle nur für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs gelten. Das Papier von Minister Habeck nennt weitere Kriterien, die Stromverschwendung verhindern sollen. Diese Auflagen, darunter auch langfristige Standortgarantien und Tariftreue, beklagen wiederum Firmenvertreter: Sie könnten Unternehmen davon abschrecken, den Industriestrompreis zu beantragen.

Die Staatshilfe für Industriestrom soll nur eine Brücke sein. Doch einmal eingeführt, halten sich manche Subventionen überraschend hartnäckig, warnt Graevenitz. Sie fragt, wie glaubwürdig das Enddatum 2030 für diese Staatshilfe wirklich ist. "Für mich ist nicht klar, dass das dann wieder abgeschafft wird", sagt sie. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass Strom in fünf Jahren billiger ist. Sagt die Politik den Firmen dann wirklich: Wir können euch doch nicht retten?"

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde an dieser Stelle eine reduzierte EEG-Umlage erwähnt - diese Umlage wurde allerdings abgeschafft .

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